Die juristische Persönlichkeit des Staates besteht darin, daß der Staat selbstständige Herrschaftsrechte behufs Durch- führung seiner Aufgaben und Pflichten und einen selbstständigen Herrschaftswillen hat. Grade darin liegt das Unterscheidende aller Arten von Staaten gegenüber allen Arten von Staaten- Verbänden.
Bei dem Staatenverband ist der Wille des Bundes nur der Ausdruck des gemeinsamen Willens der Mitglieder; und zwar auch dann, wenn die Einrichtung getroffen ist, daß die Minorität ihren Willen dem der Majorität unterwirft. Dagegen bei dem Staate, auch dem zusammengesetzten, ist der Wille des Staates verschieden von dem Willen seiner Mitglieder; er ist nicht die Summe ihrer Willen, sondern ein ihnen gegenüber selbstständiger Wille, auch wenn die Mitglieder berufen sind, an dem Zustande- kommen des Staatswillens mitzuwirken.
Bei dem Staatenverbande stehen die öffentlichen Herrschafts- rechte der einzelnen verbundenen Staaten, jedem für sein Gebiet zu, wenngleich die Einrichtung besteht, daß diese Rechte gemein- schaftlich oder übereinstimmend ausgeübt werden. Die dem Staate, auch dem zusammengesetzten, zustehenden Hoheitsrechte sind nicht Rechte seiner Mitglieder, die der Staat gleichsam als gemein- schaftlicher Verwalter für Alle ausübt, sondern diese Rechte stehen dem Staate selbstständig zu; die Mitglieder haben keinen Theil an ihnen, auch dann nicht, wenn sie selbst zur Ausübung dieser Rechte berufen sind. Die Rechte des Staates sind nicht Rechte der Mitglieder, sondern Rechte über die Mitglieder.
Die correcte Formulirung der Frage nach der juristischen Natur des Deutschen Reiches ist daher die: Ist das Reich eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder ist es ein Rechtsverhältniß unter den Deutschen Staaten, welche das Reich bilden oder sich zum Reich verbunden haben?
Während die überwiegende Mehrzahl der Schriftsteller über das Recht des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches sich für die staatliche Natur entscheidet 1), hat Seydel den
rungen v. Gerber's Grundzüge S. 2 u. S. 219 fg. (Beilage II) hinzu- weisen.
1) Aufgeführt sind diese Schriftsteller bei G. Meyer Erörterungen S. 81
§. 7. Das Reich als Rechtsſubject.
Die juriſtiſche Perſönlichkeit des Staates beſteht darin, daß der Staat ſelbſtſtändige Herrſchaftsrechte behufs Durch- führung ſeiner Aufgaben und Pflichten und einen ſelbſtſtändigen Herrſchaftswillen hat. Grade darin liegt das Unterſcheidende aller Arten von Staaten gegenüber allen Arten von Staaten- Verbänden.
Bei dem Staatenverband iſt der Wille des Bundes nur der Ausdruck des gemeinſamen Willens der Mitglieder; und zwar auch dann, wenn die Einrichtung getroffen iſt, daß die Minorität ihren Willen dem der Majorität unterwirft. Dagegen bei dem Staate, auch dem zuſammengeſetzten, iſt der Wille des Staates verſchieden von dem Willen ſeiner Mitglieder; er iſt nicht die Summe ihrer Willen, ſondern ein ihnen gegenüber ſelbſtſtändiger Wille, auch wenn die Mitglieder berufen ſind, an dem Zuſtande- kommen des Staatswillens mitzuwirken.
Bei dem Staatenverbande ſtehen die öffentlichen Herrſchafts- rechte der einzelnen verbundenen Staaten, jedem für ſein Gebiet zu, wenngleich die Einrichtung beſteht, daß dieſe Rechte gemein- ſchaftlich oder übereinſtimmend ausgeübt werden. Die dem Staate, auch dem zuſammengeſetzten, zuſtehenden Hoheitsrechte ſind nicht Rechte ſeiner Mitglieder, die der Staat gleichſam als gemein- ſchaftlicher Verwalter für Alle ausübt, ſondern dieſe Rechte ſtehen dem Staate ſelbſtſtändig zu; die Mitglieder haben keinen Theil an ihnen, auch dann nicht, wenn ſie ſelbſt zur Ausübung dieſer Rechte berufen ſind. Die Rechte des Staates ſind nicht Rechte der Mitglieder, ſondern Rechte über die Mitglieder.
Die correcte Formulirung der Frage nach der juriſtiſchen Natur des Deutſchen Reiches iſt daher die: Iſt das Reich eine juriſtiſche Perſon des öffentlichen Rechts oder iſt es ein Rechtsverhältniß unter den Deutſchen Staaten, welche das Reich bilden oder ſich zum Reich verbunden haben?
Während die überwiegende Mehrzahl der Schriftſteller über das Recht des Norddeutſchen Bundes und des Deutſchen Reiches ſich für die ſtaatliche Natur entſcheidet 1), hat Seydel den
rungen v. Gerber’s Grundzüge S. 2 u. S. 219 fg. (Beilage II) hinzu- weiſen.
1) Aufgeführt ſind dieſe Schriftſteller bei G. Meyer Erörterungen S. 81
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der Staat ſelbſtſtändige Herrſchaftsrechte behufs Durch-
führung ſeiner Aufgaben und Pflichten und einen ſelbſtſtändigen
Herrſchaftswillen hat. Grade darin liegt das Unterſcheidende
aller Arten von Staaten gegenüber allen Arten von Staaten-
Verbänden.
Bei dem Staatenverband iſt der Wille des Bundes nur der
Ausdruck des gemeinſamen Willens der Mitglieder; und zwar
auch dann, wenn die Einrichtung getroffen iſt, daß die Minorität
ihren Willen dem der Majorität unterwirft. Dagegen bei dem
Staate, auch dem zuſammengeſetzten, iſt der Wille des Staates
verſchieden von dem Willen ſeiner Mitglieder; er iſt nicht die
Summe ihrer Willen, ſondern ein ihnen gegenüber ſelbſtſtändiger
Wille, auch wenn die Mitglieder berufen ſind, an dem Zuſtande-
kommen des Staatswillens mitzuwirken.
Bei dem Staatenverbande ſtehen die öffentlichen Herrſchafts-
rechte der einzelnen verbundenen Staaten, jedem für ſein Gebiet
zu, wenngleich die Einrichtung beſteht, daß dieſe Rechte gemein-
ſchaftlich oder übereinſtimmend ausgeübt werden. Die dem Staate,
auch dem zuſammengeſetzten, zuſtehenden Hoheitsrechte ſind nicht
Rechte ſeiner Mitglieder, die der Staat gleichſam als gemein-
ſchaftlicher Verwalter für Alle ausübt, ſondern dieſe Rechte ſtehen
dem Staate ſelbſtſtändig zu; die Mitglieder haben keinen
Theil an ihnen, auch dann nicht, wenn ſie ſelbſt zur Ausübung
dieſer Rechte berufen ſind. Die Rechte des Staates ſind nicht
Rechte der Mitglieder, ſondern Rechte über die Mitglieder.
Die correcte Formulirung der Frage nach der juriſtiſchen
Natur des Deutſchen Reiches iſt daher die: Iſt das Reich eine
juriſtiſche Perſon des öffentlichen Rechts oder iſt es ein
Rechtsverhältniß unter den Deutſchen Staaten, welche das
Reich bilden oder ſich zum Reich verbunden haben?
Während die überwiegende Mehrzahl der Schriftſteller über
das Recht des Norddeutſchen Bundes und des Deutſchen Reiches
ſich für die ſtaatliche Natur entſcheidet 1), hat Seydel den
2)
1) Aufgeführt ſind dieſe Schriftſteller bei G. Meyer Erörterungen S. 81
2) rungen v. Gerber’s Grundzüge S. 2 u. S. 219 fg. (Beilage II) hinzu-
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/78>, abgerufen am 21.11.2024.
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