Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 8. Der Begriff des Bundesstaates. Lehnsherrn 1). Ein Beispiel giebt das alte Deutsche Reich, inso-fern man die Landesherren als Träger der Territorial-Staatsge- walt, den Kaiser als Träger der Reichsgewalt gelten lassen will. Auf eine solche Staatsform wendet man die Bezeichnung Bundes- staat nicht an; die Staaten sind nicht mit einander als prinzi- piell gleichberechtigte verbunden, sondern sie stehen zu einem Su- zerain im Verhältniß der Unterordnung 1). Die Reichsgewalt kann aber auch der Gesammtheit der Gliedstaaten, die letztere als begriffliche Einheit gedacht, zu stehen. Die Träger der Landes- Staatsgewalt bilden dann zusammengenommen die juristische Per- son des öffentlichen Rechts, welche das Subject der, unter dem Namen Reichsgewalt zusammengefaßten, Hoheits- oder Herrschafts- rechte ist. Das nennt man einen Bundesstaat. Die einzelnen Gliedstaaten sind nicht in dem Sinne mediatisirt, daß sie einem von ihnen oder einem Fremden unterworfen sind, son- dern sie sind vereinigt zur Herstellung eines Gemeinwesens höherer Ordnung. Sie sind nicht einem, von ihnen verschiedenen physischen Herrn, sondern einer ideellen Person, deren Substrat sie selbst sind, staatlich untergeordnet. So wie in der einfachen Demokratie jeder Bürger Unterthan, d. h. Object der Staatsgewalt, und doch zugleich mit betheiligt an der Sou- veränetät, also Subject der Staatsgewalt ist, so ist in dem Bun- desstaat jeder Einzelstaat für sich betrachtet Object der Reichsge- walt, als Mitglied der juristischen Person des Bundesstaates be- trachtet, antheilsmäßig berechtigtes Subject der Reichsgewalt. Der Antheil ist nicht nach Art der Sozietät oder des Miteigenthums des Privatrechts Sonderrecht der Gliedstaaten, die Hoheits- rechte des Reiches stehen nicht pro diviso oder pro indiviso den Einzelstaaten zu, sondern der Antheil der Einzelstaaten besteht lediglich in der Mitgliedschaft am Reich und in dem hierauf beruhenden Recht, an dem Zustandekommen und der Bethätigung des Willens des Reiches Theil zu nehmen und mitzuwirken. Das ist der juristische Begriff des Bundesstaates, wie er in 1) Nach v. Mohl Reichsstaatsrecht S. 43. 44 besteht eine derartige Ver- fassung in Japan. 1) Vgl. über den Gegensatz des Bundesverhältnisses und des Suzeräne-
tätsverhältnisses Heffter, Europ. Völkerr. § 19. 20. Meyer, Erörter. S. 11. §. 8. Der Begriff des Bundesſtaates. Lehnsherrn 1). Ein Beiſpiel giebt das alte Deutſche Reich, inſo-fern man die Landesherren als Träger der Territorial-Staatsge- walt, den Kaiſer als Träger der Reichsgewalt gelten laſſen will. Auf eine ſolche Staatsform wendet man die Bezeichnung Bundes- ſtaat nicht an; die Staaten ſind nicht mit einander als prinzi- piell gleichberechtigte verbunden, ſondern ſie ſtehen zu einem Su- zerain im Verhältniß der Unterordnung 1). Die Reichsgewalt kann aber auch der Geſammtheit der Gliedſtaaten, die letztere als begriffliche Einheit gedacht, zu ſtehen. Die Träger der Landes- Staatsgewalt bilden dann zuſammengenommen die juriſtiſche Per- ſon des öffentlichen Rechts, welche das Subject der, unter dem Namen Reichsgewalt zuſammengefaßten, Hoheits- oder Herrſchafts- rechte iſt. Das nennt man einen Bundesſtaat. Die einzelnen Gliedſtaaten ſind nicht in dem Sinne mediatiſirt, daß ſie einem von ihnen oder einem Fremden unterworfen ſind, ſon- dern ſie ſind vereinigt zur Herſtellung eines Gemeinweſens höherer Ordnung. Sie ſind nicht einem, von ihnen verſchiedenen phyſiſchen Herrn, ſondern einer ideellen Perſon, deren Subſtrat ſie ſelbſt ſind, ſtaatlich untergeordnet. So wie in der einfachen Demokratie jeder Bürger Unterthan, d. h. Object der Staatsgewalt, und doch zugleich mit betheiligt an der Sou- veränetät, alſo Subject der Staatsgewalt iſt, ſo iſt in dem Bun- desſtaat jeder Einzelſtaat für ſich betrachtet Object der Reichsge- walt, als Mitglied der juriſtiſchen Perſon des Bundesſtaates be- trachtet, antheilsmäßig berechtigtes Subject der Reichsgewalt. Der Antheil iſt nicht nach Art der Sozietät oder des Miteigenthums des Privatrechts Sonderrecht der Gliedſtaaten, die Hoheits- rechte des Reiches ſtehen nicht pro diviso oder pro indiviso den Einzelſtaaten zu, ſondern der Antheil der Einzelſtaaten beſteht lediglich in der Mitgliedſchaft am Reich und in dem hierauf beruhenden Recht, an dem Zuſtandekommen und der Bethätigung des Willens des Reiches Theil zu nehmen und mitzuwirken. Das iſt der juriſtiſche Begriff des Bundesſtaates, wie er in 1) Nach v. Mohl Reichsſtaatsrecht S. 43. 44 beſteht eine derartige Ver- faſſung in Japan. 1) Vgl. über den Gegenſatz des Bundesverhältniſſes und des Suzeräne-
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§. 8. Der Begriff des Bundesſtaates.
Lehnsherrn 1). Ein Beiſpiel giebt das alte Deutſche Reich, inſo-
fern man die Landesherren als Träger der Territorial-Staatsge-
walt, den Kaiſer als Träger der Reichsgewalt gelten laſſen will.
Auf eine ſolche Staatsform wendet man die Bezeichnung Bundes-
ſtaat nicht an; die Staaten ſind nicht mit einander als prinzi-
piell gleichberechtigte verbunden, ſondern ſie ſtehen zu einem Su-
zerain im Verhältniß der Unterordnung 1). Die Reichsgewalt
kann aber auch der Geſammtheit der Gliedſtaaten, die letztere als
begriffliche Einheit gedacht, zu ſtehen. Die Träger der Landes-
Staatsgewalt bilden dann zuſammengenommen die juriſtiſche Per-
ſon des öffentlichen Rechts, welche das Subject der, unter dem
Namen Reichsgewalt zuſammengefaßten, Hoheits- oder Herrſchafts-
rechte iſt. Das nennt man einen Bundesſtaat. Die
einzelnen Gliedſtaaten ſind nicht in dem Sinne mediatiſirt, daß ſie
einem von ihnen oder einem Fremden unterworfen ſind, ſon-
dern ſie ſind vereinigt zur Herſtellung eines Gemeinweſens
höherer Ordnung. Sie ſind nicht einem, von ihnen verſchiedenen
phyſiſchen Herrn, ſondern einer ideellen Perſon, deren
Subſtrat ſie ſelbſt ſind, ſtaatlich untergeordnet. So wie
in der einfachen Demokratie jeder Bürger Unterthan, d. h. Object
der Staatsgewalt, und doch zugleich mit betheiligt an der Sou-
veränetät, alſo Subject der Staatsgewalt iſt, ſo iſt in dem Bun-
desſtaat jeder Einzelſtaat für ſich betrachtet Object der Reichsge-
walt, als Mitglied der juriſtiſchen Perſon des Bundesſtaates be-
trachtet, antheilsmäßig berechtigtes Subject der Reichsgewalt. Der
Antheil iſt nicht nach Art der Sozietät oder des Miteigenthums
des Privatrechts Sonderrecht der Gliedſtaaten, die Hoheits-
rechte des Reiches ſtehen nicht pro diviso oder pro indiviso den
Einzelſtaaten zu, ſondern der Antheil der Einzelſtaaten beſteht
lediglich in der Mitgliedſchaft am Reich und in dem hierauf
beruhenden Recht, an dem Zuſtandekommen und der Bethätigung
des Willens des Reiches Theil zu nehmen und mitzuwirken.
Das iſt der juriſtiſche Begriff des Bundesſtaates, wie er in
1) Nach v. Mohl Reichsſtaatsrecht S. 43. 44 beſteht eine derartige Ver-
faſſung in Japan.
1) Vgl. über den Gegenſatz des Bundesverhältniſſes und des Suzeräne-
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