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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 4. Die Gründung des Deutschen Reiches.
henten, von dem Wunsche geleitet, die Geltung der vereinbarten
Verfassung auf Württemberg "auszudehnen," verabreden, daß
Württemberg dieser Verfassung "beitritt;" und wenn auch der
Badisch-Hessische und der Bayrische Vertrag von der "Gründung
eines deutschen Bundes" reden, so ist doch nirgends angedeutet,
daß dieser Gründung die Auflösung des Norddeutschen Bundes
vorhergehen solle, daß dieselbe überhaupt etwas Anderes sei als
die Ausdehnung, Erweiterung und Modification des Norddeutschen
Bundes, der natürlich formell in seiner alten Gestalt nicht
mehr fortdauern kann, neben der neuen größeren Gestalt, zu der
er sich fort entwickeln sollte.

2) Die Augustbündnisse verabredeten nicht eine bestimmte
Verfassung, welche der Norddeutsche Bund haben sollte, sondern
zunächst einen Modus, wie eine Verfassung für denselben verein-
bart werden sollte. Die November-Verträge bedurften dieses
Vorspiels nicht; die Verfassung des Norddeutschen Bundes war
die von selbst gegebene Grundlage auch für die Einrichtungen des
erweiterten Bundes. Man konnte daher sofort die Verfassung
des letzteren entwerfen. Daraus ergiebt sich folgender Satz: Das
Rechtsverhältniß zwischen dem Norddeutschen Bunde und den
süddeutschen Staaten war nach Abschluß der November-Verträge
ganz analog dem Rechtsverhältnisse, welches unter den norddeut-
schen Staaten seit dem 16. April 1867, d. h. seit Vereinbarung
des Verfassungs-Entwurfs unter den norddeutschen Regierungen
nach Schluß der Berathungen des Reichstages, aber vor dem
1. Juli 1867 bestand. Die Anlage zum Baden-Hessischen Ver-
trage (nebst den mit Württemberg vereinbarten Modificationen)
war ein Verfassungs-Entwurf, für den Fall, daß Bayern
dem Bunde nicht beitreten sollte; der Art. II des Bayerischen
Vertrages war ein Verfassungs-Entwurf für den entgegen-
gesetzten Fall. Der Deutsche Bund selbst war durch diese Ver-
träge und Verfassungsentwürfe noch nicht existent geworden, son-
dern es war nur eine vollständige Willensübereinstimmung erzielt
worden, wie dieser Bund beschaffen sein sollte. Das deutsche
Reich ist nicht am 15/23. November 1870 gegründet worden mit
einem dies a quo (1. Januar 1871), sondern es ist am 15/23.
November 1870 vertragsmäßig stipulirt worden, daß am 1. Ja-

§. 4. Die Gründung des Deutſchen Reiches.
henten, von dem Wunſche geleitet, die Geltung der vereinbarten
Verfaſſung auf Württemberg „auszudehnen,“ verabreden, daß
Württemberg dieſer Verfaſſung „beitritt;“ und wenn auch der
Badiſch-Heſſiſche und der Bayriſche Vertrag von der „Gründung
eines deutſchen Bundes“ reden, ſo iſt doch nirgends angedeutet,
daß dieſer Gründung die Auflöſung des Norddeutſchen Bundes
vorhergehen ſolle, daß dieſelbe überhaupt etwas Anderes ſei als
die Ausdehnung, Erweiterung und Modification des Norddeutſchen
Bundes, der natürlich formell in ſeiner alten Geſtalt nicht
mehr fortdauern kann, neben der neuen größeren Geſtalt, zu der
er ſich fort entwickeln ſollte.

2) Die Auguſtbündniſſe verabredeten nicht eine beſtimmte
Verfaſſung, welche der Norddeutſche Bund haben ſollte, ſondern
zunächſt einen Modus, wie eine Verfaſſung für denſelben verein-
bart werden ſollte. Die November-Verträge bedurften dieſes
Vorſpiels nicht; die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes war
die von ſelbſt gegebene Grundlage auch für die Einrichtungen des
erweiterten Bundes. Man konnte daher ſofort die Verfaſſung
des letzteren entwerfen. Daraus ergiebt ſich folgender Satz: Das
Rechtsverhältniß zwiſchen dem Norddeutſchen Bunde und den
ſüddeutſchen Staaten war nach Abſchluß der November-Verträge
ganz analog dem Rechtsverhältniſſe, welches unter den norddeut-
ſchen Staaten ſeit dem 16. April 1867, d. h. ſeit Vereinbarung
des Verfaſſungs-Entwurfs unter den norddeutſchen Regierungen
nach Schluß der Berathungen des Reichstages, aber vor dem
1. Juli 1867 beſtand. Die Anlage zum Baden-Heſſiſchen Ver-
trage (nebſt den mit Württemberg vereinbarten Modificationen)
war ein Verfaſſungs-Entwurf, für den Fall, daß Bayern
dem Bunde nicht beitreten ſollte; der Art. II des Bayeriſchen
Vertrages war ein Verfaſſungs-Entwurf für den entgegen-
geſetzten Fall. Der Deutſche Bund ſelbſt war durch dieſe Ver-
träge und Verfaſſungsentwürfe noch nicht exiſtent geworden, ſon-
dern es war nur eine vollſtändige Willensübereinſtimmung erzielt
worden, wie dieſer Bund beſchaffen ſein ſollte. Das deutſche
Reich iſt nicht am 15/23. November 1870 gegründet worden mit
einem dies a quo (1. Januar 1871), ſondern es iſt am 15/23.
November 1870 vertragsmäßig ſtipulirt worden, daß am 1. Ja-

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[44/0064] §. 4. Die Gründung des Deutſchen Reiches. henten, von dem Wunſche geleitet, die Geltung der vereinbarten Verfaſſung auf Württemberg „auszudehnen,“ verabreden, daß Württemberg dieſer Verfaſſung „beitritt;“ und wenn auch der Badiſch-Heſſiſche und der Bayriſche Vertrag von der „Gründung eines deutſchen Bundes“ reden, ſo iſt doch nirgends angedeutet, daß dieſer Gründung die Auflöſung des Norddeutſchen Bundes vorhergehen ſolle, daß dieſelbe überhaupt etwas Anderes ſei als die Ausdehnung, Erweiterung und Modification des Norddeutſchen Bundes, der natürlich formell in ſeiner alten Geſtalt nicht mehr fortdauern kann, neben der neuen größeren Geſtalt, zu der er ſich fort entwickeln ſollte. 2) Die Auguſtbündniſſe verabredeten nicht eine beſtimmte Verfaſſung, welche der Norddeutſche Bund haben ſollte, ſondern zunächſt einen Modus, wie eine Verfaſſung für denſelben verein- bart werden ſollte. Die November-Verträge bedurften dieſes Vorſpiels nicht; die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes war die von ſelbſt gegebene Grundlage auch für die Einrichtungen des erweiterten Bundes. Man konnte daher ſofort die Verfaſſung des letzteren entwerfen. Daraus ergiebt ſich folgender Satz: Das Rechtsverhältniß zwiſchen dem Norddeutſchen Bunde und den ſüddeutſchen Staaten war nach Abſchluß der November-Verträge ganz analog dem Rechtsverhältniſſe, welches unter den norddeut- ſchen Staaten ſeit dem 16. April 1867, d. h. ſeit Vereinbarung des Verfaſſungs-Entwurfs unter den norddeutſchen Regierungen nach Schluß der Berathungen des Reichstages, aber vor dem 1. Juli 1867 beſtand. Die Anlage zum Baden-Heſſiſchen Ver- trage (nebſt den mit Württemberg vereinbarten Modificationen) war ein Verfaſſungs-Entwurf, für den Fall, daß Bayern dem Bunde nicht beitreten ſollte; der Art. II des Bayeriſchen Vertrages war ein Verfaſſungs-Entwurf für den entgegen- geſetzten Fall. Der Deutſche Bund ſelbſt war durch dieſe Ver- träge und Verfaſſungsentwürfe noch nicht exiſtent geworden, ſon- dern es war nur eine vollſtändige Willensübereinſtimmung erzielt worden, wie dieſer Bund beſchaffen ſein ſollte. Das deutſche Reich iſt nicht am 15/23. November 1870 gegründet worden mit einem dies a quo (1. Januar 1871), ſondern es iſt am 15/23. November 1870 vertragsmäßig ſtipulirt worden, daß am 1. Ja-

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/64>, abgerufen am 21.11.2024.