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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 19. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfassung.

Es hat dies nicht mehr Berechtigung, als wenn man etwa
aus der Aufhebung des Paßzwanges für Ausländer 1) oder aus
der Pflicht der Ortsarmenverbände, hülfsbedürftige Ausländer
vorläufig zu unterstützen 2), ein subjectives Nichtreichsbürger-Recht
herleiten wollte. Der Art. 3 war in materieller Beziehung völlig
wirkungslos, soweit bei Einführung der Verf. in den einzelnen
Staaten Angehörige anderer deutscher Staaten oder überhaupt
Fremde den eigenen Staatsbürgern bereits gleich behandelt wurden
und er begründet auch jetzt nirgends einen Anspruch der Deutschen,
vor Ausländern bevorzugt oder begünstigt zu werden, sondern eben
nur nicht schlechter als die Angehörigen des Staates behandelt zu
werden. Seine praktische Bedeutung läßt sich vielmehr in folgende
zwei Rechtssätze zusammenfassen:

1. Alle in den einzelnen deutschen Staaten bestehenden
Rechtsregeln, wonach Fremde ungünstiger als die eigenen Staats-
angehörigen zu behandeln sind, werden in Ansehung der Ange-
hörigen der übrigen Bundesstaaten aufgehoben.

2. Kein deutscher Staat darf künftig im Wege der Gesetz-
gebung oder Verwaltung Anordnungen treffen, durch welche recht-
liche Ungleichheiten zwischen den eigenen Angehörigen und den
Angehörigen der übrigen deutschen Staaten begründet werden 3).

Der erste dieser Sätze brachte eine weitreichende Aenderung
der Partikularrechte der einzelnen Staaten hervor, der zweite
enthielt ein Verbot an die Einzelstaaten, eine Beschränkung ihrer
Autonomie und Regierungsgewalt. Eine gemeinrechtliche Norm
von positivem, materiellem Inhalt enthält keiner derselben. Hätte
man den richtigen Sinn des Art. 3 von Anfang an festgehalten,
so würden viele der zahlreichen Zweifel, zu denen er Veranlassung
gegeben hat, gar nicht entstanden sein. Es ist die Ansicht ver-
treten worden, daß der Art. 3 nur einen legislatorischen Grund-

Bundesstaats zugleich als Angehörige der anderen Bundes-
staaten gelten
."
1) Gesetz vom 12. Oktober 1867 §. 2.
2) Gesetz vom 6. Juni 1870 §. 60.
3) Im Art. 3 ist die praktische Tragweite des im Abs. 1 ausgesprochenen
Grundsatzes noch besonders im Abs. 2 hervorgehoben. "Kein Deutscher darf
in der Ausübung dieser Befugniß durch die Obrigkeit seiner Heimath oder
durch die Obrigkeit eines andern Bundesstaates beschränkt werden."
§. 19. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfaſſung.

Es hat dies nicht mehr Berechtigung, als wenn man etwa
aus der Aufhebung des Paßzwanges für Ausländer 1) oder aus
der Pflicht der Ortsarmenverbände, hülfsbedürftige Ausländer
vorläufig zu unterſtützen 2), ein ſubjectives Nichtreichsbürger-Recht
herleiten wollte. Der Art. 3 war in materieller Beziehung völlig
wirkungslos, ſoweit bei Einführung der Verf. in den einzelnen
Staaten Angehörige anderer deutſcher Staaten oder überhaupt
Fremde den eigenen Staatsbürgern bereits gleich behandelt wurden
und er begründet auch jetzt nirgends einen Anſpruch der Deutſchen,
vor Ausländern bevorzugt oder begünſtigt zu werden, ſondern eben
nur nicht ſchlechter als die Angehörigen des Staates behandelt zu
werden. Seine praktiſche Bedeutung läßt ſich vielmehr in folgende
zwei Rechtsſätze zuſammenfaſſen:

1. Alle in den einzelnen deutſchen Staaten beſtehenden
Rechtsregeln, wonach Fremde ungünſtiger als die eigenen Staats-
angehörigen zu behandeln ſind, werden in Anſehung der Ange-
hörigen der übrigen Bundesſtaaten aufgehoben.

2. Kein deutſcher Staat darf künftig im Wege der Geſetz-
gebung oder Verwaltung Anordnungen treffen, durch welche recht-
liche Ungleichheiten zwiſchen den eigenen Angehörigen und den
Angehörigen der übrigen deutſchen Staaten begründet werden 3).

Der erſte dieſer Sätze brachte eine weitreichende Aenderung
der Partikularrechte der einzelnen Staaten hervor, der zweite
enthielt ein Verbot an die Einzelſtaaten, eine Beſchränkung ihrer
Autonomie und Regierungsgewalt. Eine gemeinrechtliche Norm
von poſitivem, materiellem Inhalt enthält keiner derſelben. Hätte
man den richtigen Sinn des Art. 3 von Anfang an feſtgehalten,
ſo würden viele der zahlreichen Zweifel, zu denen er Veranlaſſung
gegeben hat, gar nicht entſtanden ſein. Es iſt die Anſicht ver-
treten worden, daß der Art. 3 nur einen legislatoriſchen Grund-

Bundesſtaats zugleich als Angehörige der anderen Bundes-
ſtaaten gelten
.“
1) Geſetz vom 12. Oktober 1867 §. 2.
2) Geſetz vom 6. Juni 1870 §. 60.
3) Im Art. 3 iſt die praktiſche Tragweite des im Abſ. 1 ausgeſprochenen
Grundſatzes noch beſonders im Abſ. 2 hervorgehoben. „Kein Deutſcher darf
in der Ausübung dieſer Befugniß durch die Obrigkeit ſeiner Heimath oder
durch die Obrigkeit eines andern Bundesſtaates beſchränkt werden.“
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[178/0198] §. 19. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfaſſung. Es hat dies nicht mehr Berechtigung, als wenn man etwa aus der Aufhebung des Paßzwanges für Ausländer 1) oder aus der Pflicht der Ortsarmenverbände, hülfsbedürftige Ausländer vorläufig zu unterſtützen 2), ein ſubjectives Nichtreichsbürger-Recht herleiten wollte. Der Art. 3 war in materieller Beziehung völlig wirkungslos, ſoweit bei Einführung der Verf. in den einzelnen Staaten Angehörige anderer deutſcher Staaten oder überhaupt Fremde den eigenen Staatsbürgern bereits gleich behandelt wurden und er begründet auch jetzt nirgends einen Anſpruch der Deutſchen, vor Ausländern bevorzugt oder begünſtigt zu werden, ſondern eben nur nicht ſchlechter als die Angehörigen des Staates behandelt zu werden. Seine praktiſche Bedeutung läßt ſich vielmehr in folgende zwei Rechtsſätze zuſammenfaſſen: 1. Alle in den einzelnen deutſchen Staaten beſtehenden Rechtsregeln, wonach Fremde ungünſtiger als die eigenen Staats- angehörigen zu behandeln ſind, werden in Anſehung der Ange- hörigen der übrigen Bundesſtaaten aufgehoben. 2. Kein deutſcher Staat darf künftig im Wege der Geſetz- gebung oder Verwaltung Anordnungen treffen, durch welche recht- liche Ungleichheiten zwiſchen den eigenen Angehörigen und den Angehörigen der übrigen deutſchen Staaten begründet werden 3). Der erſte dieſer Sätze brachte eine weitreichende Aenderung der Partikularrechte der einzelnen Staaten hervor, der zweite enthielt ein Verbot an die Einzelſtaaten, eine Beſchränkung ihrer Autonomie und Regierungsgewalt. Eine gemeinrechtliche Norm von poſitivem, materiellem Inhalt enthält keiner derſelben. Hätte man den richtigen Sinn des Art. 3 von Anfang an feſtgehalten, ſo würden viele der zahlreichen Zweifel, zu denen er Veranlaſſung gegeben hat, gar nicht entſtanden ſein. Es iſt die Anſicht ver- treten worden, daß der Art. 3 nur einen legislatoriſchen Grund- 2) 1) Geſetz vom 12. Oktober 1867 §. 2. 2) Geſetz vom 6. Juni 1870 §. 60. 3) Im Art. 3 iſt die praktiſche Tragweite des im Abſ. 1 ausgeſprochenen Grundſatzes noch beſonders im Abſ. 2 hervorgehoben. „Kein Deutſcher darf in der Ausübung dieſer Befugniß durch die Obrigkeit ſeiner Heimath oder durch die Obrigkeit eines andern Bundesſtaates beſchränkt werden.“ 2) Bundesſtaats zugleich als Angehörige der anderen Bundes- ſtaaten gelten.“

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/198>, abgerufen am 24.11.2024.