§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
d) "Personen, denen in Folge rechtskräftigen Erkenntnisses der Vollgenuß der staatsbürgerlichen Rechte entzogen ist, für die Zeit der Entziehung, sofern sie nicht in diese Rechte wieder einge- setzt sind." Vgl. Reichsstrafgesetzbuch §. 34 Nr. 4.
Von dieser Bestimmung ist aber hinsichtlich der Zeitdauer eine Ausnahme gemacht, wenn der Vollgenuß der staatsbürgerlichen Rechte wegen politischer Vergehen oder Verbrechen ent- zogen ist. Alsdann tritt die Berechtigung zum Wählen wieder ein, sobald die außerdem erkannte Strafe vollstreckt oder durch Be- gnadigung erlassen ist 1). Für das Verständniß der Gründe, aus denen diese Ausnahme hinzugefügt worden ist, kömmt die That- sache in Betracht, daß das Wahlgesetz vor dem Strafgesetzbuch erlassen worden ist und sonach noch auf die älteren Landes-Straf- gesetzbücher sich bezieht. Nach vielen derselben zogen gewisse Strafen, insbesondere die Zuchthausstrafe, mit Nothwendigkeit den Verlust der staatsbürgerlichen Rechte nach sich und bei schweren Fällen des Hochverraths und Landesverrathes, der Majestätsbeleidigung, der Verbrechen in Beziehung auf die Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte u. s. w. mußte auf Zuchthausstrafe erkannt werden, theils unbedingt, theils wenn nicht mildernde Umstände angenommen wurden 2). Derartige Bestimmungen der Strafgesetze ließen es angemessen erscheinen hinsichtlich des Wahlrechts eine Ausnahme zu machen, wofern das Verbrechen oder Vergehen nicht aus einer ehrlosen Gesinnung, sondern aus politischen Beweggründen ent- sprungen ist.
Da eine Aufzählung derjenigen Verbrechen oder Vergehen, bei denen diese Ausnahme Platz greifen sollte, schon wegen der Mannigfaltigkeit der herrschenden Strafgesetzbücher nicht möglich war, so bezeichnete man sie allgemein als "politische Vergehen oder Verbrechen." Das ist nun allerdings kein festbestimmter Rechts- begriff und weder die älteren Gesetze noch das Reichsstrafgesetzbuch bezeichnen bestimmte Delicte oder Kategorien derselben als politische. Nach dem objektiven Thatbestande des Delicts läßt sich dieser Begriff
geldlichen Schulunterrichts keine Armenunterstützung sei, vgl. Stenogr. Ber. 1874 I. Sess. S. 276.
1) Wahlges. §. 3 Z. 4 Abs. 2.
2) Dies galt namentlich auch vom Preuß. Strafgesetzbuch; vgl. z. B. §§. 63 ff. 74 ff. 78. 82. 83. 91 Abs. 2 u. s. w.
§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
d) „Perſonen, denen in Folge rechtskräftigen Erkenntniſſes der Vollgenuß der ſtaatsbürgerlichen Rechte entzogen iſt, für die Zeit der Entziehung, ſofern ſie nicht in dieſe Rechte wieder einge- ſetzt ſind.“ Vgl. Reichsſtrafgeſetzbuch §. 34 Nr. 4.
Von dieſer Beſtimmung iſt aber hinſichtlich der Zeitdauer eine Ausnahme gemacht, wenn der Vollgenuß der ſtaatsbürgerlichen Rechte wegen politiſcher Vergehen oder Verbrechen ent- zogen iſt. Alsdann tritt die Berechtigung zum Wählen wieder ein, ſobald die außerdem erkannte Strafe vollſtreckt oder durch Be- gnadigung erlaſſen iſt 1). Für das Verſtändniß der Gründe, aus denen dieſe Ausnahme hinzugefügt worden iſt, kömmt die That- ſache in Betracht, daß das Wahlgeſetz vor dem Strafgeſetzbuch erlaſſen worden iſt und ſonach noch auf die älteren Landes-Straf- geſetzbücher ſich bezieht. Nach vielen derſelben zogen gewiſſe Strafen, insbeſondere die Zuchthausſtrafe, mit Nothwendigkeit den Verluſt der ſtaatsbürgerlichen Rechte nach ſich und bei ſchweren Fällen des Hochverraths und Landesverrathes, der Majeſtätsbeleidigung, der Verbrechen in Beziehung auf die Ausübung der ſtaatsbürgerlichen Rechte u. ſ. w. mußte auf Zuchthausſtrafe erkannt werden, theils unbedingt, theils wenn nicht mildernde Umſtände angenommen wurden 2). Derartige Beſtimmungen der Strafgeſetze ließen es angemeſſen erſcheinen hinſichtlich des Wahlrechts eine Ausnahme zu machen, wofern das Verbrechen oder Vergehen nicht aus einer ehrloſen Geſinnung, ſondern aus politiſchen Beweggründen ent- ſprungen iſt.
Da eine Aufzählung derjenigen Verbrechen oder Vergehen, bei denen dieſe Ausnahme Platz greifen ſollte, ſchon wegen der Mannigfaltigkeit der herrſchenden Strafgeſetzbücher nicht möglich war, ſo bezeichnete man ſie allgemein als „politiſche Vergehen oder Verbrechen.“ Das iſt nun allerdings kein feſtbeſtimmter Rechts- begriff und weder die älteren Geſetze noch das Reichsſtrafgeſetzbuch bezeichnen beſtimmte Delicte oder Kategorien derſelben als politiſche. Nach dem objektiven Thatbeſtande des Delicts läßt ſich dieſer Begriff
geldlichen Schulunterrichts keine Armenunterſtützung ſei, vgl. Stenogr. Ber. 1874 I. Seſſ. S. 276.
1) Wahlgeſ. §. 3 Z. 4 Abſ. 2.
2) Dies galt namentlich auch vom Preuß. Strafgeſetzbuch; vgl. z. B. §§. 63 ff. 74 ff. 78. 82. 83. 91 Abſ. 2 u. ſ. w.
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d) „Perſonen, denen in Folge rechtskräftigen Erkenntniſſes
der Vollgenuß der ſtaatsbürgerlichen Rechte entzogen iſt, für die
Zeit der Entziehung, ſofern ſie nicht in dieſe Rechte wieder einge-
ſetzt ſind.“ Vgl. Reichsſtrafgeſetzbuch §. 34 Nr. 4.
Von dieſer Beſtimmung iſt aber hinſichtlich der Zeitdauer eine
Ausnahme gemacht, wenn der Vollgenuß der ſtaatsbürgerlichen
Rechte wegen politiſcher Vergehen oder Verbrechen ent-
zogen iſt. Alsdann tritt die Berechtigung zum Wählen wieder
ein, ſobald die außerdem erkannte Strafe vollſtreckt oder durch Be-
gnadigung erlaſſen iſt 1). Für das Verſtändniß der Gründe, aus
denen dieſe Ausnahme hinzugefügt worden iſt, kömmt die That-
ſache in Betracht, daß das Wahlgeſetz vor dem Strafgeſetzbuch
erlaſſen worden iſt und ſonach noch auf die älteren Landes-Straf-
geſetzbücher ſich bezieht. Nach vielen derſelben zogen gewiſſe Strafen,
insbeſondere die Zuchthausſtrafe, mit Nothwendigkeit den Verluſt
der ſtaatsbürgerlichen Rechte nach ſich und bei ſchweren Fällen des
Hochverraths und Landesverrathes, der Majeſtätsbeleidigung, der
Verbrechen in Beziehung auf die Ausübung der ſtaatsbürgerlichen
Rechte u. ſ. w. mußte auf Zuchthausſtrafe erkannt werden, theils
unbedingt, theils wenn nicht mildernde Umſtände angenommen
wurden 2). Derartige Beſtimmungen der Strafgeſetze ließen es
angemeſſen erſcheinen hinſichtlich des Wahlrechts eine Ausnahme
zu machen, wofern das Verbrechen oder Vergehen nicht aus einer
ehrloſen Geſinnung, ſondern aus politiſchen Beweggründen ent-
ſprungen iſt.
Da eine Aufzählung derjenigen Verbrechen oder Vergehen,
bei denen dieſe Ausnahme Platz greifen ſollte, ſchon wegen der
Mannigfaltigkeit der herrſchenden Strafgeſetzbücher nicht möglich
war, ſo bezeichnete man ſie allgemein als „politiſche Vergehen oder
Verbrechen.“ Das iſt nun allerdings kein feſtbeſtimmter Rechts-
begriff und weder die älteren Geſetze noch das Reichsſtrafgeſetzbuch
bezeichnen beſtimmte Delicte oder Kategorien derſelben als politiſche.
Nach dem objektiven Thatbeſtande des Delicts läßt ſich dieſer Begriff
4)
1) Wahlgeſ. §. 3 Z. 4 Abſ. 2.
2) Dies galt namentlich auch vom Preuß. Strafgeſetzbuch; vgl. z. B.
§§. 63 ff. 74 ff. 78. 82. 83. 91 Abſ. 2 u. ſ. w.
4) geldlichen Schulunterrichts keine Armenunterſtützung ſei, vgl. Stenogr. Ber.
1874 I. Seſſ. S. 276.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/547>, abgerufen am 22.11.2024.
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