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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 4. Die Gründung des Deutschen Reiches.
Erwähnung der neu aufgenommenen Staaten bei der Bestimmung
des Bundesgebiets, der Stimmen im Bundesrath, der Reichstags-
Abgeordneten, und nicht nur ergänzend durch Aufnahme
der auf die neu aufgenommenen Staaten bezüglichen Sonderbe-
stimmungen hinsichtlich der Bier- und Branntweinsteuer, der Post-
und Telegraphen-Verwaltung, des Militairwesens u. s. w.; son-
dern es sollte zugleich die Rechtsordnung, welche für die Mitglie-
der des Norddeutschen Bundes galt, erheblich verändert werden,
z. B. durch Erweiterung der Bundeskompetenz auf Vereins- und
Preßwesen, durch Erschwerung der Erfordernisse für Verfassungs-
änderungen u. s. w. Die Abänderung der bestehenden Bundes-
verfassung war die Bedingung der Erweiterung des Bundes. Die
Genehmigung der November-Verträge Seitens des Reichstages
des Norddeutschen Bundes und Seitens des Bundesrathes desselben
war daher zugleich Zustimmung zu einer Aenderung der Ver-
fassung, welche für diesen Fall nach der besonderen Bestimmung
des Art. 79 der Verf. im Wege der einfachen Gesetzgebung er-
folgen konnte 1). Formell wurde aber auch im Norddeutschen
Bunde derselbe Weg beschritten, wie in den Süddeutschen Staaten.
Das zu Berlin am 31. Dez. 1870 ausgegebene Bundesgesetzblatt
enthält lediglich die Verträge mit Baden-Hessen und Württemberg
und die "Verfassung des Deutschen Bundes" nur als Beilage des
ersteren; das Bundesgesetzblatt vom 31. Januar 1871 enthält in
derselben Art den Bayrischen Bündniß-Vertrag. Eine Umgestal-
tung der bisherigen Norddeutschen Bundes-Verfassung zur neu
vereinbarten Reichsverfassung in der Form des Gesetzes
fehlte noch. Es war hier einmal das Gegenstück gegeben zu dem
häufiger vorkommenden Falle, daß die Form des Gesetzes Anwen-
dung findet, wenn es sich nicht um Acte der Gesetzgebung im ma-
teriellen Sinne handelt; die Verfassung des Norddeutschen Bundes
war materiell abgeändert und die Zustimmung der dazu befugten
Bundesorgane war materiell ertheilt worden, aber die Form des

1) Die Vorlage der Verträge, sowie die nachträgliche Aenderung derselben
durch Aufnahme der Worte "Kaiser" und "Reich" wurde als Gesetzes-
Vorlage behandelt, d. h. einer dreimaligen Berathung unterzogen. Vgl. auch
die Bemerkung des Präsidenten Simson Stenogr. Ber. des II. außer-
ordentl. Reichst. 1870 S. 151.

§. 4. Die Gründung des Deutſchen Reiches.
Erwähnung der neu aufgenommenen Staaten bei der Beſtimmung
des Bundesgebiets, der Stimmen im Bundesrath, der Reichstags-
Abgeordneten, und nicht nur ergänzend durch Aufnahme
der auf die neu aufgenommenen Staaten bezüglichen Sonderbe-
ſtimmungen hinſichtlich der Bier- und Branntweinſteuer, der Poſt-
und Telegraphen-Verwaltung, des Militairweſens u. ſ. w.; ſon-
dern es ſollte zugleich die Rechtsordnung, welche für die Mitglie-
der des Norddeutſchen Bundes galt, erheblich verändert werden,
z. B. durch Erweiterung der Bundeskompetenz auf Vereins- und
Preßweſen, durch Erſchwerung der Erforderniſſe für Verfaſſungs-
änderungen u. ſ. w. Die Abänderung der beſtehenden Bundes-
verfaſſung war die Bedingung der Erweiterung des Bundes. Die
Genehmigung der November-Verträge Seitens des Reichstages
des Norddeutſchen Bundes und Seitens des Bundesrathes deſſelben
war daher zugleich Zuſtimmung zu einer Aenderung der Ver-
faſſung, welche für dieſen Fall nach der beſonderen Beſtimmung
des Art. 79 der Verf. im Wege der einfachen Geſetzgebung er-
folgen konnte 1). Formell wurde aber auch im Norddeutſchen
Bunde derſelbe Weg beſchritten, wie in den Süddeutſchen Staaten.
Das zu Berlin am 31. Dez. 1870 ausgegebene Bundesgeſetzblatt
enthält lediglich die Verträge mit Baden-Heſſen und Württemberg
und die „Verfaſſung des Deutſchen Bundes“ nur als Beilage des
erſteren; das Bundesgeſetzblatt vom 31. Januar 1871 enthält in
derſelben Art den Bayriſchen Bündniß-Vertrag. Eine Umgeſtal-
tung der bisherigen Norddeutſchen Bundes-Verfaſſung zur neu
vereinbarten Reichsverfaſſung in der Form des Geſetzes
fehlte noch. Es war hier einmal das Gegenſtück gegeben zu dem
häufiger vorkommenden Falle, daß die Form des Geſetzes Anwen-
dung findet, wenn es ſich nicht um Acte der Geſetzgebung im ma-
teriellen Sinne handelt; die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes
war materiell abgeändert und die Zuſtimmung der dazu befugten
Bundesorgane war materiell ertheilt worden, aber die Form des

1) Die Vorlage der Verträge, ſowie die nachträgliche Aenderung derſelben
durch Aufnahme der Worte „Kaiſer“ und „Reich“ wurde als Geſetzes-
Vorlage behandelt, d. h. einer dreimaligen Berathung unterzogen. Vgl. auch
die Bemerkung des Präſidenten Simſon Stenogr. Ber. des II. außer-
ordentl. Reichst. 1870 S. 151.
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[46/0066] §. 4. Die Gründung des Deutſchen Reiches. Erwähnung der neu aufgenommenen Staaten bei der Beſtimmung des Bundesgebiets, der Stimmen im Bundesrath, der Reichstags- Abgeordneten, und nicht nur ergänzend durch Aufnahme der auf die neu aufgenommenen Staaten bezüglichen Sonderbe- ſtimmungen hinſichtlich der Bier- und Branntweinſteuer, der Poſt- und Telegraphen-Verwaltung, des Militairweſens u. ſ. w.; ſon- dern es ſollte zugleich die Rechtsordnung, welche für die Mitglie- der des Norddeutſchen Bundes galt, erheblich verändert werden, z. B. durch Erweiterung der Bundeskompetenz auf Vereins- und Preßweſen, durch Erſchwerung der Erforderniſſe für Verfaſſungs- änderungen u. ſ. w. Die Abänderung der beſtehenden Bundes- verfaſſung war die Bedingung der Erweiterung des Bundes. Die Genehmigung der November-Verträge Seitens des Reichstages des Norddeutſchen Bundes und Seitens des Bundesrathes deſſelben war daher zugleich Zuſtimmung zu einer Aenderung der Ver- faſſung, welche für dieſen Fall nach der beſonderen Beſtimmung des Art. 79 der Verf. im Wege der einfachen Geſetzgebung er- folgen konnte 1). Formell wurde aber auch im Norddeutſchen Bunde derſelbe Weg beſchritten, wie in den Süddeutſchen Staaten. Das zu Berlin am 31. Dez. 1870 ausgegebene Bundesgeſetzblatt enthält lediglich die Verträge mit Baden-Heſſen und Württemberg und die „Verfaſſung des Deutſchen Bundes“ nur als Beilage des erſteren; das Bundesgeſetzblatt vom 31. Januar 1871 enthält in derſelben Art den Bayriſchen Bündniß-Vertrag. Eine Umgeſtal- tung der bisherigen Norddeutſchen Bundes-Verfaſſung zur neu vereinbarten Reichsverfaſſung in der Form des Geſetzes fehlte noch. Es war hier einmal das Gegenſtück gegeben zu dem häufiger vorkommenden Falle, daß die Form des Geſetzes Anwen- dung findet, wenn es ſich nicht um Acte der Geſetzgebung im ma- teriellen Sinne handelt; die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes war materiell abgeändert und die Zuſtimmung der dazu befugten Bundesorgane war materiell ertheilt worden, aber die Form des 1) Die Vorlage der Verträge, ſowie die nachträgliche Aenderung derſelben durch Aufnahme der Worte „Kaiſer“ und „Reich“ wurde als Geſetzes- Vorlage behandelt, d. h. einer dreimaligen Berathung unterzogen. Vgl. auch die Bemerkung des Präſidenten Simſon Stenogr. Ber. des II. außer- ordentl. Reichst. 1870 S. 151.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/66>, abgerufen am 21.11.2024.