Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 7. Das Reich als Rechtssubject. und Hoheitsrechte auffassen, wie dies vom Zollverein, Postvereinu. s. w. mit Recht gesagt werden konnte, sondern sie ergreift den Staat in allen Theilen seiner Lebensthätigkeit. Wenn bei einem Sozietätsverhältniß das Majoritätsprinzip anerkannt ist, was immer nur als Ausnahme gelten kann, so ist doch vertragsmäßig der Geltungsbereich des Majoritätswillens auf so genau bestimmte Gegenstände oder Zwecke beschränkt, daß alle denkbaren Beschlüsse der Majorität nur als Oscillationen innerhalb einer, von allen Gesellschaftern vertragsmäßig, d. h. einstimmig festgestellten Linie erscheinen. Im Vergleiche zu den allgemeinen Lebenszwecken und Lebensaufgaben der Gesellschafter sind die Zwecke und Aufgaben der Sozietät untergeordnete oder wenigstens festbestimmte und aus- gesonderte; und innerhalb der vertragsmäßig feststehenden und nur mit Einstimmigkeit abzuändernden Grundlagen der Sozietät, ist das den Majoritätsbeschlüssen überlassene Gebiet ein so geringfü- giges, daß jeder Gesellschafter durch den Abschluß des Gesellschafts- vertrages es für nicht erheblich erklärt, wenn er mit seiner Ansicht innerhalb dieser Grenzen einmal nicht die Majorität erlangen sollte. Ein naheliegendes Beispiel eines öffentlich rechtlichen Sozietätsver- hältnisses bietet auch in dieser Beziehung der Zollverein, bei wel- chem seit 1867 das Majoritätsprinzip zwar anerkannt war, der aber nicht nur auf eine Thätigkeit beschränkt war, die verschwin- dend klein erscheint gegen die Gesammtheit der Lebensaufgaben eines Staates, sondern der auch innerhalb dieser Thätigkeit die Majori- tät nur in den durch den Art. 3 und 7 des Vertrages festgezogenen Grenzen entscheiden ließ. Wenn dagegen Art. 4 der Reichsverfassung allein in Nr. 13 §. 7. Das Reich als Rechtsſubject. und Hoheitsrechte auffaſſen, wie dies vom Zollverein, Poſtvereinu. ſ. w. mit Recht geſagt werden konnte, ſondern ſie ergreift den Staat in allen Theilen ſeiner Lebensthätigkeit. Wenn bei einem Sozietätsverhältniß das Majoritätsprinzip anerkannt iſt, was immer nur als Ausnahme gelten kann, ſo iſt doch vertragsmäßig der Geltungsbereich des Majoritätswillens auf ſo genau beſtimmte Gegenſtände oder Zwecke beſchränkt, daß alle denkbaren Beſchlüſſe der Majorität nur als Oscillationen innerhalb einer, von allen Geſellſchaftern vertragsmäßig, d. h. einſtimmig feſtgeſtellten Linie erſcheinen. Im Vergleiche zu den allgemeinen Lebenszwecken und Lebensaufgaben der Geſellſchafter ſind die Zwecke und Aufgaben der Sozietät untergeordnete oder wenigſtens feſtbeſtimmte und aus- geſonderte; und innerhalb der vertragsmäßig feſtſtehenden und nur mit Einſtimmigkeit abzuändernden Grundlagen der Sozietät, iſt das den Majoritätsbeſchlüſſen überlaſſene Gebiet ein ſo geringfü- giges, daß jeder Geſellſchafter durch den Abſchluß des Geſellſchafts- vertrages es für nicht erheblich erklärt, wenn er mit ſeiner Anſicht innerhalb dieſer Grenzen einmal nicht die Majorität erlangen ſollte. Ein naheliegendes Beiſpiel eines öffentlich rechtlichen Sozietätsver- hältniſſes bietet auch in dieſer Beziehung der Zollverein, bei wel- chem ſeit 1867 das Majoritätsprinzip zwar anerkannt war, der aber nicht nur auf eine Thätigkeit beſchränkt war, die verſchwin- dend klein erſcheint gegen die Geſammtheit der Lebensaufgaben eines Staates, ſondern der auch innerhalb dieſer Thätigkeit die Majori- tät nur in den durch den Art. 3 und 7 des Vertrages feſtgezogenen Grenzen entſcheiden ließ. Wenn dagegen Art. 4 der Reichsverfaſſung allein in Nr. 13 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0088" n="68"/><fw place="top" type="header">§. 7. Das Reich als Rechtsſubject.</fw><lb/> und Hoheitsrechte auffaſſen, wie dies vom Zollverein, Poſtverein<lb/> u. ſ. w. mit Recht geſagt werden konnte, ſondern ſie ergreift den<lb/> Staat in allen Theilen ſeiner Lebensthätigkeit. 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§. 7. Das Reich als Rechtsſubject.
und Hoheitsrechte auffaſſen, wie dies vom Zollverein, Poſtverein
u. ſ. w. mit Recht geſagt werden konnte, ſondern ſie ergreift den
Staat in allen Theilen ſeiner Lebensthätigkeit. Wenn bei einem
Sozietätsverhältniß das Majoritätsprinzip anerkannt iſt, was immer
nur als Ausnahme gelten kann, ſo iſt doch vertragsmäßig der
Geltungsbereich des Majoritätswillens auf ſo genau beſtimmte
Gegenſtände oder Zwecke beſchränkt, daß alle denkbaren Beſchlüſſe
der Majorität nur als Oscillationen innerhalb einer, von allen
Geſellſchaftern vertragsmäßig, d. h. einſtimmig feſtgeſtellten Linie
erſcheinen. Im Vergleiche zu den allgemeinen Lebenszwecken und
Lebensaufgaben der Geſellſchafter ſind die Zwecke und Aufgaben
der Sozietät untergeordnete oder wenigſtens feſtbeſtimmte und aus-
geſonderte; und innerhalb der vertragsmäßig feſtſtehenden und nur
mit Einſtimmigkeit abzuändernden Grundlagen der Sozietät, iſt
das den Majoritätsbeſchlüſſen überlaſſene Gebiet ein ſo geringfü-
giges, daß jeder Geſellſchafter durch den Abſchluß des Geſellſchafts-
vertrages es für nicht erheblich erklärt, wenn er mit ſeiner Anſicht
innerhalb dieſer Grenzen einmal nicht die Majorität erlangen ſollte.
Ein naheliegendes Beiſpiel eines öffentlich rechtlichen Sozietätsver-
hältniſſes bietet auch in dieſer Beziehung der Zollverein, bei wel-
chem ſeit 1867 das Majoritätsprinzip zwar anerkannt war, der
aber nicht nur auf eine Thätigkeit beſchränkt war, die verſchwin-
dend klein erſcheint gegen die Geſammtheit der Lebensaufgaben eines
Staates, ſondern der auch innerhalb dieſer Thätigkeit die Majori-
tät nur in den durch den Art. 3 und 7 des Vertrages feſtgezogenen
Grenzen entſcheiden ließ.
Wenn dagegen Art. 4 der Reichsverfaſſung allein in Nr. 13
das geſammte Civilrecht, Strafrecht und Prozeßrecht der Geſetzge-
bung des Reiches unterwirft, ſo iſt damit ſchon dem Reiche eine
Competenz zugewieſen, welche jede Lebensaufgabe, jeden Zweig
der Thätigkeit, jedes Recht und jede Pflicht aller Einzelſtaaten
treffen kann. Jeder Staat hat ſchon jetzt, bei dem im Art. 4
normirten Umfange der Reichskompetenz nicht einzelne, feſtbeſtimmte,
oder gar verhälnißmäßig untergeordnete Angelegenheiten, ſondern
ſich ſelbſt in ſeiner Totalität, in dem innerſten Kern ſeines Weſens,
ſeiner Aufgaben, ſeiner Zwecke einer Beſchlußfaſſung unterworfen,
die gegen ſeinen Willen ausfallen kann. Kein Staat kann er-
meſſen, welche Wege ihn die Reichsgeſetzgebung — lediglich unter
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