Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
"über Mängel, welche bei der Ausführung der gemein-
schaftlichen Gesetzgebung (Art. 35) hervortreten"

also mit ausdrücklicher, durch die Anführung des Art. 35 bewirkter
Beschränkung auf die Zoll- und Steuergesetze und im Anschluß an
die Fassung des Art. 34 des Zollvereins-Vertrages von 1865.

Auch der Zollvereinsvertrag vom 8. Juli 1867 Art. 8 §. 12
wiederholt dieselbe Bestimmung und in der Reichsverfassung ist
nur eine redactionelle Aenderung eingetreten. Der Zoll-Bundes-
rath war gleichsam der Erbe der Zollconferenz, nur befreit von
dem Drucke des Unanimitätsprinzips 1).

Art. 36 Abs. 2 der Reichsverfassung verleiht dem Kaiser
das Recht und die Pflicht, die Einhaltung des gesetzlichen Ver-
fahrens Seitens der Landesbehörden durch Reichsbeamte, welche
er den Zoll- und Steuerämtern und den Directivbehörden beiordnet,
zu überwachen. Abs. 3 fügt hinzu:
"Die von diesen Beamten über Mängel bei der Ausführung
der gemeinschaftlichen Gesetzgebung (Art. 35) gemachten An-
zeigen werden dem Bundesrathe zur Beschlußnahme vor-
gelegt."

Das Verhältniß zwischen Kaiser und Bundesrath ist daher
hier nicht zweifelhaft. Der Kaiser hat hinsichtlich der Ueberwachung
der Einzelstaaten das formelle Recht der Ernennung und Beiord-
nung der Reichszollcontroleure und Bevollmächtigten. Die materielle
Entscheidung aber über die von ihnen erstatteten Anzeigen und die
Sicherung gleichmäßiger Auslegung und Handhabung der Zoll-
und Steuergesetze ist dem Bundesrath zugewiesen. Er ist in dieser
Hinsicht an die Stelle der alten Zollvereins-Conferenz getreten,
nur daß seine Beschlüsse nicht mehr den Charakter des völkerrecht-
lichen Vertrages, sondern den der Entscheidung einer obersten
Behörde haben. Der Bundesrath ist in Zoll- und Steuersachen
eine Central-Verwaltungsbehörde des Reiches, die über
den Selbstverwaltungs-Behörden der Einzelstaaten stehende Control-
behörde, welche wie ein höchster Verwaltungsgerichtshof dafür

1) Schlußprotokoll v. 8. Juli 1867 Nr. 9 zu Art. 8 §. 12 des Zollver-
eins-Vertrages: "Die Functionen, welche durch die im §. 1 des gegenwärtigen
Protokolls bezeichneten Bestimmungen, Abreden und Vereinbarungen der Ge-
neral-Conferenz
übertragen sind, gehen auf den Bundesrath des
Zollvereins über."

§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
„über Mängel, welche bei der Ausführung der gemein-
ſchaftlichen Geſetzgebung (Art. 35) hervortreten“

alſo mit ausdrücklicher, durch die Anführung des Art. 35 bewirkter
Beſchränkung auf die Zoll- und Steuergeſetze und im Anſchluß an
die Faſſung des Art. 34 des Zollvereins-Vertrages von 1865.

Auch der Zollvereinsvertrag vom 8. Juli 1867 Art. 8 §. 12
wiederholt dieſelbe Beſtimmung und in der Reichsverfaſſung iſt
nur eine redactionelle Aenderung eingetreten. Der Zoll-Bundes-
rath war gleichſam der Erbe der Zollconferenz, nur befreit von
dem Drucke des Unanimitätsprinzips 1).

Art. 36 Abſ. 2 der Reichsverfaſſung verleiht dem Kaiſer
das Recht und die Pflicht, die Einhaltung des geſetzlichen Ver-
fahrens Seitens der Landesbehörden durch Reichsbeamte, welche
er den Zoll- und Steuerämtern und den Directivbehörden beiordnet,
zu überwachen. Abſ. 3 fügt hinzu:
„Die von dieſen Beamten über Mängel bei der Ausführung
der gemeinſchaftlichen Geſetzgebung (Art. 35) gemachten An-
zeigen werden dem Bundesrathe zur Beſchlußnahme vor-
gelegt.“

Das Verhältniß zwiſchen Kaiſer und Bundesrath iſt daher
hier nicht zweifelhaft. Der Kaiſer hat hinſichtlich der Ueberwachung
der Einzelſtaaten das formelle Recht der Ernennung und Beiord-
nung der Reichszollcontroleure und Bevollmächtigten. Die materielle
Entſcheidung aber über die von ihnen erſtatteten Anzeigen und die
Sicherung gleichmäßiger Auslegung und Handhabung der Zoll-
und Steuergeſetze iſt dem Bundesrath zugewieſen. Er iſt in dieſer
Hinſicht an die Stelle der alten Zollvereins-Conferenz getreten,
nur daß ſeine Beſchlüſſe nicht mehr den Charakter des völkerrecht-
lichen Vertrages, ſondern den der Entſcheidung einer oberſten
Behörde haben. Der Bundesrath iſt in Zoll- und Steuerſachen
eine Central-Verwaltungsbehörde des Reiches, die über
den Selbſtverwaltungs-Behörden der Einzelſtaaten ſtehende Control-
behörde, welche wie ein höchſter Verwaltungsgerichtshof dafür

1) Schlußprotokoll v. 8. Juli 1867 Nr. 9 zu Art. 8 §. 12 des Zollver-
eins-Vertrages: „Die Functionen, welche durch die im §. 1 des gegenwärtigen
Protokolls bezeichneten Beſtimmungen, Abreden und Vereinbarungen der Ge-
neral-Conferenz
übertragen ſind, gehen auf den Bundesrath des
Zollvereins über.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0278" n="258"/><fw place="top" type="header">§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.</fw><lb/><hi rendition="#et">&#x201E;über Mängel, welche bei der Ausführung der gemein-<lb/>
&#x017F;chaftlichen Ge&#x017F;etzgebung (Art. 35) hervortreten&#x201C;</hi><lb/>
al&#x017F;o mit ausdrücklicher, durch die Anführung des Art. 35 bewirkter<lb/>
Be&#x017F;chränkung auf die Zoll- und Steuerge&#x017F;etze und im An&#x017F;chluß an<lb/>
die Fa&#x017F;&#x017F;ung des Art. 34 des Zollvereins-Vertrages von 1865.</p><lb/>
              <p>Auch der Zollvereinsvertrag vom 8. Juli 1867 Art. 8 §. 12<lb/>
wiederholt die&#x017F;elbe Be&#x017F;timmung und in der Reichsverfa&#x017F;&#x017F;ung i&#x017F;t<lb/>
nur eine redactionelle Aenderung eingetreten. Der Zoll-Bundes-<lb/>
rath war gleich&#x017F;am der Erbe der Zollconferenz, nur befreit von<lb/>
dem Drucke des Unanimitätsprinzips <note place="foot" n="1)">Schlußprotokoll v. 8. Juli 1867 Nr. 9 zu Art. 8 §. 12 des Zollver-<lb/>
eins-Vertrages: &#x201E;Die Functionen, welche durch die im §. 1 des gegenwärtigen<lb/>
Protokolls bezeichneten Be&#x017F;timmungen, Abreden und Vereinbarungen der <hi rendition="#g">Ge-<lb/>
neral-Conferenz</hi> übertragen &#x017F;ind, gehen auf den <hi rendition="#g">Bundesrath</hi> des<lb/>
Zollvereins über.&#x201C;</note>.</p><lb/>
              <p>Art. 36 Ab&#x017F;. 2 der Reichsverfa&#x017F;&#x017F;ung verleiht dem Kai&#x017F;er<lb/>
das Recht und die Pflicht, die Einhaltung des ge&#x017F;etzlichen Ver-<lb/>
fahrens Seitens der Landesbehörden durch Reichsbeamte, welche<lb/>
er den Zoll- und Steuerämtern und den Directivbehörden beiordnet,<lb/>
zu überwachen. Ab&#x017F;. 3 fügt hinzu:<lb/><hi rendition="#et">&#x201E;Die von die&#x017F;en Beamten über Mängel bei der Ausführung<lb/>
der gemein&#x017F;chaftlichen Ge&#x017F;etzgebung (Art. 35) gemachten An-<lb/>
zeigen werden dem Bundesrathe zur Be&#x017F;chlußnahme vor-<lb/>
gelegt.&#x201C;</hi></p><lb/>
              <p>Das Verhältniß zwi&#x017F;chen Kai&#x017F;er und Bundesrath i&#x017F;t daher<lb/>
hier nicht zweifelhaft. Der Kai&#x017F;er hat hin&#x017F;ichtlich der Ueberwachung<lb/>
der Einzel&#x017F;taaten das formelle Recht der Ernennung und Beiord-<lb/>
nung der Reichszollcontroleure und Bevollmächtigten. Die materielle<lb/>
Ent&#x017F;cheidung aber über die von ihnen er&#x017F;tatteten Anzeigen und die<lb/>
Sicherung gleichmäßiger Auslegung und Handhabung der Zoll-<lb/>
und Steuerge&#x017F;etze i&#x017F;t dem Bundesrath zugewie&#x017F;en. Er i&#x017F;t in die&#x017F;er<lb/>
Hin&#x017F;icht an die Stelle der alten Zollvereins-Conferenz getreten,<lb/>
nur daß &#x017F;eine Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e nicht mehr den Charakter des völkerrecht-<lb/>
lichen Vertrages, &#x017F;ondern den der Ent&#x017F;cheidung einer ober&#x017F;ten<lb/>
Behörde haben. Der Bundesrath i&#x017F;t in Zoll- und Steuer&#x017F;achen<lb/>
eine <hi rendition="#g">Central-Verwaltungsbehörde</hi> des Reiches, die über<lb/>
den Selb&#x017F;tverwaltungs-Behörden der Einzel&#x017F;taaten &#x017F;tehende Control-<lb/>
behörde, welche wie ein höch&#x017F;ter Verwaltungsgerichtshof dafür<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0278] §. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches. „über Mängel, welche bei der Ausführung der gemein- ſchaftlichen Geſetzgebung (Art. 35) hervortreten“ alſo mit ausdrücklicher, durch die Anführung des Art. 35 bewirkter Beſchränkung auf die Zoll- und Steuergeſetze und im Anſchluß an die Faſſung des Art. 34 des Zollvereins-Vertrages von 1865. Auch der Zollvereinsvertrag vom 8. Juli 1867 Art. 8 §. 12 wiederholt dieſelbe Beſtimmung und in der Reichsverfaſſung iſt nur eine redactionelle Aenderung eingetreten. Der Zoll-Bundes- rath war gleichſam der Erbe der Zollconferenz, nur befreit von dem Drucke des Unanimitätsprinzips 1). Art. 36 Abſ. 2 der Reichsverfaſſung verleiht dem Kaiſer das Recht und die Pflicht, die Einhaltung des geſetzlichen Ver- fahrens Seitens der Landesbehörden durch Reichsbeamte, welche er den Zoll- und Steuerämtern und den Directivbehörden beiordnet, zu überwachen. Abſ. 3 fügt hinzu: „Die von dieſen Beamten über Mängel bei der Ausführung der gemeinſchaftlichen Geſetzgebung (Art. 35) gemachten An- zeigen werden dem Bundesrathe zur Beſchlußnahme vor- gelegt.“ Das Verhältniß zwiſchen Kaiſer und Bundesrath iſt daher hier nicht zweifelhaft. Der Kaiſer hat hinſichtlich der Ueberwachung der Einzelſtaaten das formelle Recht der Ernennung und Beiord- nung der Reichszollcontroleure und Bevollmächtigten. Die materielle Entſcheidung aber über die von ihnen erſtatteten Anzeigen und die Sicherung gleichmäßiger Auslegung und Handhabung der Zoll- und Steuergeſetze iſt dem Bundesrath zugewieſen. Er iſt in dieſer Hinſicht an die Stelle der alten Zollvereins-Conferenz getreten, nur daß ſeine Beſchlüſſe nicht mehr den Charakter des völkerrecht- lichen Vertrages, ſondern den der Entſcheidung einer oberſten Behörde haben. Der Bundesrath iſt in Zoll- und Steuerſachen eine Central-Verwaltungsbehörde des Reiches, die über den Selbſtverwaltungs-Behörden der Einzelſtaaten ſtehende Control- behörde, welche wie ein höchſter Verwaltungsgerichtshof dafür 1) Schlußprotokoll v. 8. Juli 1867 Nr. 9 zu Art. 8 §. 12 des Zollver- eins-Vertrages: „Die Functionen, welche durch die im §. 1 des gegenwärtigen Protokolls bezeichneten Beſtimmungen, Abreden und Vereinbarungen der Ge- neral-Conferenz übertragen ſind, gehen auf den Bundesrath des Zollvereins über.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/278
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/278>, abgerufen am 24.11.2024.