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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.
Publikationspatente enthalten außer der Publikationsclausel die
Bestimmung, daß diese Verfassung in den betreffenden Staatsge-
bieten
"am 1. Juli 1867 in Kraft treten soll" 1).

Die juristische Bedeutung dieses legislativen Aktes ist mehr-
fach mißverstanden worden.

Seydel2) schließt aus diesen Publikationen, daß die mit
dem norddeutschen Reichstage vereinbarte Verfassung gleich-
mäßiges Landesgesetz
sämmtlicher verbündeten Staaten ge-
worden sei 3). Die norddeutsche Bundesverfassung sei Landesrecht
jedes Bundesstaates geworden, nicht mehr, nicht weniger. Er zieht
daraus die Folgerung, daß alle auf Grund der Bundesverfassung
erlassenen Gesetze ihre Giltigkeit von einem Landesverfassungs-
gesetze
ableiten, also wieder Landesgesetze seien und verwerthet
diese Sätze für die juristische Construction des Reiches.

Die Unrichtigkeit dieser Auffassung ist in durchschlagender
Weise von Hänel Studien I. S. 53 ff. 75 ff. dargethan worden.
Er macht mit Recht geltend, daß die Bundesverfassung einen für
das Landesgesetz jedes einzelnen Staates unmöglichen Inhalt hat;
sie setzt einen Verein von Staaten voraus, dessen Organisation sie
bestimmt, ein Landesgesetz aber kann nur solche Gegenstände recht-
lich regeln, welche in das Herrschaftsgebiet dieses Staates fallen,
nicht solche, welche die Coexistenz mehrerer Staaten voraussetzen.
"Die rechtliche Regelung eines solchen Coexistenzverhältnisses liegt
über den Bereich des Herrschaftsverhältnisses jedes einzelnen
Staates und damit irgend eines Landesgesetzes hinaus. Der nord-
deutsche Bund und seine Verfassung konnte darum auch nicht durch

1) Diese Klausel fehlt nur in dem Braunschweigischen Patent vom
15. Juni 1867, welches sich auf die bloße "Verkündigung zur Nachachtung"
beschränkt. (Siehe S. 26. Note 1).
2) Commentar z. Verf.-Urkunde S. 5 fg.
3) Einigen Publikationspatenten liegt dieselbe Rechts-Anschauung
zu Grunde; so wurde die Verf. in Oldenburg verkündet "als Gesetz für das
Großherzogthum", in Schwarzburg-Rudolstadt "als Landesgesetz";
das Lübecker Patent erwähnt die Zustimmung der Bürgerschaft "zu deren
gesetzlicher Geltung für den Lübeckischen Freistaat." Auch H. Schulze Ein-
leitung S. 473 nimmt an, daß "die Bundesverfassung durch die Pu-
blikation Landesgesetz und integrirender Theil der Landesverfassung
geworden ist."

§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.
Publikationspatente enthalten außer der Publikationsclauſel die
Beſtimmung, daß dieſe Verfaſſung in den betreffenden Staatsge-
bieten
„am 1. Juli 1867 in Kraft treten ſoll“ 1).

Die juriſtiſche Bedeutung dieſes legislativen Aktes iſt mehr-
fach mißverſtanden worden.

Seydel2) ſchließt aus dieſen Publikationen, daß die mit
dem norddeutſchen Reichstage vereinbarte Verfaſſung gleich-
mäßiges Landesgeſetz
ſämmtlicher verbündeten Staaten ge-
worden ſei 3). Die norddeutſche Bundesverfaſſung ſei Landesrecht
jedes Bundesſtaates geworden, nicht mehr, nicht weniger. Er zieht
daraus die Folgerung, daß alle auf Grund der Bundesverfaſſung
erlaſſenen Geſetze ihre Giltigkeit von einem Landesverfaſſungs-
geſetze
ableiten, alſo wieder Landesgeſetze ſeien und verwerthet
dieſe Sätze für die juriſtiſche Conſtruction des Reiches.

Die Unrichtigkeit dieſer Auffaſſung iſt in durchſchlagender
Weiſe von Hänel Studien I. S. 53 ff. 75 ff. dargethan worden.
Er macht mit Recht geltend, daß die Bundesverfaſſung einen für
das Landesgeſetz jedes einzelnen Staates unmöglichen Inhalt hat;
ſie ſetzt einen Verein von Staaten voraus, deſſen Organiſation ſie
beſtimmt, ein Landesgeſetz aber kann nur ſolche Gegenſtände recht-
lich regeln, welche in das Herrſchaftsgebiet dieſes Staates fallen,
nicht ſolche, welche die Coexiſtenz mehrerer Staaten vorausſetzen.
„Die rechtliche Regelung eines ſolchen Coëxiſtenzverhältniſſes liegt
über den Bereich des Herrſchaftsverhältniſſes jedes einzelnen
Staates und damit irgend eines Landesgeſetzes hinaus. Der nord-
deutſche Bund und ſeine Verfaſſung konnte darum auch nicht durch

1) Dieſe Klauſel fehlt nur in dem Braunſchweigiſchen Patent vom
15. Juni 1867, welches ſich auf die bloße „Verkündigung zur Nachachtung“
beſchränkt. (Siehe S. 26. Note 1).
2) Commentar z. Verf.-Urkunde S. 5 fg.
3) Einigen Publikationspatenten liegt dieſelbe Rechts-Anſchauung
zu Grunde; ſo wurde die Verf. in Oldenburg verkündet „als Geſetz für das
Großherzogthum“, in Schwarzburg-Rudolſtadt „als Landesgeſetz“;
das Lübecker Patent erwähnt die Zuſtimmung der Bürgerſchaft „zu deren
geſetzlicher Geltung für den Lübeckiſchen Freiſtaat.“ Auch H. Schulze Ein-
leitung S. 473 nimmt an, daß „die Bundesverfaſſung durch die Pu-
blikation Landesgeſetz und integrirender Theil der Landesverfaſſung
geworden iſt.“
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[27/0047] §. 2. Die Gründung des nordd. Bundes. Publikationspatente enthalten außer der Publikationsclauſel die Beſtimmung, daß dieſe Verfaſſung in den betreffenden Staatsge- bieten „am 1. Juli 1867 in Kraft treten ſoll“ 1). Die juriſtiſche Bedeutung dieſes legislativen Aktes iſt mehr- fach mißverſtanden worden. Seydel 2) ſchließt aus dieſen Publikationen, daß die mit dem norddeutſchen Reichstage vereinbarte Verfaſſung gleich- mäßiges Landesgeſetz ſämmtlicher verbündeten Staaten ge- worden ſei 3). Die norddeutſche Bundesverfaſſung ſei Landesrecht jedes Bundesſtaates geworden, nicht mehr, nicht weniger. Er zieht daraus die Folgerung, daß alle auf Grund der Bundesverfaſſung erlaſſenen Geſetze ihre Giltigkeit von einem Landesverfaſſungs- geſetze ableiten, alſo wieder Landesgeſetze ſeien und verwerthet dieſe Sätze für die juriſtiſche Conſtruction des Reiches. Die Unrichtigkeit dieſer Auffaſſung iſt in durchſchlagender Weiſe von Hänel Studien I. S. 53 ff. 75 ff. dargethan worden. Er macht mit Recht geltend, daß die Bundesverfaſſung einen für das Landesgeſetz jedes einzelnen Staates unmöglichen Inhalt hat; ſie ſetzt einen Verein von Staaten voraus, deſſen Organiſation ſie beſtimmt, ein Landesgeſetz aber kann nur ſolche Gegenſtände recht- lich regeln, welche in das Herrſchaftsgebiet dieſes Staates fallen, nicht ſolche, welche die Coexiſtenz mehrerer Staaten vorausſetzen. „Die rechtliche Regelung eines ſolchen Coëxiſtenzverhältniſſes liegt über den Bereich des Herrſchaftsverhältniſſes jedes einzelnen Staates und damit irgend eines Landesgeſetzes hinaus. Der nord- deutſche Bund und ſeine Verfaſſung konnte darum auch nicht durch 1) Dieſe Klauſel fehlt nur in dem Braunſchweigiſchen Patent vom 15. Juni 1867, welches ſich auf die bloße „Verkündigung zur Nachachtung“ beſchränkt. (Siehe S. 26. Note 1). 2) Commentar z. Verf.-Urkunde S. 5 fg. 3) Einigen Publikationspatenten liegt dieſelbe Rechts-Anſchauung zu Grunde; ſo wurde die Verf. in Oldenburg verkündet „als Geſetz für das Großherzogthum“, in Schwarzburg-Rudolſtadt „als Landesgeſetz“; das Lübecker Patent erwähnt die Zuſtimmung der Bürgerſchaft „zu deren geſetzlicher Geltung für den Lübeckiſchen Freiſtaat.“ Auch H. Schulze Ein- leitung S. 473 nimmt an, daß „die Bundesverfaſſung durch die Pu- blikation Landesgeſetz und integrirender Theil der Landesverfaſſung geworden iſt.“

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/47>, abgerufen am 24.11.2024.