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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 20. Begriff und staatsrechtliche Natur des Bundesgebietes.
weilen die Frage nach dem Recht des Reichs am Reichsgebiet mit
der Frage nach dem Mitgliederbestande des Reiches verwechselt
oder zusammengeworfen 1).

Auch nach einer anderen Richtung hin ist die Bedeutung der
Frage noch näher festzustellen. Es liegt in der Natur jeder poli-
tischen Einrichtung, daß sie räumlich begränzt ist, daß sie ein Gebiet
hat 2). In dieser Hinsicht ist daher zwar auch der Staat auf ein
Gebiet begränzt; aber die Begriffe Staat und Gebiet brauchen
nicht zusammenzufallen. Auch der Staatenbund hat sein Bundes-
gebiet; man spricht von dem Deutsch-Oesterreichischen Postgebiet,
vom Zollvereins-Gebiet u. s. w., und man kann andererseits inner-
halb jedes Staates nach den verschiedensten Rücksichten Gebiete
unterscheiden, z. B. Geltungsgebiete einzelner Gesetze oder Ver-
waltungs-Einrichtungen. Es ist daher staatsrechtlich völlig werth-
los, diejenigen Angelegenheiten aufzuzählen, in welchen das deutsche
Reich ein Gebiet bildet 3); denn nicht die territoriale Abgränzung
irgend einer Einrichtung ist entscheidend, sondern das rechtliche
Verhältniß, welches ein räumlich begrenztes Stück der Erdober-
fläche zu einer rechtlich relevanten Einheit macht. Nicht daß die
zum deutschen Reiche gehörenden Länder in vielen Beziehungen
zugleich die Grenzen für eine Reihe von Einrichtungen sind und
den räumlichen Geltungsbereich einer Reihe von Gesetzen bilden,
ist staatsrechtlich erheblich, sondern von Bedeutung ist, daß das
Gebiet des Reiches das Object der staatlichen Reichsgewalt ist und
durch die letztere zu einer staatsrechtlichen Einheit gemacht wird.

In Beziehung auf das Wesen der Gebietshoheit kann man
die ältere Ansicht, wonach die Gebietshoheit einen besonderen Be-

1) So v. Rönne S. 33 fg. auch Seydel Comment. S. 29 fg. u. a.
Ebenso giebt Grotefend deutsches Staatsr. §. 324 nicht viel mehr als eine
Aufzählung der im Art. 1 der Verf. genannten Staaten.
2) Zu den sonderbarsten Curiositäten der Literatur des Reichsstaatsrechts
gehört die Schrift von H. Beta Das Neue Deutsche Reich. 1871, in welcher
es dem Deutschen Reiche zum Vorwurf gemacht wird, daß es ein räumlich
begränztes Gebiet habe und nicht alle in der ganzen Welt zerstreut lebenden
Deutsche umfasse, überhaupt nicht "kosmopolitisch" sei.
3) So z. B. Riedel S. 9 ff., der dahin nicht blos die räumliche Com-
petenz der Normal-Eichungskommission, des Oberhandelsgerichts und des Bun-
desamts für das Heimathswesen, sondern sogar Marine, Schifffahrt und Con-
sulatwesen zählt.

§. 20. Begriff und ſtaatsrechtliche Natur des Bundesgebietes.
weilen die Frage nach dem Recht des Reichs am Reichsgebiet mit
der Frage nach dem Mitgliederbeſtande des Reiches verwechſelt
oder zuſammengeworfen 1).

Auch nach einer anderen Richtung hin iſt die Bedeutung der
Frage noch näher feſtzuſtellen. Es liegt in der Natur jeder poli-
tiſchen Einrichtung, daß ſie räumlich begränzt iſt, daß ſie ein Gebiet
hat 2). In dieſer Hinſicht iſt daher zwar auch der Staat auf ein
Gebiet begränzt; aber die Begriffe Staat und Gebiet brauchen
nicht zuſammenzufallen. Auch der Staatenbund hat ſein Bundes-
gebiet; man ſpricht von dem Deutſch-Oeſterreichiſchen Poſtgebiet,
vom Zollvereins-Gebiet u. ſ. w., und man kann andererſeits inner-
halb jedes Staates nach den verſchiedenſten Rückſichten Gebiete
unterſcheiden, z. B. Geltungsgebiete einzelner Geſetze oder Ver-
waltungs-Einrichtungen. Es iſt daher ſtaatsrechtlich völlig werth-
los, diejenigen Angelegenheiten aufzuzählen, in welchen das deutſche
Reich ein Gebiet bildet 3); denn nicht die territoriale Abgränzung
irgend einer Einrichtung iſt entſcheidend, ſondern das rechtliche
Verhältniß, welches ein räumlich begrenztes Stück der Erdober-
fläche zu einer rechtlich relevanten Einheit macht. Nicht daß die
zum deutſchen Reiche gehörenden Länder in vielen Beziehungen
zugleich die Grenzen für eine Reihe von Einrichtungen ſind und
den räumlichen Geltungsbereich einer Reihe von Geſetzen bilden,
iſt ſtaatsrechtlich erheblich, ſondern von Bedeutung iſt, daß das
Gebiet des Reiches das Object der ſtaatlichen Reichsgewalt iſt und
durch die letztere zu einer ſtaatsrechtlichen Einheit gemacht wird.

In Beziehung auf das Weſen der Gebietshoheit kann man
die ältere Anſicht, wonach die Gebietshoheit einen beſonderen Be-

1) So v. Rönne S. 33 fg. auch Seydel Comment. S. 29 fg. u. a.
Ebenſo giebt Grotefend deutſches Staatsr. §. 324 nicht viel mehr als eine
Aufzählung der im Art. 1 der Verf. genannten Staaten.
2) Zu den ſonderbarſten Curioſitäten der Literatur des Reichsſtaatsrechts
gehört die Schrift von H. Beta Das Neue Deutſche Reich. 1871, in welcher
es dem Deutſchen Reiche zum Vorwurf gemacht wird, daß es ein räumlich
begränztes Gebiet habe und nicht alle in der ganzen Welt zerſtreut lebenden
Deutſche umfaſſe, überhaupt nicht „kosmopolitiſch“ ſei.
3) So z. B. Riedel S. 9 ff., der dahin nicht blos die räumliche Com-
petenz der Normal-Eichungskommiſſion, des Oberhandelsgerichts und des Bun-
desamts für das Heimathsweſen, ſondern ſogar Marine, Schifffahrt und Con-
ſulatweſen zählt.
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[183/0203] §. 20. Begriff und ſtaatsrechtliche Natur des Bundesgebietes. weilen die Frage nach dem Recht des Reichs am Reichsgebiet mit der Frage nach dem Mitgliederbeſtande des Reiches verwechſelt oder zuſammengeworfen 1). Auch nach einer anderen Richtung hin iſt die Bedeutung der Frage noch näher feſtzuſtellen. Es liegt in der Natur jeder poli- tiſchen Einrichtung, daß ſie räumlich begränzt iſt, daß ſie ein Gebiet hat 2). In dieſer Hinſicht iſt daher zwar auch der Staat auf ein Gebiet begränzt; aber die Begriffe Staat und Gebiet brauchen nicht zuſammenzufallen. Auch der Staatenbund hat ſein Bundes- gebiet; man ſpricht von dem Deutſch-Oeſterreichiſchen Poſtgebiet, vom Zollvereins-Gebiet u. ſ. w., und man kann andererſeits inner- halb jedes Staates nach den verſchiedenſten Rückſichten Gebiete unterſcheiden, z. B. Geltungsgebiete einzelner Geſetze oder Ver- waltungs-Einrichtungen. Es iſt daher ſtaatsrechtlich völlig werth- los, diejenigen Angelegenheiten aufzuzählen, in welchen das deutſche Reich ein Gebiet bildet 3); denn nicht die territoriale Abgränzung irgend einer Einrichtung iſt entſcheidend, ſondern das rechtliche Verhältniß, welches ein räumlich begrenztes Stück der Erdober- fläche zu einer rechtlich relevanten Einheit macht. Nicht daß die zum deutſchen Reiche gehörenden Länder in vielen Beziehungen zugleich die Grenzen für eine Reihe von Einrichtungen ſind und den räumlichen Geltungsbereich einer Reihe von Geſetzen bilden, iſt ſtaatsrechtlich erheblich, ſondern von Bedeutung iſt, daß das Gebiet des Reiches das Object der ſtaatlichen Reichsgewalt iſt und durch die letztere zu einer ſtaatsrechtlichen Einheit gemacht wird. In Beziehung auf das Weſen der Gebietshoheit kann man die ältere Anſicht, wonach die Gebietshoheit einen beſonderen Be- 1) So v. Rönne S. 33 fg. auch Seydel Comment. S. 29 fg. u. a. Ebenſo giebt Grotefend deutſches Staatsr. §. 324 nicht viel mehr als eine Aufzählung der im Art. 1 der Verf. genannten Staaten. 2) Zu den ſonderbarſten Curioſitäten der Literatur des Reichsſtaatsrechts gehört die Schrift von H. Beta Das Neue Deutſche Reich. 1871, in welcher es dem Deutſchen Reiche zum Vorwurf gemacht wird, daß es ein räumlich begränztes Gebiet habe und nicht alle in der ganzen Welt zerſtreut lebenden Deutſche umfaſſe, überhaupt nicht „kosmopolitiſch“ ſei. 3) So z. B. Riedel S. 9 ff., der dahin nicht blos die räumliche Com- petenz der Normal-Eichungskommiſſion, des Oberhandelsgerichts und des Bun- desamts für das Heimathsweſen, ſondern ſogar Marine, Schifffahrt und Con- ſulatweſen zählt.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/203>, abgerufen am 24.11.2024.