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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 54. Bundesglied und Reichsland.
stand an Rechtssätzen, soweit derselbe nicht entweder durch die
Trennung des Landes von Frankreich und die Einverleibung in
Deutschland thatsächlich unanwendbar geworden oder durch die
vom Reich (Kaiser) erlassenen Landes- oder Reichsgesetze rechtlich
aufgehoben oder verändert worden ist. Dies gilt nicht blos hin-
sichtlich des Privatrechts und Prozesses, sondern in demselben Um-
fange auch von dem Verwaltungsrecht und überhaupt von den Vor-
schriften, welche den Inhalt, die Ausübung und die Gränzen der
Staatsgewalt betreffen 1).

V. Der Gegensatz zwischen dem Reichslande und den Einzel-
staaten, welche Mitglieder des Reiches sind, zeigt sich in höchst
prägnanter Weise darin, daß Elsaß-Lothringen keine Mitglied-
schaftsrechte
hat. Die Aufgaben, welche das Reich zu erfüllen
hat, nämlich das Bundesgebiet und das innerhalb desselben gültige
Recht zu schützen und die Wohlfahrt des Deutschen Volkes zu
pflegen, erfüllt es auch für Elsaß-Lothringen; das Reichsland nimmt
an dem staatlichen Leben des Deutschen Reiches materiell einen
uneingeschränkten Antheil, aber formell nicht als Bundesglied son-
dern wie eine Provinz. Die Mitgliedschaftsrechte kommen vorzugs-
weise zur Geltung und Ausübung im Bundesrathe und es giebt
deshalb keinen Mitgliedstaat, der nicht im Bundesrathe eine Stimme
hätte. Das Reichsland dagegen führt im Bundesrath keine Stimme.

Bei der Vereinigung Elsaß-Lothringens mit dem Reiche hatte
die Regierung die Absicht, Elsaß-Lothringen in irgend einer Art
einen Antheil am Bundesrathe zu gewähren 2). Diese Absicht
ist aber unausgeführt geblieben und wird mit Nothwendigkeit so
lange unausgeführt bleiben müssen, als Elsaß-Lothringen Reichs-
land bleibt. Zwar ist laut Bekanntmachung v. 14. Mai 1875 3)
der Kaiserliche Ober-Präsident von Elsaß-Lothringen vom Könige

1) Vrgl. Löning a. a. O. S. 189 fg. Mitscher a. a. O. S. 277.
Eine ausdrückliche gesetzliche Anerkennung, daß französ. Gesetze, welche die
Befugnisse der Ministerien regeln, in Elsaß-Lothringen "in Geltung stehen",
enthält das Ges. v. 30. Dez. 1871 §. 6 letzter Absatz. (G.-Bl. 1872 S. 52.)
2) Vgl. die Motive zum Vereinigungs-Gesetz unter II. und den Kom-
missionsbericht
des Reichstags zu Abs. 3 des §. 2. Ferner erklärte Fürst
von Bismarck in der Reichstagssitzung v. 3. Juni 1871, es sei sein Wunsch,
daß die verbündeten Regierungen im Bundesrathe Elsäßer Mitglieder mit
consultativem Votum
zulassen. (Stenogr. Ber. S. 1001.)
3) R.-G.-Bl. S. 219.

§. 54. Bundesglied und Reichsland.
ſtand an Rechtsſätzen, ſoweit derſelbe nicht entweder durch die
Trennung des Landes von Frankreich und die Einverleibung in
Deutſchland thatſächlich unanwendbar geworden oder durch die
vom Reich (Kaiſer) erlaſſenen Landes- oder Reichsgeſetze rechtlich
aufgehoben oder verändert worden iſt. Dies gilt nicht blos hin-
ſichtlich des Privatrechts und Prozeſſes, ſondern in demſelben Um-
fange auch von dem Verwaltungsrecht und überhaupt von den Vor-
ſchriften, welche den Inhalt, die Ausübung und die Gränzen der
Staatsgewalt betreffen 1).

V. Der Gegenſatz zwiſchen dem Reichslande und den Einzel-
ſtaaten, welche Mitglieder des Reiches ſind, zeigt ſich in höchſt
prägnanter Weiſe darin, daß Elſaß-Lothringen keine Mitglied-
ſchaftsrechte
hat. Die Aufgaben, welche das Reich zu erfüllen
hat, nämlich das Bundesgebiet und das innerhalb deſſelben gültige
Recht zu ſchützen und die Wohlfahrt des Deutſchen Volkes zu
pflegen, erfüllt es auch für Elſaß-Lothringen; das Reichsland nimmt
an dem ſtaatlichen Leben des Deutſchen Reiches materiell einen
uneingeſchränkten Antheil, aber formell nicht als Bundesglied ſon-
dern wie eine Provinz. Die Mitgliedſchaftsrechte kommen vorzugs-
weiſe zur Geltung und Ausübung im Bundesrathe und es giebt
deshalb keinen Mitgliedſtaat, der nicht im Bundesrathe eine Stimme
hätte. Das Reichsland dagegen führt im Bundesrath keine Stimme.

Bei der Vereinigung Elſaß-Lothringens mit dem Reiche hatte
die Regierung die Abſicht, Elſaß-Lothringen in irgend einer Art
einen Antheil am Bundesrathe zu gewähren 2). Dieſe Abſicht
iſt aber unausgeführt geblieben und wird mit Nothwendigkeit ſo
lange unausgeführt bleiben müſſen, als Elſaß-Lothringen Reichs-
land bleibt. Zwar iſt laut Bekanntmachung v. 14. Mai 1875 3)
der Kaiſerliche Ober-Präſident von Elſaß-Lothringen vom Könige

1) Vrgl. Löning a. a. O. S. 189 fg. Mitſcher a. a. O. S. 277.
Eine ausdrückliche geſetzliche Anerkennung, daß franzöſ. Geſetze, welche die
Befugniſſe der Miniſterien regeln, in Elſaß-Lothringen „in Geltung ſtehen“,
enthält das Geſ. v. 30. Dez. 1871 §. 6 letzter Abſatz. (G.-Bl. 1872 S. 52.)
2) Vgl. die Motive zum Vereinigungs-Geſetz unter II. und den Kom-
miſſionsbericht
des Reichstags zu Abſ. 3 des §. 2. Ferner erklärte Fürſt
von Bismarck in der Reichstagsſitzung v. 3. Juni 1871, es ſei ſein Wunſch,
daß die verbündeten Regierungen im Bundesrathe Elſäßer Mitglieder mit
conſultativem Votum
zulaſſen. (Stenogr. Ber. S. 1001.)
3) R.-G.-Bl. S. 219.
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[591/0611] §. 54. Bundesglied und Reichsland. ſtand an Rechtsſätzen, ſoweit derſelbe nicht entweder durch die Trennung des Landes von Frankreich und die Einverleibung in Deutſchland thatſächlich unanwendbar geworden oder durch die vom Reich (Kaiſer) erlaſſenen Landes- oder Reichsgeſetze rechtlich aufgehoben oder verändert worden iſt. Dies gilt nicht blos hin- ſichtlich des Privatrechts und Prozeſſes, ſondern in demſelben Um- fange auch von dem Verwaltungsrecht und überhaupt von den Vor- ſchriften, welche den Inhalt, die Ausübung und die Gränzen der Staatsgewalt betreffen 1). V. Der Gegenſatz zwiſchen dem Reichslande und den Einzel- ſtaaten, welche Mitglieder des Reiches ſind, zeigt ſich in höchſt prägnanter Weiſe darin, daß Elſaß-Lothringen keine Mitglied- ſchaftsrechte hat. Die Aufgaben, welche das Reich zu erfüllen hat, nämlich das Bundesgebiet und das innerhalb deſſelben gültige Recht zu ſchützen und die Wohlfahrt des Deutſchen Volkes zu pflegen, erfüllt es auch für Elſaß-Lothringen; das Reichsland nimmt an dem ſtaatlichen Leben des Deutſchen Reiches materiell einen uneingeſchränkten Antheil, aber formell nicht als Bundesglied ſon- dern wie eine Provinz. Die Mitgliedſchaftsrechte kommen vorzugs- weiſe zur Geltung und Ausübung im Bundesrathe und es giebt deshalb keinen Mitgliedſtaat, der nicht im Bundesrathe eine Stimme hätte. Das Reichsland dagegen führt im Bundesrath keine Stimme. Bei der Vereinigung Elſaß-Lothringens mit dem Reiche hatte die Regierung die Abſicht, Elſaß-Lothringen in irgend einer Art einen Antheil am Bundesrathe zu gewähren 2). Dieſe Abſicht iſt aber unausgeführt geblieben und wird mit Nothwendigkeit ſo lange unausgeführt bleiben müſſen, als Elſaß-Lothringen Reichs- land bleibt. Zwar iſt laut Bekanntmachung v. 14. Mai 1875 3) der Kaiſerliche Ober-Präſident von Elſaß-Lothringen vom Könige 1) Vrgl. Löning a. a. O. S. 189 fg. Mitſcher a. a. O. S. 277. Eine ausdrückliche geſetzliche Anerkennung, daß franzöſ. Geſetze, welche die Befugniſſe der Miniſterien regeln, in Elſaß-Lothringen „in Geltung ſtehen“, enthält das Geſ. v. 30. Dez. 1871 §. 6 letzter Abſatz. (G.-Bl. 1872 S. 52.) 2) Vgl. die Motive zum Vereinigungs-Geſetz unter II. und den Kom- miſſionsbericht des Reichstags zu Abſ. 3 des §. 2. Ferner erklärte Fürſt von Bismarck in der Reichstagsſitzung v. 3. Juni 1871, es ſei ſein Wunſch, daß die verbündeten Regierungen im Bundesrathe Elſäßer Mitglieder mit conſultativem Votum zulaſſen. (Stenogr. Ber. S. 1001.) 3) R.-G.-Bl. S. 219.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/611>, abgerufen am 21.11.2024.