Führung des Titels eines Deutschen Kaisers verbunden werde 1).
Es erhebt sich nun die Frage nach der juristischen Bedeu- tung und Wirkung dieser Vorgänge. Die Beantwortung derselben ist durch die Ausführungen über die Gründung des Norddeutschen Bundes im Wesentlichen vorbereitet und erleichtert.
Die Versailler November-Verträge finden ihre Analogie in dem Berliner Augustbündniß von 1866. Sie sind durchaus völkerrechtlicher Natur; sie begründen ver- tragsmäßige Rechte und Pflichten. Der Inhalt derselben besteht für den Norddeutschen Bund in der Pflicht -- und dem dieser Pflicht correspondirenden Rechte -- am 1. Januar 1871 die süddeutschen Staaten unter den mit denselben vereinbarten Bedingungen in den Bund aufzunehmen, für jeden der Süddeut- schen Staaten in der Pflicht -- und dem dieser Pflicht correspon- direnden Rechte -- am 1. Januar 1871 dem Bunde beizutreten. Verschieden von den August-Verträgen von 1866 sind die No- vember-Verträge von 1870 nur in folgenden Beziehungen:
1) Während die Contrahenten der Augustbündnisse lauter von einander völlig unabhängige Staaten waren, welche über- einkamen, unter sich einen Bund zu errichten, wurden die No- vember-Verträge geschlossen auf der einen Seite von dem Nord- deutschen Bunde als Einheit und auf der anderen Seite von den einzelnen süddeutschen Staaten. Der unter den Norddeutschen Staaten bereits bestehende Bund wird nicht beendigt und aufgelöst, um durch einen neuen Bund ersetzt zu werden, sondern er wird erweitert und modifizirt. Während zwischen dem alten deutschen Bunde und dem Norddeutschen Bunde keine Rechtscontinuität besteht, ist dieselbe zwischen dem Norddeutschen Bunde und dem Reiche gewahrt2). Die Reichsgründung war keine Neuschöpfung sondern eine Reform des Norddeutschen Bundes, eine in der Verfassung des letzteren selbst vorgesehene Erweiterung und Umbildung desselben. Im Württemberger Vertrage heißt es ausdrücklich, daß die Contra-
1) Vgl. die Stenogr. Ber. des Nordd. Reichstages vom 5., 8. u. 9. De- zember 1870 S. 76. 150. 167.
2) Vgl. Auerbach S. 56. 59 fg. Meyer Erörterungen S. 61. Hä- nel S. 82. v. Mohl S. 51. Anderer Ansicht ist nur Riedel S. 77.
§. 4. Die Gründung des Deutſchen Reiches.
Führung des Titels eines Deutſchen Kaiſers verbunden werde 1).
Es erhebt ſich nun die Frage nach der juriſtiſchen Bedeu- tung und Wirkung dieſer Vorgänge. Die Beantwortung derſelben iſt durch die Ausführungen über die Gründung des Norddeutſchen Bundes im Weſentlichen vorbereitet und erleichtert.
Die Verſailler November-Verträge finden ihre Analogie in dem Berliner Auguſtbündniß von 1866. Sie ſind durchaus völkerrechtlicher Natur; ſie begründen ver- tragsmäßige Rechte und Pflichten. Der Inhalt derſelben beſteht für den Norddeutſchen Bund in der Pflicht — und dem dieſer Pflicht correſpondirenden Rechte — am 1. Januar 1871 die ſüddeutſchen Staaten unter den mit denſelben vereinbarten Bedingungen in den Bund aufzunehmen, für jeden der Süddeut- ſchen Staaten in der Pflicht — und dem dieſer Pflicht correſpon- direnden Rechte — am 1. Januar 1871 dem Bunde beizutreten. Verſchieden von den Auguſt-Verträgen von 1866 ſind die No- vember-Verträge von 1870 nur in folgenden Beziehungen:
1) Während die Contrahenten der Auguſtbündniſſe lauter von einander völlig unabhängige Staaten waren, welche über- einkamen, unter ſich einen Bund zu errichten, wurden die No- vember-Verträge geſchloſſen auf der einen Seite von dem Nord- deutſchen Bunde als Einheit und auf der anderen Seite von den einzelnen ſüddeutſchen Staaten. Der unter den Norddeutſchen Staaten bereits beſtehende Bund wird nicht beendigt und aufgelöſt, um durch einen neuen Bund erſetzt zu werden, ſondern er wird erweitert und modifizirt. Während zwiſchen dem alten deutſchen Bunde und dem Norddeutſchen Bunde keine Rechtscontinuität beſteht, iſt dieſelbe zwiſchen dem Norddeutſchen Bunde und dem Reiche gewahrt2). Die Reichsgründung war keine Neuſchöpfung ſondern eine Reform des Norddeutſchen Bundes, eine in der Verfaſſung des letzteren ſelbſt vorgeſehene Erweiterung und Umbildung deſſelben. Im Württemberger Vertrage heißt es ausdrücklich, daß die Contra-
1) Vgl. die Stenogr. Ber. des Nordd. Reichstages vom 5., 8. u. 9. De- zember 1870 S. 76. 150. 167.
2) Vgl. Auerbach S. 56. 59 fg. Meyer Erörterungen S. 61. Hä- nel S. 82. v. Mohl S. 51. Anderer Anſicht iſt nur Riedel S. 77.
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§. 4. Die Gründung des Deutſchen Reiches.
Führung des Titels eines Deutſchen Kaiſers verbunden
werde 1).
Es erhebt ſich nun die Frage nach der juriſtiſchen Bedeu-
tung und Wirkung dieſer Vorgänge. Die Beantwortung
derſelben iſt durch die Ausführungen über die Gründung des
Norddeutſchen Bundes im Weſentlichen vorbereitet und erleichtert.
Die Verſailler November-Verträge finden ihre
Analogie in dem Berliner Auguſtbündniß von 1866.
Sie ſind durchaus völkerrechtlicher Natur; ſie begründen ver-
tragsmäßige Rechte und Pflichten. Der Inhalt derſelben
beſteht für den Norddeutſchen Bund in der Pflicht — und dem
dieſer Pflicht correſpondirenden Rechte — am 1. Januar 1871
die ſüddeutſchen Staaten unter den mit denſelben vereinbarten
Bedingungen in den Bund aufzunehmen, für jeden der Süddeut-
ſchen Staaten in der Pflicht — und dem dieſer Pflicht correſpon-
direnden Rechte — am 1. Januar 1871 dem Bunde beizutreten.
Verſchieden von den Auguſt-Verträgen von 1866 ſind die No-
vember-Verträge von 1870 nur in folgenden Beziehungen:
1) Während die Contrahenten der Auguſtbündniſſe lauter
von einander völlig unabhängige Staaten waren, welche über-
einkamen, unter ſich einen Bund zu errichten, wurden die No-
vember-Verträge geſchloſſen auf der einen Seite von dem Nord-
deutſchen Bunde als Einheit und auf der anderen Seite von
den einzelnen ſüddeutſchen Staaten. Der unter den Norddeutſchen
Staaten bereits beſtehende Bund wird nicht beendigt und aufgelöſt,
um durch einen neuen Bund erſetzt zu werden, ſondern er wird
erweitert und modifizirt. Während zwiſchen dem alten
deutſchen Bunde und dem Norddeutſchen Bunde keine
Rechtscontinuität beſteht, iſt dieſelbe zwiſchen dem
Norddeutſchen Bunde und dem Reiche gewahrt 2).
Die Reichsgründung war keine Neuſchöpfung ſondern eine Reform
des Norddeutſchen Bundes, eine in der Verfaſſung des letzteren
ſelbſt vorgeſehene Erweiterung und Umbildung deſſelben. Im
Württemberger Vertrage heißt es ausdrücklich, daß die Contra-
1) Vgl. die Stenogr. Ber. des Nordd. Reichstages vom 5., 8. u. 9. De-
zember 1870 S. 76. 150. 167.
2) Vgl. Auerbach S. 56. 59 fg. Meyer Erörterungen S. 61. Hä-
nel S. 82. v. Mohl S. 51. Anderer Anſicht iſt nur Riedel S. 77.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/63>, abgerufen am 21.05.2024.
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