Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.§. 59. Die Verordnungen des Reichs. schriften androhen, welche im Verordnungswege zu erlassen sind 1).In allen Fällen muß sich aber der Inhalt der Verordnung inner- halb der von dem delegirenden Gesetz gezogenen Grenzen halten. Wenn eine Verordnung diese Grenzen überschreitet, so braucht sie deshalb nicht ganz und gar nichtig zu sein; sie behält ihre Gültig- keit, soweit ihre Anordnungen durch die gesetzliche Ermächtigung gestützt und getragen werden; oder sie kann als Rechtsvorschrift ungültig sein, als Verwaltungsvorschrift dagegen Wirkungen haben 2). Von diesen Gesichtspunkten aus unterliegen einige Verord- 1) Dies ist z. B. geschehen im Strafgesetzbuch §. 145, wonach die straf- gesetzlich geschützten Verordnungen vom Kaiser zu erlassen sind. Binding, Normen I. S. 75 nennt derartige Gesetze "Blankettstrafgesetze". 2) Es gilt dies beispielsweise von dem Eisenbahn-Betriebs-Re-
glement. Dasselbe schafft keine Rechtssätze, sondern lediglich Verwaltungs- regeln für den Eisenbahn-Betrieb und kann bei der Beurtheilung der Fracht- verträge nicht kraft des Gesetzgebungswillens des Reiches als Entscheidungs- norm, sondern kraft des Willens der Vertragschließenden als Vertrags- bestimmung in Betracht kommen. Es ist dies mit vorzüglicher Klarheit ausgesprochen in dem Urtheil des Reichs-Oberhandelsgerichts v. 30. Nov. 1875 Entscheidungen Bd. XIX. S. 184 ff. -- Auch die zur Ausfüh- rung des Militairpensionsgesetzes vom Bundesrath beschlossenen "Bestimmun- gen" v. 22. Febr. 1875 (Centralbl. S. 142), welche vielfach Interpretationen des Gesetzes oder Schlußfolgerungen aus demselben enthalten, zu deren Erlaß der Bundesrath aber nicht durch eine besondere gesetzliche Bestimmung ermäch- tigt worden ist, sondern welche er auf Grund des Art. 7 Ziff. 2 der R.-V. erlassen hat, können nur als Instruktionen für die Militär-Intendanturen und Kassenverwaltungen angesehen werden, nicht als Rechtsregeln, welche bei einer richterlichen Entscheidung über Pensions-Ansprüche in Betracht kommen könnten. §. 59. Die Verordnungen des Reichs. ſchriften androhen, welche im Verordnungswege zu erlaſſen ſind 1).In allen Fällen muß ſich aber der Inhalt der Verordnung inner- halb der von dem delegirenden Geſetz gezogenen Grenzen halten. Wenn eine Verordnung dieſe Grenzen überſchreitet, ſo braucht ſie deshalb nicht ganz und gar nichtig zu ſein; ſie behält ihre Gültig- keit, ſoweit ihre Anordnungen durch die geſetzliche Ermächtigung geſtützt und getragen werden; oder ſie kann als Rechtsvorſchrift ungültig ſein, als Verwaltungsvorſchrift dagegen Wirkungen haben 2). Von dieſen Geſichtspunkten aus unterliegen einige Verord- 1) Dies iſt z. B. geſchehen im Strafgeſetzbuch §. 145, wonach die ſtraf- geſetzlich geſchützten Verordnungen vom Kaiſer zu erlaſſen ſind. Binding, Normen I. S. 75 nennt derartige Geſetze „Blankettſtrafgeſetze“. 2) Es gilt dies beiſpielsweiſe von dem Eiſenbahn-Betriebs-Re-
glement. Daſſelbe ſchafft keine Rechtsſätze, ſondern lediglich Verwaltungs- regeln für den Eiſenbahn-Betrieb und kann bei der Beurtheilung der Fracht- verträge nicht kraft des Geſetzgebungswillens des Reiches als Entſcheidungs- norm, ſondern kraft des Willens der Vertragſchließenden als Vertrags- beſtimmung in Betracht kommen. Es iſt dies mit vorzüglicher Klarheit ausgeſprochen in dem Urtheil des Reichs-Oberhandelsgerichts v. 30. Nov. 1875 Entſcheidungen Bd. XIX. S. 184 ff. — Auch die zur Ausfüh- rung des Militairpenſionsgeſetzes vom Bundesrath beſchloſſenen „Beſtimmun- gen“ v. 22. Febr. 1875 (Centralbl. S. 142), welche vielfach Interpretationen des Geſetzes oder Schlußfolgerungen aus demſelben enthalten, zu deren Erlaß der Bundesrath aber nicht durch eine beſondere geſetzliche Beſtimmung ermäch- tigt worden iſt, ſondern welche er auf Grund des Art. 7 Ziff. 2 der R.-V. erlaſſen hat, können nur als Inſtruktionen für die Militär-Intendanturen und Kaſſenverwaltungen angeſehen werden, nicht als Rechtsregeln, welche bei einer richterlichen Entſcheidung über Penſions-Anſprüche in Betracht kommen könnten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0103" n="89"/><fw place="top" type="header">§. 59. Die Verordnungen des Reichs.</fw><lb/> ſchriften androhen, welche im Verordnungswege zu erlaſſen ſind <note place="foot" n="1)">Dies iſt z. B. geſchehen im Strafgeſetzbuch §. 145, wonach die ſtraf-<lb/> geſetzlich geſchützten Verordnungen vom <hi rendition="#g">Kaiſer</hi> zu erlaſſen ſind. <hi rendition="#g">Binding</hi>,<lb/> Normen <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 75 nennt derartige Geſetze „Blankettſtrafgeſetze“.</note>.<lb/> In allen Fällen muß ſich aber der Inhalt der Verordnung inner-<lb/> halb der von dem delegirenden Geſetz gezogenen Grenzen halten.<lb/> Wenn eine Verordnung dieſe Grenzen überſchreitet, ſo braucht ſie<lb/> deshalb nicht ganz und gar nichtig zu ſein; ſie behält ihre Gültig-<lb/> keit, ſoweit ihre Anordnungen durch die geſetzliche Ermächtigung<lb/> geſtützt und getragen werden; oder ſie kann als Rechtsvorſchrift<lb/> ungültig ſein, als Verwaltungsvorſchrift dagegen Wirkungen haben <note place="foot" n="2)">Es gilt dies beiſpielsweiſe von dem <hi rendition="#g">Eiſenbahn-Betriebs-Re-<lb/> glement</hi>. Daſſelbe ſchafft keine Rechtsſätze, ſondern lediglich Verwaltungs-<lb/> regeln für den Eiſenbahn-Betrieb und kann bei der Beurtheilung der Fracht-<lb/> verträge nicht kraft des Geſetzgebungswillens des Reiches als <hi rendition="#g">Entſcheidungs-<lb/> norm</hi>, ſondern kraft des Willens der Vertragſchließenden als <hi rendition="#g">Vertrags-<lb/> beſtimmung</hi> in Betracht kommen. Es iſt dies mit vorzüglicher Klarheit<lb/> ausgeſprochen in dem Urtheil des <hi rendition="#g">Reichs-Oberhandelsgerichts</hi> v.<lb/> 30. Nov. 1875 Entſcheidungen Bd. <hi rendition="#aq">XIX.</hi> S. 184 ff. — Auch die zur Ausfüh-<lb/> rung des Militairpenſionsgeſetzes vom Bundesrath beſchloſſenen „Beſtimmun-<lb/> gen“ v. 22. Febr. 1875 (Centralbl. S. 142), welche vielfach Interpretationen<lb/> des Geſetzes oder Schlußfolgerungen aus demſelben enthalten, zu deren Erlaß<lb/> der Bundesrath aber nicht durch eine beſondere geſetzliche Beſtimmung ermäch-<lb/> tigt worden iſt, ſondern welche er auf Grund des Art. 7 Ziff. 2 der R.-V.<lb/> erlaſſen hat, können nur als Inſtruktionen für die Militär-Intendanturen und<lb/> Kaſſenverwaltungen angeſehen werden, nicht als Rechtsregeln, welche bei einer<lb/> richterlichen Entſcheidung über Penſions-Anſprüche in Betracht kommen könnten.</note>.</p><lb/> <p>Von dieſen Geſichtspunkten aus unterliegen einige Verord-<lb/> nungen des Reiches in Beziehung auf ihre rechtliche Gültigkeit er-<lb/> heblichen Bedenken. Es gilt dies namentlich vom <hi rendition="#g">Eiſenbahn-<lb/> Polizei-Reglement</hi>, welches zuerſt am 3. Juni 1870 erlaſſen<lb/> und im Bundesgeſetzbl. S. 461 verkündigt wurde, in neuer Re-<lb/> daction aber am 4. Januar 1875 ergangen und im Centralblatt<lb/> des Deutſchen Reiches v. 1875 S. 57 ff. abgedruckt iſt. Daſſelbe<lb/> iſt ergangen „in Gemäßheit der Art. 42 und 43 der Reichsver-<lb/> faſſung“; dieſe Artikel enthalten aber keine Ermächtigung für den<lb/> Bundesrath, eine Geſetzgebung in Bahnpolizei-Angelegenheiten aus-<lb/> zuüben, ſondern eine „Verpflichtung der Bundesregierungen“, die<lb/> Deutſchen Eiſenbahnen wie ein einheitliches Netz verwalten und zu<lb/> dieſem Behuf die neuherzuſtellenden Bahnen nach einheitlichen Nor-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0103]
§. 59. Die Verordnungen des Reichs.
ſchriften androhen, welche im Verordnungswege zu erlaſſen ſind 1).
In allen Fällen muß ſich aber der Inhalt der Verordnung inner-
halb der von dem delegirenden Geſetz gezogenen Grenzen halten.
Wenn eine Verordnung dieſe Grenzen überſchreitet, ſo braucht ſie
deshalb nicht ganz und gar nichtig zu ſein; ſie behält ihre Gültig-
keit, ſoweit ihre Anordnungen durch die geſetzliche Ermächtigung
geſtützt und getragen werden; oder ſie kann als Rechtsvorſchrift
ungültig ſein, als Verwaltungsvorſchrift dagegen Wirkungen haben 2).
Von dieſen Geſichtspunkten aus unterliegen einige Verord-
nungen des Reiches in Beziehung auf ihre rechtliche Gültigkeit er-
heblichen Bedenken. Es gilt dies namentlich vom Eiſenbahn-
Polizei-Reglement, welches zuerſt am 3. Juni 1870 erlaſſen
und im Bundesgeſetzbl. S. 461 verkündigt wurde, in neuer Re-
daction aber am 4. Januar 1875 ergangen und im Centralblatt
des Deutſchen Reiches v. 1875 S. 57 ff. abgedruckt iſt. Daſſelbe
iſt ergangen „in Gemäßheit der Art. 42 und 43 der Reichsver-
faſſung“; dieſe Artikel enthalten aber keine Ermächtigung für den
Bundesrath, eine Geſetzgebung in Bahnpolizei-Angelegenheiten aus-
zuüben, ſondern eine „Verpflichtung der Bundesregierungen“, die
Deutſchen Eiſenbahnen wie ein einheitliches Netz verwalten und zu
dieſem Behuf die neuherzuſtellenden Bahnen nach einheitlichen Nor-
1) Dies iſt z. B. geſchehen im Strafgeſetzbuch §. 145, wonach die ſtraf-
geſetzlich geſchützten Verordnungen vom Kaiſer zu erlaſſen ſind. Binding,
Normen I. S. 75 nennt derartige Geſetze „Blankettſtrafgeſetze“.
2) Es gilt dies beiſpielsweiſe von dem Eiſenbahn-Betriebs-Re-
glement. Daſſelbe ſchafft keine Rechtsſätze, ſondern lediglich Verwaltungs-
regeln für den Eiſenbahn-Betrieb und kann bei der Beurtheilung der Fracht-
verträge nicht kraft des Geſetzgebungswillens des Reiches als Entſcheidungs-
norm, ſondern kraft des Willens der Vertragſchließenden als Vertrags-
beſtimmung in Betracht kommen. Es iſt dies mit vorzüglicher Klarheit
ausgeſprochen in dem Urtheil des Reichs-Oberhandelsgerichts v.
30. Nov. 1875 Entſcheidungen Bd. XIX. S. 184 ff. — Auch die zur Ausfüh-
rung des Militairpenſionsgeſetzes vom Bundesrath beſchloſſenen „Beſtimmun-
gen“ v. 22. Febr. 1875 (Centralbl. S. 142), welche vielfach Interpretationen
des Geſetzes oder Schlußfolgerungen aus demſelben enthalten, zu deren Erlaß
der Bundesrath aber nicht durch eine beſondere geſetzliche Beſtimmung ermäch-
tigt worden iſt, ſondern welche er auf Grund des Art. 7 Ziff. 2 der R.-V.
erlaſſen hat, können nur als Inſtruktionen für die Militär-Intendanturen und
Kaſſenverwaltungen angeſehen werden, nicht als Rechtsregeln, welche bei einer
richterlichen Entſcheidung über Penſions-Anſprüche in Betracht kommen könnten.
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