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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 54. Bundesglied und Reichsland.
die drei süddeutschen Staaten, oder Hamburg und Bremen befinden,
sondern etwa in diejenige, in welcher die Preußischen Zollausschlüsse
oder die thüringischen Bezirke Ostheim und Königsberg sind 1),
d. h. die besonderen für Elsaß-Lothringen geltenden Bestimmungen
bilden nicht den Inhalt eines subjektiven Rechts, sondern sie
sind lediglich besondere Rechtssätze. Staatsrechtlich äußert sich
dieser Unterschied darin, daß, wenn die Sonderstellung von Elsaß-
Lothringen durch ein Reichsgesetz aufgehoben wird, die Vorschrift
des Art. 78 Abs. 2 der R.-V., wonach "die Zustimmung des be-
rechtigten Bundesstaates" erforderlich ist, keine Anwendung finden
kann 2).

VII. Dem Mangel an subjectiven Rechten entspricht es, daß
das Reichsland dem Reiche gegenüber auch keine subjektiven Pflich-
ten
hat. Es trägt zwar in demselben Maaße wie die übrigen
Theile des Reiches die militärischen und finanziellen Lasten, welche
zur Durchführung der dem Reiche obliegenden Aufgaben dienen;
aber es trägt diese Lasten nicht in der staatsrechtlichen Form wie
ein Glied eines Bundesstaates, sondern wie ein Landestheil eines
Einheitsstaates 3).

Es zeigt sich dies praktisch in der Unanwendbarkeit des Art. 19
der R.-V.; eine Execution gegen das Reichsland ist unmöglich
und undenkbar; es wäre dies eine Execution des Reiches gegen
sich selbst. Nur Bundesglieder, welche dem Reiche gegenüber eine
selbstständige staatliche Existenz, eine eigene Persönlichkeit haben,
können zur Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Bundespflichten
im Wege der Execution angehalten werden, nicht aber das Reichs-
land, welches sich schon in seinem normalen Rechtszustand in der-
jenigen Lage befindet, in die ein Bundesglied erst gebracht werden
würde, wenn die Execution bis zu ihrem äußersten Grade gegen
dasselbe zum Vollzuge käme.


1) Auch in finanzieller Beziehung macht sich dieser Unterschied geltend.
Vgl. meine Abhandlung über das Finanzrecht des Deutschen Reichs in Hirth's
Annalen 1873 S. 512. Seine praktische Bedeutung hat er indessen eingebüßt,
seitdem die Matrikularbeiträge nach der ortsanwesenden Bevölkerung vertheilt
werden. Vgl. §. 55 S. 610.
2) Ursprünglich war das Reichsland auch von der Branntweinsteuer-Ge-
meinschaft ausgenommen. Das Ges. v. 16. Mai 1873 (Gesetzbl. f. Els.-Lothr.
S. 67) hat diese Sonderstellung beseitigt.
3) Ueber die Matrikularbeiträge siehe unten §. 55.
Laband, Reichsstaatsrecht. I. 38

§. 54. Bundesglied und Reichsland.
die drei ſüddeutſchen Staaten, oder Hamburg und Bremen befinden,
ſondern etwa in diejenige, in welcher die Preußiſchen Zollausſchlüſſe
oder die thüringiſchen Bezirke Oſtheim und Königsberg ſind 1),
d. h. die beſonderen für Elſaß-Lothringen geltenden Beſtimmungen
bilden nicht den Inhalt eines ſubjektiven Rechts, ſondern ſie
ſind lediglich beſondere Rechtsſätze. Staatsrechtlich äußert ſich
dieſer Unterſchied darin, daß, wenn die Sonderſtellung von Elſaß-
Lothringen durch ein Reichsgeſetz aufgehoben wird, die Vorſchrift
des Art. 78 Abſ. 2 der R.-V., wonach „die Zuſtimmung des be-
rechtigten Bundesſtaates“ erforderlich iſt, keine Anwendung finden
kann 2).

VII. Dem Mangel an ſubjectiven Rechten entſpricht es, daß
das Reichsland dem Reiche gegenüber auch keine ſubjektiven Pflich-
ten
hat. Es trägt zwar in demſelben Maaße wie die übrigen
Theile des Reiches die militäriſchen und finanziellen Laſten, welche
zur Durchführung der dem Reiche obliegenden Aufgaben dienen;
aber es trägt dieſe Laſten nicht in der ſtaatsrechtlichen Form wie
ein Glied eines Bundesſtaates, ſondern wie ein Landestheil eines
Einheitsſtaates 3).

Es zeigt ſich dies praktiſch in der Unanwendbarkeit des Art. 19
der R.-V.; eine Execution gegen das Reichsland iſt unmöglich
und undenkbar; es wäre dies eine Execution des Reiches gegen
ſich ſelbſt. Nur Bundesglieder, welche dem Reiche gegenüber eine
ſelbſtſtändige ſtaatliche Exiſtenz, eine eigene Perſönlichkeit haben,
können zur Erfüllung ihrer verfaſſungsmäßigen Bundespflichten
im Wege der Execution angehalten werden, nicht aber das Reichs-
land, welches ſich ſchon in ſeinem normalen Rechtszuſtand in der-
jenigen Lage befindet, in die ein Bundesglied erſt gebracht werden
würde, wenn die Execution bis zu ihrem äußerſten Grade gegen
daſſelbe zum Vollzuge käme.


1) Auch in finanzieller Beziehung macht ſich dieſer Unterſchied geltend.
Vgl. meine Abhandlung über das Finanzrecht des Deutſchen Reichs in Hirth’s
Annalen 1873 S. 512. Seine praktiſche Bedeutung hat er indeſſen eingebüßt,
ſeitdem die Matrikularbeiträge nach der ortsanweſenden Bevölkerung vertheilt
werden. Vgl. §. 55 S. 610.
2) Urſprünglich war das Reichsland auch von der Branntweinſteuer-Ge-
meinſchaft ausgenommen. Das Geſ. v. 16. Mai 1873 (Geſetzbl. f. Elſ.-Lothr.
S. 67) hat dieſe Sonderſtellung beſeitigt.
3) Ueber die Matrikularbeiträge ſiehe unten §. 55.
Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 38
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[593/0613] §. 54. Bundesglied und Reichsland. die drei ſüddeutſchen Staaten, oder Hamburg und Bremen befinden, ſondern etwa in diejenige, in welcher die Preußiſchen Zollausſchlüſſe oder die thüringiſchen Bezirke Oſtheim und Königsberg ſind 1), d. h. die beſonderen für Elſaß-Lothringen geltenden Beſtimmungen bilden nicht den Inhalt eines ſubjektiven Rechts, ſondern ſie ſind lediglich beſondere Rechtsſätze. Staatsrechtlich äußert ſich dieſer Unterſchied darin, daß, wenn die Sonderſtellung von Elſaß- Lothringen durch ein Reichsgeſetz aufgehoben wird, die Vorſchrift des Art. 78 Abſ. 2 der R.-V., wonach „die Zuſtimmung des be- rechtigten Bundesſtaates“ erforderlich iſt, keine Anwendung finden kann 2). VII. Dem Mangel an ſubjectiven Rechten entſpricht es, daß das Reichsland dem Reiche gegenüber auch keine ſubjektiven Pflich- ten hat. Es trägt zwar in demſelben Maaße wie die übrigen Theile des Reiches die militäriſchen und finanziellen Laſten, welche zur Durchführung der dem Reiche obliegenden Aufgaben dienen; aber es trägt dieſe Laſten nicht in der ſtaatsrechtlichen Form wie ein Glied eines Bundesſtaates, ſondern wie ein Landestheil eines Einheitsſtaates 3). Es zeigt ſich dies praktiſch in der Unanwendbarkeit des Art. 19 der R.-V.; eine Execution gegen das Reichsland iſt unmöglich und undenkbar; es wäre dies eine Execution des Reiches gegen ſich ſelbſt. Nur Bundesglieder, welche dem Reiche gegenüber eine ſelbſtſtändige ſtaatliche Exiſtenz, eine eigene Perſönlichkeit haben, können zur Erfüllung ihrer verfaſſungsmäßigen Bundespflichten im Wege der Execution angehalten werden, nicht aber das Reichs- land, welches ſich ſchon in ſeinem normalen Rechtszuſtand in der- jenigen Lage befindet, in die ein Bundesglied erſt gebracht werden würde, wenn die Execution bis zu ihrem äußerſten Grade gegen daſſelbe zum Vollzuge käme. 1) Auch in finanzieller Beziehung macht ſich dieſer Unterſchied geltend. Vgl. meine Abhandlung über das Finanzrecht des Deutſchen Reichs in Hirth’s Annalen 1873 S. 512. Seine praktiſche Bedeutung hat er indeſſen eingebüßt, ſeitdem die Matrikularbeiträge nach der ortsanweſenden Bevölkerung vertheilt werden. Vgl. §. 55 S. 610. 2) Urſprünglich war das Reichsland auch von der Branntweinſteuer-Ge- meinſchaft ausgenommen. Das Geſ. v. 16. Mai 1873 (Geſetzbl. f. Elſ.-Lothr. S. 67) hat dieſe Sonderſtellung beſeitigt. 3) Ueber die Matrikularbeiträge ſiehe unten §. 55. Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 38

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/613>, abgerufen am 21.11.2024.