Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 54. Bundesglied und Reichsland. er Landesherr von Preußen und von Lauenburg ist 1); Elsaß-Lothringen steht nicht in Personal-Union mit diesen beiden Staaten. Der Kaiser ist nicht als Vertreter Elsaß-Lothringens Mitglied des Reiches, sondern er ist als Vertreter des Reiches Verwalter der staatlichen Hoheitsrechte über Elsaß-Lothringen. Die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen wurzelt in der Reichsgewalt, ist der Ausfluß der letzteren, welche ihr Fundament in dem Friedensvertrage mit Frankreich hat; sie bildet nicht den Gegenstand eines dem Reich selbstständig gegenüber stehenden, von ihm unabhängigen Rechtes eines Landesherrn 2). Elsaß-Lothringen ist demnach keine Mo- narchie 3), denn es hat keinen persönlichen Landesherrn, und es ist ebensowenig eine Republik, denn die Gesammtheit der Elsaß- Lothringer ist nicht das Subject der Staatsgewalt. Es ist Bestand- theil oder Provinz des Reiches. Das Subjekt der Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen ist das Reich, d. h. die Gesammtheit der zum Reich vereinigten Staaten in ihrer begrifflichen Einheit, in ihrer staatlichen Persönlichkeit 4). Deshalb sind neben dem Kaiser auch die übrigen Organe des 1) Eine Folge dieses Unterschiedes ist die, daß Beleidigungen eines Mit- gliedes des Preußischen Königshauses, welche von Nicht-Preußen in Elsaß- Lothringen verübt werden, nicht nach §§. 96. 97 des R.-St.-G.-B.'s, sondern nach §. 185 ff. zu beurtheilen sind. Vgl. das Urtheil des R.-Oberhan- dels-Gerichts als Kassationshofes für E.-L. vom 15. Mai 1874 in Puchelt's Zeitschrift f. französ. Civilrecht Bd. V. S. 128 fg. 2) Löning a. a. O. S. 185. Mitscher a. a. O. S. 273. 3) Auch nicht "eine Art Monarchie", wie Mitscher S. 279 sagt und einige Mitglieder des Reichstages bei der Berathung des Vereinigungs-Gesetzes anzunehmen schienen, so namentlich v. Treitschke und Römer. Mit diesem Ausdrucke sollte wohl nur der Gegensatz gegen die republikanische Verfassungs- form angedeutet werden. 4) Vgl. auch Meyer Erörterungen S. 49; aber nicht, wie Seydel
S. 31. 93 annimmt, die deutschen Souveräne als socii. Derselbe begriffliche Gegensatz wie zwischen Bundesgliedern und Reichsland besteht in dem Staats- recht der Nordamerikanischen Union zwischen Staaten und Territorien. Vrgl. darüber Rüttimann Nordamer. Bundesstaatsr. II. 2. S. 236 fg. §. 54. Bundesglied und Reichsland. er Landesherr von Preußen und von Lauenburg iſt 1); Elſaß-Lothringen ſteht nicht in Perſonal-Union mit dieſen beiden Staaten. Der Kaiſer iſt nicht als Vertreter Elſaß-Lothringens Mitglied des Reiches, ſondern er iſt als Vertreter des Reiches Verwalter der ſtaatlichen Hoheitsrechte über Elſaß-Lothringen. Die Staatsgewalt in Elſaß-Lothringen wurzelt in der Reichsgewalt, iſt der Ausfluß der letzteren, welche ihr Fundament in dem Friedensvertrage mit Frankreich hat; ſie bildet nicht den Gegenſtand eines dem Reich ſelbſtſtändig gegenüber ſtehenden, von ihm unabhängigen Rechtes eines Landesherrn 2). Elſaß-Lothringen iſt demnach keine Mo- narchie 3), denn es hat keinen perſönlichen Landesherrn, und es iſt ebenſowenig eine Republik, denn die Geſammtheit der Elſaß- Lothringer iſt nicht das Subject der Staatsgewalt. Es iſt Beſtand- theil oder Provinz des Reiches. Das Subjekt der Staatsgewalt in Elſaß-Lothringen iſt das Reich, d. h. die Geſammtheit der zum Reich vereinigten Staaten in ihrer begrifflichen Einheit, in ihrer ſtaatlichen Perſönlichkeit 4). Deshalb ſind neben dem Kaiſer auch die übrigen Organe des 1) Eine Folge dieſes Unterſchiedes iſt die, daß Beleidigungen eines Mit- gliedes des Preußiſchen Königshauſes, welche von Nicht-Preußen in Elſaß- Lothringen verübt werden, nicht nach §§. 96. 97 des R.-St.-G.-B.’s, ſondern nach §. 185 ff. zu beurtheilen ſind. Vgl. das Urtheil des R.-Oberhan- dels-Gerichts als Kaſſationshofes für E.-L. vom 15. Mai 1874 in Puchelt’s Zeitſchrift f. franzöſ. Civilrecht Bd. V. S. 128 fg. 2) Löning a. a. O. S. 185. Mitſcher a. a. O. S. 273. 3) Auch nicht „eine Art Monarchie“, wie Mitſcher S. 279 ſagt und einige Mitglieder des Reichstages bei der Berathung des Vereinigungs-Geſetzes anzunehmen ſchienen, ſo namentlich v. Treitſchke und Römer. Mit dieſem Ausdrucke ſollte wohl nur der Gegenſatz gegen die republikaniſche Verfaſſungs- form angedeutet werden. 4) Vgl. auch Meyer Erörterungen S. 49; aber nicht, wie Seydel
S. 31. 93 annimmt, die deutſchen Souveräne als socii. Derſelbe begriffliche Gegenſatz wie zwiſchen Bundesgliedern und Reichsland beſteht in dem Staats- recht der Nordamerikaniſchen Union zwiſchen Staaten und Territorien. Vrgl. darüber Rüttimann Nordamer. Bundesſtaatsr. II. 2. S. 236 fg. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0604" n="584"/><fw place="top" type="header">§. 54. Bundesglied und Reichsland.</fw><lb/> er Landesherr von Preußen und von Lauenburg iſt <note place="foot" n="1)">Eine Folge dieſes <choice><sic>Uuterſchiedes</sic><corr>Unterſchiedes</corr></choice> iſt die, daß Beleidigungen eines Mit-<lb/> gliedes des Preußiſchen Königshauſes, welche von Nicht-Preußen in Elſaß-<lb/> Lothringen verübt werden, nicht nach §§. 96. 97 des R.-St.-G.-B.’s, ſondern<lb/> nach §. 185 ff. zu beurtheilen ſind. Vgl. das <hi rendition="#g">Urtheil des R.-Oberhan-<lb/> dels-Gerichts</hi> als <hi rendition="#g">Kaſſationshofes</hi> für E.-L. vom 15. Mai 1874 in<lb/><hi rendition="#g">Puchelt</hi>’s Zeitſchrift f. franzöſ. Civilrecht Bd. <hi rendition="#aq">V.</hi> S. 128 fg.</note>; Elſaß-<lb/> Lothringen ſteht nicht in Perſonal-Union mit dieſen beiden Staaten.<lb/> Der Kaiſer iſt nicht als Vertreter Elſaß-Lothringens Mitglied des<lb/> Reiches, ſondern er iſt als Vertreter des Reiches Verwalter der<lb/> ſtaatlichen Hoheitsrechte über Elſaß-Lothringen. Die Staatsgewalt<lb/> in Elſaß-Lothringen wurzelt in der Reichsgewalt, iſt der Ausfluß<lb/> der letzteren, welche ihr Fundament in dem Friedensvertrage mit<lb/> Frankreich hat; ſie bildet nicht den Gegenſtand eines dem Reich<lb/> ſelbſtſtändig gegenüber ſtehenden, von ihm unabhängigen Rechtes<lb/> eines Landesherrn <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Löning</hi> a. a. O. S. 185. <hi rendition="#g">Mitſcher</hi> a. a. O. S. 273.</note>. Elſaß-Lothringen iſt demnach keine Mo-<lb/> narchie <note place="foot" n="3)">Auch nicht „eine Art Monarchie“, wie <hi rendition="#g">Mitſcher</hi> S. 279 ſagt und<lb/> einige Mitglieder des Reichstages bei der Berathung des Vereinigungs-Geſetzes<lb/> anzunehmen ſchienen, ſo namentlich v. <hi rendition="#g">Treitſchke</hi> und <hi rendition="#g">Römer</hi>. Mit dieſem<lb/> Ausdrucke ſollte wohl nur der Gegenſatz gegen die republikaniſche Verfaſſungs-<lb/> form angedeutet werden.</note>, denn es hat keinen perſönlichen Landesherrn, und es<lb/> iſt ebenſowenig eine Republik, denn die Geſammtheit der Elſaß-<lb/> Lothringer iſt nicht das Subject der Staatsgewalt. Es iſt Beſtand-<lb/> theil oder Provinz des Reiches. Das Subjekt der Staatsgewalt<lb/> in Elſaß-Lothringen iſt das Reich, d. h. die Geſammtheit der zum<lb/> Reich vereinigten Staaten in ihrer begrifflichen Einheit, in ihrer<lb/> ſtaatlichen Perſönlichkeit <note place="foot" n="4)">Vgl. auch <hi rendition="#g">Meyer</hi> Erörterungen S. 49; aber nicht, wie <hi rendition="#g">Seydel</hi><lb/> S. 31. 93 annimmt, die deutſchen Souveräne als <hi rendition="#aq">socii.</hi> Derſelbe begriffliche<lb/> Gegenſatz wie zwiſchen Bundesgliedern und Reichsland beſteht in dem Staats-<lb/> recht der Nordamerikaniſchen Union zwiſchen Staaten und Territorien. Vrgl.<lb/> darüber <hi rendition="#g">Rüttimann</hi> Nordamer. Bundesſtaatsr. <hi rendition="#aq">II.</hi> 2. S. 236 fg.</note>.</p><lb/> <p>Deshalb ſind neben dem Kaiſer auch die übrigen Organe des<lb/> Reiches an der Ausübung der Staatsgewalt mit betheiligt. Schon<lb/> das Geſetz vom 9. Juni 1871 §. 3 band den Kaiſer bei Ausübung<lb/> der Geſetzgebung an die Zuſtimmung des Bundesrathes und ſchrieb<lb/> vor, daß dem Reichstage über die erlaſſenen Geſetze und allge-<lb/> meinen Anordnungen und über den Fortgang der Verwaltung<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [584/0604]
§. 54. Bundesglied und Reichsland.
er Landesherr von Preußen und von Lauenburg iſt 1); Elſaß-
Lothringen ſteht nicht in Perſonal-Union mit dieſen beiden Staaten.
Der Kaiſer iſt nicht als Vertreter Elſaß-Lothringens Mitglied des
Reiches, ſondern er iſt als Vertreter des Reiches Verwalter der
ſtaatlichen Hoheitsrechte über Elſaß-Lothringen. Die Staatsgewalt
in Elſaß-Lothringen wurzelt in der Reichsgewalt, iſt der Ausfluß
der letzteren, welche ihr Fundament in dem Friedensvertrage mit
Frankreich hat; ſie bildet nicht den Gegenſtand eines dem Reich
ſelbſtſtändig gegenüber ſtehenden, von ihm unabhängigen Rechtes
eines Landesherrn 2). Elſaß-Lothringen iſt demnach keine Mo-
narchie 3), denn es hat keinen perſönlichen Landesherrn, und es
iſt ebenſowenig eine Republik, denn die Geſammtheit der Elſaß-
Lothringer iſt nicht das Subject der Staatsgewalt. Es iſt Beſtand-
theil oder Provinz des Reiches. Das Subjekt der Staatsgewalt
in Elſaß-Lothringen iſt das Reich, d. h. die Geſammtheit der zum
Reich vereinigten Staaten in ihrer begrifflichen Einheit, in ihrer
ſtaatlichen Perſönlichkeit 4).
Deshalb ſind neben dem Kaiſer auch die übrigen Organe des
Reiches an der Ausübung der Staatsgewalt mit betheiligt. Schon
das Geſetz vom 9. Juni 1871 §. 3 band den Kaiſer bei Ausübung
der Geſetzgebung an die Zuſtimmung des Bundesrathes und ſchrieb
vor, daß dem Reichstage über die erlaſſenen Geſetze und allge-
meinen Anordnungen und über den Fortgang der Verwaltung
1) Eine Folge dieſes Unterſchiedes iſt die, daß Beleidigungen eines Mit-
gliedes des Preußiſchen Königshauſes, welche von Nicht-Preußen in Elſaß-
Lothringen verübt werden, nicht nach §§. 96. 97 des R.-St.-G.-B.’s, ſondern
nach §. 185 ff. zu beurtheilen ſind. Vgl. das Urtheil des R.-Oberhan-
dels-Gerichts als Kaſſationshofes für E.-L. vom 15. Mai 1874 in
Puchelt’s Zeitſchrift f. franzöſ. Civilrecht Bd. V. S. 128 fg.
2) Löning a. a. O. S. 185. Mitſcher a. a. O. S. 273.
3) Auch nicht „eine Art Monarchie“, wie Mitſcher S. 279 ſagt und
einige Mitglieder des Reichstages bei der Berathung des Vereinigungs-Geſetzes
anzunehmen ſchienen, ſo namentlich v. Treitſchke und Römer. Mit dieſem
Ausdrucke ſollte wohl nur der Gegenſatz gegen die republikaniſche Verfaſſungs-
form angedeutet werden.
4) Vgl. auch Meyer Erörterungen S. 49; aber nicht, wie Seydel
S. 31. 93 annimmt, die deutſchen Souveräne als socii. Derſelbe begriffliche
Gegenſatz wie zwiſchen Bundesgliedern und Reichsland beſteht in dem Staats-
recht der Nordamerikaniſchen Union zwiſchen Staaten und Territorien. Vrgl.
darüber Rüttimann Nordamer. Bundesſtaatsr. II. 2. S. 236 fg.
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