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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 8. Der Begriff des Bundesstaates.
Bd. 28 und der Einleitung zu seinem Commentar der Reichsverf.
hervorzuheben, daß er gegen die Theilbarkeit der Souveränetät sich
mit Entschiedenheit erklärt und auf den Widerspruch hingewiesen
hat, der in fast allen neueren Darstellungen des Staatsrechts sich
findet, daß einerseits die Einheit und Untheilbarkeit als zum Wesen
der Staatsgewalt und andererseits die Theilung der Staatsgewalt
als zum Wesen des Bundesstaats gehörig bezeichnet wird. Auch
Held 1) erklärt "eine Theilung der Souveränetät nach Inhalt
und Innehabung für eine absolute Unmöglichkeit. Denn
schon der Versuch dazu müßte die Folge haben, daß jeder Theil
und sein Inhaber sich in jedem Falle einer Collision mit einem
andern Theil und dessen Inhaber als solchem, entweder über diesen
stellte und dessen Souveränetät aufhöbe, oder unter denselben ge-
riethe und sonach seine eigene Souveränetät verlöre."

Es ist in der That eine Chimäre, die staatlichen Aufgaben
dergestalt in zwei Theile zerlegen zu wollen, daß auf jedem dieser
beiden Theile eine gesonderte Staatsgewalt unabhängig von der
andern herrsche. Das Gesammtleben der Nation läßt sich so wenig
auseinanderreißen, wie das Leben des Menschen; alle Aufgaben
und Zwecke des Staates und demgemäß alle Einrichtungen und
Herrschaftsrechte des Staates stehen in Wechselwirkung und be-
stimmen sich gegenseitig. Keine Seite des staatlichen Lebens läßt
sich isoliren und ohne Rücksicht auf die gesammte Ordnung des
Staates für sich verfolgen. Es erhebt sich daher sofort die Frage,
ob die Einzelstaatsgewalt bei der Durchführung der ihr verbliebe-
nen staatlichen Aufgaben sich innerhalb der von der Gesammt-
staatsgewalt aufgestellten Normen halten muß, oder ob um-
gekehrt die in den Einzelstaaten bestehenden Normen eine Schranke
bilden für die Ausübung der Centralstaatsgewalt. Findet die
Einzelstaatsgewalt an den von der Centralgewalt aufgestellten
Normen eine Schranke, welche ihr von Außen, von einem ihr frem-
den Willen gesetzt ist, so ist damit ihre Souveränetät verneint;
sie ist dann auch auf dem ihr verbliebenen Felde staatlicher Thä-
tigkeit nicht mehr souverän, da sie auch auf diesem Gebiete un-
mittelbar oder mittelbar die Einwirkungen der Centralgewalt ver-
spürt und sich ihnen zu fügen, rechtlich verbunden ist 2).


1) Verf. des Deutschen Reichs. Leipzig 1872 S. 19. 22 ff. Vgl. Held
System des Verfassungsrechtes I. 392 fg. und dazu Brie 145.
2) Sehr gut äußert sich darüber v. Held 163.

§. 8. Der Begriff des Bundesſtaates.
Bd. 28 und der Einleitung zu ſeinem Commentar der Reichsverf.
hervorzuheben, daß er gegen die Theilbarkeit der Souveränetät ſich
mit Entſchiedenheit erklärt und auf den Widerſpruch hingewieſen
hat, der in faſt allen neueren Darſtellungen des Staatsrechts ſich
findet, daß einerſeits die Einheit und Untheilbarkeit als zum Weſen
der Staatsgewalt und andererſeits die Theilung der Staatsgewalt
als zum Weſen des Bundesſtaats gehörig bezeichnet wird. Auch
Held 1) erklärt „eine Theilung der Souveränetät nach Inhalt
und Innehabung für eine abſolute Unmöglichkeit. Denn
ſchon der Verſuch dazu müßte die Folge haben, daß jeder Theil
und ſein Inhaber ſich in jedem Falle einer Colliſion mit einem
andern Theil und deſſen Inhaber als ſolchem, entweder über dieſen
ſtellte und deſſen Souveränetät aufhöbe, oder unter denſelben ge-
riethe und ſonach ſeine eigene Souveränetät verlöre.“

Es iſt in der That eine Chimäre, die ſtaatlichen Aufgaben
dergeſtalt in zwei Theile zerlegen zu wollen, daß auf jedem dieſer
beiden Theile eine geſonderte Staatsgewalt unabhängig von der
andern herrſche. Das Geſammtleben der Nation läßt ſich ſo wenig
auseinanderreißen, wie das Leben des Menſchen; alle Aufgaben
und Zwecke des Staates und demgemäß alle Einrichtungen und
Herrſchaftsrechte des Staates ſtehen in Wechſelwirkung und be-
ſtimmen ſich gegenſeitig. Keine Seite des ſtaatlichen Lebens läßt
ſich iſoliren und ohne Rückſicht auf die geſammte Ordnung des
Staates für ſich verfolgen. Es erhebt ſich daher ſofort die Frage,
ob die Einzelſtaatsgewalt bei der Durchführung der ihr verbliebe-
nen ſtaatlichen Aufgaben ſich innerhalb der von der Geſammt-
ſtaatsgewalt aufgeſtellten Normen halten muß, oder ob um-
gekehrt die in den Einzelſtaaten beſtehenden Normen eine Schranke
bilden für die Ausübung der Centralſtaatsgewalt. Findet die
Einzelſtaatsgewalt an den von der Centralgewalt aufgeſtellten
Normen eine Schranke, welche ihr von Außen, von einem ihr frem-
den Willen geſetzt iſt, ſo iſt damit ihre Souveränetät verneint;
ſie iſt dann auch auf dem ihr verbliebenen Felde ſtaatlicher Thä-
tigkeit nicht mehr ſouverän, da ſie auch auf dieſem Gebiete un-
mittelbar oder mittelbar die Einwirkungen der Centralgewalt ver-
ſpürt und ſich ihnen zu fügen, rechtlich verbunden iſt 2).


1) Verf. des Deutſchen Reichs. Leipzig 1872 S. 19. 22 ff. Vgl. Held
Syſtem des Verfaſſungsrechtes I. 392 fg. und dazu Brie 145.
2) Sehr gut äußert ſich darüber v. Held 163.
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[74/0094] §. 8. Der Begriff des Bundesſtaates. Bd. 28 und der Einleitung zu ſeinem Commentar der Reichsverf. hervorzuheben, daß er gegen die Theilbarkeit der Souveränetät ſich mit Entſchiedenheit erklärt und auf den Widerſpruch hingewieſen hat, der in faſt allen neueren Darſtellungen des Staatsrechts ſich findet, daß einerſeits die Einheit und Untheilbarkeit als zum Weſen der Staatsgewalt und andererſeits die Theilung der Staatsgewalt als zum Weſen des Bundesſtaats gehörig bezeichnet wird. Auch Held 1) erklärt „eine Theilung der Souveränetät nach Inhalt und Innehabung für eine abſolute Unmöglichkeit. Denn ſchon der Verſuch dazu müßte die Folge haben, daß jeder Theil und ſein Inhaber ſich in jedem Falle einer Colliſion mit einem andern Theil und deſſen Inhaber als ſolchem, entweder über dieſen ſtellte und deſſen Souveränetät aufhöbe, oder unter denſelben ge- riethe und ſonach ſeine eigene Souveränetät verlöre.“ Es iſt in der That eine Chimäre, die ſtaatlichen Aufgaben dergeſtalt in zwei Theile zerlegen zu wollen, daß auf jedem dieſer beiden Theile eine geſonderte Staatsgewalt unabhängig von der andern herrſche. Das Geſammtleben der Nation läßt ſich ſo wenig auseinanderreißen, wie das Leben des Menſchen; alle Aufgaben und Zwecke des Staates und demgemäß alle Einrichtungen und Herrſchaftsrechte des Staates ſtehen in Wechſelwirkung und be- ſtimmen ſich gegenſeitig. Keine Seite des ſtaatlichen Lebens läßt ſich iſoliren und ohne Rückſicht auf die geſammte Ordnung des Staates für ſich verfolgen. Es erhebt ſich daher ſofort die Frage, ob die Einzelſtaatsgewalt bei der Durchführung der ihr verbliebe- nen ſtaatlichen Aufgaben ſich innerhalb der von der Geſammt- ſtaatsgewalt aufgeſtellten Normen halten muß, oder ob um- gekehrt die in den Einzelſtaaten beſtehenden Normen eine Schranke bilden für die Ausübung der Centralſtaatsgewalt. Findet die Einzelſtaatsgewalt an den von der Centralgewalt aufgeſtellten Normen eine Schranke, welche ihr von Außen, von einem ihr frem- den Willen geſetzt iſt, ſo iſt damit ihre Souveränetät verneint; ſie iſt dann auch auf dem ihr verbliebenen Felde ſtaatlicher Thä- tigkeit nicht mehr ſouverän, da ſie auch auf dieſem Gebiete un- mittelbar oder mittelbar die Einwirkungen der Centralgewalt ver- ſpürt und ſich ihnen zu fügen, rechtlich verbunden iſt 2). 1) Verf. des Deutſchen Reichs. Leipzig 1872 S. 19. 22 ff. Vgl. Held Syſtem des Verfaſſungsrechtes I. 392 fg. und dazu Brie 145. 2) Sehr gut äußert ſich darüber v. Held 163.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/94>, abgerufen am 21.11.2024.