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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 19. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfassung.
Verf. demnach gar keine Anordnung; er verfügt nur die gleiche
Behandlung aller Reichsangehörigen wie der Angehörigen des
eigenen Staates. Er enthält daher keine positive Bestimmung über
die Rechte der Reichsangehörigen, sondern lediglich den negativen
Satz: Kein Deutscher darf in rechtlicher Beziehung
ungünstigeren Regeln unterworfen werden als der
Angehörige des eigenen Staates
1).

Der Art. 3 stellt demnach nur einen objectiven Rechts-
satz
hin, für dessen Anwendung das Reich und folglich auch das
Reichsbürgerrecht gar keine logisch-nothwendige Voraussetzung ist.
Auch jeder Einheitsstaat kann den Grundsatz gesetzlich feststellen,
daß alle rechtlichen Beschränkungen der Ausländer aufgehoben wer-
den, daß Ausländer und Staatsangehörige vor dem Gesetze gleich
zu behandeln seien; ebenso können völlig unabhängige Staaten
vertragsmäßig vereinbaren, daß sie wechselseitig die Unterthanen
der andern wie die eigenen behandeln wollen. Deshalb konnte
Art. 3 der R.-V. in Elsaß-Lothringen durch das Ges. v. 9. Juni
1871 sofort in Wirksamkeit gesetzt werden, lange Zeit vor Ein-
führung der Reichsverfassung, und es war seine Einführung gerade
dort wegen der rigorosen Härte, mit welcher das französische Recht
Ausländer behandelt, besonders dringend geboten und von prak-
tischer Wirksamkeit. Das Indigenat des Art. 3 ist daher kein Aus-
fluß des Reichsbürgerrechts und kann andererseits ebensowenig
dazu dienen, das Reichsbürgerrecht zu construiren 2).


1) Nicht einmal ein Wohnrecht im Bundesgebiet hat der Art. 3 ge-
währt; denn wofern das Landesgesetz die Ausweisung von Inländern ge-
stattete, konnten alle Bundesangehörigen ausgewiesen werden. Erst das Frei-
zügigkeitsgesetz
hat dem Reichsangehörigen das Recht, im ganzen Bun-
desgebiet sich aufzuhalten und sich niederzulassen, gewährleistet. Daher ist die
Ausführung in Goltdammer's Archiv Bd. XVI. S. 466 nicht ganz correct.
2) Im Wesentlichen richtig Rud. Brückner Ueber das gemeins. Indi-
genat. Gotha 1867 und Seydel Commentar S. 44. Auch bei den Ver-
handlungen im verfassungberathenden Reichstage wurde die wahre Bedeutung des
Art. 3 sehr richtig charakterisirt; namentlich von v. Wächter (Sten. Ber.
S. 251) und von Braun-Wiesbaden (S. 253). Dagegen kann man den
Sinn des Art. 3 kaum unrichtiger wiedergeben, als dies in einem Bericht des
Bundes-Ausschusses für Justizwesen v. 12. Dezember 1868 (Hirth's Annalen II.
S. 14) in dem an die Spitze gestellten Satze geschehen ist: "Nach Art. 3 sollen
kraft des in der Verf. anerkannten Bundes-Indigenats die Angehörigen des einen
Laband, Reichsstaatsrecht. I. 12

§. 19. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfaſſung.
Verf. demnach gar keine Anordnung; er verfügt nur die gleiche
Behandlung aller Reichsangehörigen wie der Angehörigen des
eigenen Staates. Er enthält daher keine poſitive Beſtimmung über
die Rechte der Reichsangehörigen, ſondern lediglich den negativen
Satz: Kein Deutſcher darf in rechtlicher Beziehung
ungünſtigeren Regeln unterworfen werden als der
Angehörige des eigenen Staates
1).

Der Art. 3 ſtellt demnach nur einen objectiven Rechts-
ſatz
hin, für deſſen Anwendung das Reich und folglich auch das
Reichsbürgerrecht gar keine logiſch-nothwendige Vorausſetzung iſt.
Auch jeder Einheitsſtaat kann den Grundſatz geſetzlich feſtſtellen,
daß alle rechtlichen Beſchränkungen der Ausländer aufgehoben wer-
den, daß Ausländer und Staatsangehörige vor dem Geſetze gleich
zu behandeln ſeien; ebenſo können völlig unabhängige Staaten
vertragsmäßig vereinbaren, daß ſie wechſelſeitig die Unterthanen
der andern wie die eigenen behandeln wollen. Deshalb konnte
Art. 3 der R.-V. in Elſaß-Lothringen durch das Geſ. v. 9. Juni
1871 ſofort in Wirkſamkeit geſetzt werden, lange Zeit vor Ein-
führung der Reichsverfaſſung, und es war ſeine Einführung gerade
dort wegen der rigoroſen Härte, mit welcher das franzöſiſche Recht
Ausländer behandelt, beſonders dringend geboten und von prak-
tiſcher Wirkſamkeit. Das Indigenat des Art. 3 iſt daher kein Aus-
fluß des Reichsbürgerrechts und kann andererſeits ebenſowenig
dazu dienen, das Reichsbürgerrecht zu conſtruiren 2).


1) Nicht einmal ein Wohnrecht im Bundesgebiet hat der Art. 3 ge-
währt; denn wofern das Landesgeſetz die Ausweiſung von Inländern ge-
ſtattete, konnten alle Bundesangehörigen ausgewieſen werden. Erſt das Frei-
zügigkeitsgeſetz
hat dem Reichsangehörigen das Recht, im ganzen Bun-
desgebiet ſich aufzuhalten und ſich niederzulaſſen, gewährleiſtet. Daher iſt die
Ausführung in Goltdammer’s Archiv Bd. XVI. S. 466 nicht ganz correct.
2) Im Weſentlichen richtig Rud. Brückner Ueber das gemeinſ. Indi-
genat. Gotha 1867 und Seydel Commentar S. 44. Auch bei den Ver-
handlungen im verfaſſungberathenden Reichstage wurde die wahre Bedeutung des
Art. 3 ſehr richtig charakteriſirt; namentlich von v. Wächter (Sten. Ber.
S. 251) und von Braun-Wiesbaden (S. 253). Dagegen kann man den
Sinn des Art. 3 kaum unrichtiger wiedergeben, als dies in einem Bericht des
Bundes-Ausſchuſſes für Juſtizweſen v. 12. Dezember 1868 (Hirth’s Annalen II.
S. 14) in dem an die Spitze geſtellten Satze geſchehen iſt: „Nach Art. 3 ſollen
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Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 12
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[177/0197] §. 19. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfaſſung. Verf. demnach gar keine Anordnung; er verfügt nur die gleiche Behandlung aller Reichsangehörigen wie der Angehörigen des eigenen Staates. Er enthält daher keine poſitive Beſtimmung über die Rechte der Reichsangehörigen, ſondern lediglich den negativen Satz: Kein Deutſcher darf in rechtlicher Beziehung ungünſtigeren Regeln unterworfen werden als der Angehörige des eigenen Staates 1). Der Art. 3 ſtellt demnach nur einen objectiven Rechts- ſatz hin, für deſſen Anwendung das Reich und folglich auch das Reichsbürgerrecht gar keine logiſch-nothwendige Vorausſetzung iſt. Auch jeder Einheitsſtaat kann den Grundſatz geſetzlich feſtſtellen, daß alle rechtlichen Beſchränkungen der Ausländer aufgehoben wer- den, daß Ausländer und Staatsangehörige vor dem Geſetze gleich zu behandeln ſeien; ebenſo können völlig unabhängige Staaten vertragsmäßig vereinbaren, daß ſie wechſelſeitig die Unterthanen der andern wie die eigenen behandeln wollen. Deshalb konnte Art. 3 der R.-V. in Elſaß-Lothringen durch das Geſ. v. 9. Juni 1871 ſofort in Wirkſamkeit geſetzt werden, lange Zeit vor Ein- führung der Reichsverfaſſung, und es war ſeine Einführung gerade dort wegen der rigoroſen Härte, mit welcher das franzöſiſche Recht Ausländer behandelt, beſonders dringend geboten und von prak- tiſcher Wirkſamkeit. Das Indigenat des Art. 3 iſt daher kein Aus- fluß des Reichsbürgerrechts und kann andererſeits ebenſowenig dazu dienen, das Reichsbürgerrecht zu conſtruiren 2). 1) Nicht einmal ein Wohnrecht im Bundesgebiet hat der Art. 3 ge- währt; denn wofern das Landesgeſetz die Ausweiſung von Inländern ge- ſtattete, konnten alle Bundesangehörigen ausgewieſen werden. Erſt das Frei- zügigkeitsgeſetz hat dem Reichsangehörigen das Recht, im ganzen Bun- desgebiet ſich aufzuhalten und ſich niederzulaſſen, gewährleiſtet. Daher iſt die Ausführung in Goltdammer’s Archiv Bd. XVI. S. 466 nicht ganz correct. 2) Im Weſentlichen richtig Rud. Brückner Ueber das gemeinſ. Indi- genat. Gotha 1867 und Seydel Commentar S. 44. Auch bei den Ver- handlungen im verfaſſungberathenden Reichstage wurde die wahre Bedeutung des Art. 3 ſehr richtig charakteriſirt; namentlich von v. Wächter (Sten. Ber. S. 251) und von Braun-Wiesbaden (S. 253). Dagegen kann man den Sinn des Art. 3 kaum unrichtiger wiedergeben, als dies in einem Bericht des Bundes-Ausſchuſſes für Juſtizweſen v. 12. Dezember 1868 (Hirth’s Annalen II. S. 14) in dem an die Spitze geſtellten Satze geſchehen iſt: „Nach Art. 3 ſollen kraft des in der Verf. anerkannten Bundes-Indigenats die Angehörigen des einen Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 12

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/197>, abgerufen am 24.11.2024.