Der deutsche Bund war kein staatliches Gemeinwesen, sondern ein Gebilde des Völkerrechts; er stand in rechtlicher Beziehung lediglich unter völkerrechtlichen Regeln. Auch seine Auflösung ist ausschließlich nach völkerrechtlichen Grundsätzen zu beurtheilen. Für Zweifel, wie sie die Beendigungsweise des alten deutschen Reiches in Be- treff der rechtlichen Würdigung des Vorganges hervorrief 1), bietet die Auflösung des deutschen Bundes keinen Raum. Mag man politisch über die Ereignisse des Jahres 1866 denken wie man wolle, mag man die Auflösung des alten völkerrechtlichen Staaten- verbandes vielleicht beklagen: für die rechtliche Beurtheilung kommt nur die Thatsache in Betracht, daß die Auflösung des Bundes- verhältnisses unter dem einstimmigen Consens aller Staaten erfolgt ist, welche einen Rechtsanspruch auf dessen Fortbestand hätten gel- tend machen können.
Es ergiebt sich zugleich noch ein anderes Resultat. Man kann die Auflösung des deutschen Bundes auch hinsichtlich ihrer recht- lichen Wirkungen nicht mit der des alten deutschen Reiches auf gleiche Linie stellen 2). Das Reich hatte staatliche Rechte, war überhaupt ein staatliches, formell mit souveräner Gewalt ausge- stattetes Subject. In seine Rechte konnte daher eine Succession stattfinden und zwar succedirte in der That jeder Staatssouverän für sein Gebiet in diejenigen Hoheitsrechte, welche das Reich bis zu seiner Auflösung hatte. Das Reich konnte ferner Gesetze geben, welche wegen ihres Ursprungs formell gemeinrechtliche Kraft und Geltung hatten und welche trotz der Auflösung des Reiches diese Bedeutung behielten, bis sie durch die souverain gewordene Landes- staatsgewalt beseitigt wurden. Der deutsche Bund war ein völker- rechtliches Verhältniß. Mit seiner Auflösung war dasselbe nach allen Seiten hin beendet; es wurde freilich nicht "rückwärts" an- nullirt, aber für die Zukunft vollständig beseitigt; es giebt weder eine Succession in Bundesrechte, noch eine Fortwirkung von Bundesbeschlüssen, soweit nicht erworbene Rechte durch die- selben zu Zeiten des Bundes schon begründet waren. Der Bund
1) Vgl. H. Schulze, Einleitung S. 281 Note 10.
2) So namentlich Zachariä in der angef. Vorrede S. IV. u. Schulze a. a. O. S. 403. Im Wesentlichen auch v. Rönne Reichsverfassung S. 27. u. Preuß. Staatsr. I. 2 S. 740 (3. Aufl.).
§. 1. Die Auflöſung des deutſchen Bundes.
Der deutſche Bund war kein ſtaatliches Gemeinweſen, ſondern ein Gebilde des Völkerrechts; er ſtand in rechtlicher Beziehung lediglich unter völkerrechtlichen Regeln. Auch ſeine Auflöſung iſt ausſchließlich nach völkerrechtlichen Grundſätzen zu beurtheilen. Für Zweifel, wie ſie die Beendigungsweiſe des alten deutſchen Reiches in Be- treff der rechtlichen Würdigung des Vorganges hervorrief 1), bietet die Auflöſung des deutſchen Bundes keinen Raum. Mag man politiſch über die Ereigniſſe des Jahres 1866 denken wie man wolle, mag man die Auflöſung des alten völkerrechtlichen Staaten- verbandes vielleicht beklagen: für die rechtliche Beurtheilung kommt nur die Thatſache in Betracht, daß die Auflöſung des Bundes- verhältniſſes unter dem einſtimmigen Conſens aller Staaten erfolgt iſt, welche einen Rechtsanſpruch auf deſſen Fortbeſtand hätten gel- tend machen können.
Es ergiebt ſich zugleich noch ein anderes Reſultat. Man kann die Auflöſung des deutſchen Bundes auch hinſichtlich ihrer recht- lichen Wirkungen nicht mit der des alten deutſchen Reiches auf gleiche Linie ſtellen 2). Das Reich hatte ſtaatliche Rechte, war überhaupt ein ſtaatliches, formell mit ſouveräner Gewalt ausge- ſtattetes Subject. In ſeine Rechte konnte daher eine Succeſſion ſtattfinden und zwar ſuccedirte in der That jeder Staatsſouverän für ſein Gebiet in diejenigen Hoheitsrechte, welche das Reich bis zu ſeiner Auflöſung hatte. Das Reich konnte ferner Geſetze geben, welche wegen ihres Urſprungs formell gemeinrechtliche Kraft und Geltung hatten und welche trotz der Auflöſung des Reiches dieſe Bedeutung behielten, bis ſie durch die ſouverain gewordene Landes- ſtaatsgewalt beſeitigt wurden. Der deutſche Bund war ein völker- rechtliches Verhältniß. Mit ſeiner Auflöſung war daſſelbe nach allen Seiten hin beendet; es wurde freilich nicht „rückwärts“ an- nullirt, aber für die Zukunft vollſtändig beſeitigt; es giebt weder eine Succeſſion in Bundesrechte, noch eine Fortwirkung von Bundesbeſchlüſſen, ſoweit nicht erworbene Rechte durch die- ſelben zu Zeiten des Bundes ſchon begründet waren. Der Bund
1) Vgl. H. Schulze, Einleitung S. 281 Note 10.
2) So namentlich Zachariä in der angef. Vorrede S. IV. u. Schulze a. a. O. S. 403. Im Weſentlichen auch v. Rönne Reichsverfaſſung S. 27. u. Preuß. Staatsr. I. 2 S. 740 (3. Aufl.).
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§. 1. Die Auflöſung des deutſchen Bundes.
Der deutſche Bund war kein ſtaatliches Gemeinweſen, ſondern ein
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nach völkerrechtlichen Grundſätzen zu beurtheilen. Für Zweifel,
wie ſie die Beendigungsweiſe des alten deutſchen Reiches in Be-
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politiſch über die Ereigniſſe des Jahres 1866 denken wie man
wolle, mag man die Auflöſung des alten völkerrechtlichen Staaten-
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nur die Thatſache in Betracht, daß die Auflöſung des Bundes-
verhältniſſes unter dem einſtimmigen Conſens aller Staaten erfolgt
iſt, welche einen Rechtsanſpruch auf deſſen Fortbeſtand hätten gel-
tend machen können.
Es ergiebt ſich zugleich noch ein anderes Reſultat. Man kann
die Auflöſung des deutſchen Bundes auch hinſichtlich ihrer recht-
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gleiche Linie ſtellen 2). Das Reich hatte ſtaatliche Rechte, war
überhaupt ein ſtaatliches, formell mit ſouveräner Gewalt ausge-
ſtattetes Subject. In ſeine Rechte konnte daher eine Succeſſion
ſtattfinden und zwar ſuccedirte in der That jeder Staatsſouverän
für ſein Gebiet in diejenigen Hoheitsrechte, welche das Reich bis
zu ſeiner Auflöſung hatte. Das Reich konnte ferner Geſetze geben,
welche wegen ihres Urſprungs formell gemeinrechtliche Kraft und
Geltung hatten und welche trotz der Auflöſung des Reiches dieſe
Bedeutung behielten, bis ſie durch die ſouverain gewordene Landes-
ſtaatsgewalt beſeitigt wurden. Der deutſche Bund war ein völker-
rechtliches Verhältniß. Mit ſeiner Auflöſung war daſſelbe nach
allen Seiten hin beendet; es wurde freilich nicht „rückwärts“ an-
nullirt, aber für die Zukunft vollſtändig beſeitigt; es giebt
weder eine Succeſſion in Bundesrechte, noch eine Fortwirkung
von Bundesbeſchlüſſen, ſoweit nicht erworbene Rechte durch die-
ſelben zu Zeiten des Bundes ſchon begründet waren. Der Bund
1) Vgl. H. Schulze, Einleitung S. 281 Note 10.
2) So namentlich Zachariä in der angef. Vorrede S. IV. u. Schulze
a. a. O. S. 403. Im Weſentlichen auch v. Rönne Reichsverfaſſung S. 27.
u. Preuß. Staatsr. I. 2 S. 740 (3. Aufl.).
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/28>, abgerufen am 21.11.2024.
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