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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 61. Reichsgesetzgebung und Landesgesetzgebung.
nahme, indem gewisse Angelegenheiten nach der Reichsverfassung
entweder der Gesetzgebung der Einzelstaaten oder derjenigen des
Reiches gänzlich entzogen sind. Die gesammte Rechtsordnung zer-
fällt demnach in dieser Hinsicht in drei Gebiete, in das der aus-
schließlichen Gesetzgebungs-Competenz des Reiches, in das der fa-
kultativen Gesetzgebungs-Competenz des Reiches, welches zugleich
bedingt das Gesetzgebungsgebiet der Einzelstaaten ist, und in das
der ausschließlichen Gesetzgebungs-Competenz der Einzelstaaten.

a) Der ausschließlichen Kompetenz 1) des Reiches unterliegen
die Anordnungen über die Verfassung des Reiches, die Organisa-
tion, die Amtsbefugnisse und Pflichten seiner Behörden, die recht-
liche Stellung seiner Beamten, die Bildung des Reichstages (Wahl-
recht) und die Rechte und Pflichten der Abgeordneten, die Finanz-
wirthschaft des Reiches, die Verwaltung der Reichs-Anstalten und
das Verhältniß der einzelnen Bundesglieder zum Reich. Alle diese
Gegenstände unterliegen ihrer Natur nach nicht der Machtsphäre
eines einzelnen Staates, sondern setzen die Verbindung der Einzel-
staaten zu einer höheren Einheit, dem Reiche, voraus; sie können
daher auch nur von dieser höheren Gewalt ihre rechtliche Normi-
rung erhalten. Aus demselben Grunde hat das Reich ausschließ-
lich die Gesetzgebung über die Kriegsmarine, da nach Art. 53 der
R.-V. dieselbe eine "einheitliche" ist; hinsichtlich der Handelsmarine
sind in Art. 54 Abs. 2 diejenigen Punkte aufgeführt, welche "das
Reich" zu bestimmen hat, so daß auch in diesen Beziehungen die
Gesetzgebung der Einzelstaaten ausgeschlossen ist. In Betreff des
Kriegswesens ist die Gesetzgebung der Einzelstaaten ebenfalls aus-
geschlossen, da nach Art. 61 der Verf. im ganzen Reichsgebiet "die
gesammte" Preuß. Militairgesetzgebung einzuführen war und nach
gleichmäßiger Durchführung der Kriegsorganisation ein "umfassen-
des" Reichsmilitairgesetz dem Reichstage und dem Bundesrathe
vorgelegt werden sollte. Dieses "umfassende", also Ergänzungen
durch die Landesgesetzgebung ausschließende Reichsmilitairgesetz ist
unter dem 2. Mai 1874 (R.-G.-Bl. S. 45) ergangen. Außerdem
ist durch den Art. 35 der R.-V. dem Reich ausschließlich zuge-
wiesen die Gesetzgebung über das gesammte Zollwesen; ferner über

gesetzliche Ermächtigung derselben zum Erlaß von Ausführungsbestimmungen
zu Reichsgesetzen. Siehe oben S. 83 fg.
1) Vgl. Riedel S. 38. 39. v. Rönne II. 1. S. 9.

§. 61. Reichsgeſetzgebung und Landesgeſetzgebung.
nahme, indem gewiſſe Angelegenheiten nach der Reichsverfaſſung
entweder der Geſetzgebung der Einzelſtaaten oder derjenigen des
Reiches gänzlich entzogen ſind. Die geſammte Rechtsordnung zer-
fällt demnach in dieſer Hinſicht in drei Gebiete, in das der aus-
ſchließlichen Geſetzgebungs-Competenz des Reiches, in das der fa-
kultativen Geſetzgebungs-Competenz des Reiches, welches zugleich
bedingt das Geſetzgebungsgebiet der Einzelſtaaten iſt, und in das
der ausſchließlichen Geſetzgebungs-Competenz der Einzelſtaaten.

a) Der ausſchließlichen Kompetenz 1) des Reiches unterliegen
die Anordnungen über die Verfaſſung des Reiches, die Organiſa-
tion, die Amtsbefugniſſe und Pflichten ſeiner Behörden, die recht-
liche Stellung ſeiner Beamten, die Bildung des Reichstages (Wahl-
recht) und die Rechte und Pflichten der Abgeordneten, die Finanz-
wirthſchaft des Reiches, die Verwaltung der Reichs-Anſtalten und
das Verhältniß der einzelnen Bundesglieder zum Reich. Alle dieſe
Gegenſtände unterliegen ihrer Natur nach nicht der Machtſphäre
eines einzelnen Staates, ſondern ſetzen die Verbindung der Einzel-
ſtaaten zu einer höheren Einheit, dem Reiche, voraus; ſie können
daher auch nur von dieſer höheren Gewalt ihre rechtliche Normi-
rung erhalten. Aus demſelben Grunde hat das Reich ausſchließ-
lich die Geſetzgebung über die Kriegsmarine, da nach Art. 53 der
R.-V. dieſelbe eine „einheitliche“ iſt; hinſichtlich der Handelsmarine
ſind in Art. 54 Abſ. 2 diejenigen Punkte aufgeführt, welche „das
Reich“ zu beſtimmen hat, ſo daß auch in dieſen Beziehungen die
Geſetzgebung der Einzelſtaaten ausgeſchloſſen iſt. In Betreff des
Kriegsweſens iſt die Geſetzgebung der Einzelſtaaten ebenfalls aus-
geſchloſſen, da nach Art. 61 der Verf. im ganzen Reichsgebiet „die
geſammte“ Preuß. Militairgeſetzgebung einzuführen war und nach
gleichmäßiger Durchführung der Kriegsorganiſation ein „umfaſſen-
des“ Reichsmilitairgeſetz dem Reichstage und dem Bundesrathe
vorgelegt werden ſollte. Dieſes „umfaſſende“, alſo Ergänzungen
durch die Landesgeſetzgebung ausſchließende Reichsmilitairgeſetz iſt
unter dem 2. Mai 1874 (R.-G.-Bl. S. 45) ergangen. Außerdem
iſt durch den Art. 35 der R.-V. dem Reich ausſchließlich zuge-
wieſen die Geſetzgebung über das geſammte Zollweſen; ferner über

geſetzliche Ermächtigung derſelben zum Erlaß von Ausführungsbeſtimmungen
zu Reichsgeſetzen. Siehe oben S. 83 fg.
1) Vgl. Riedel S. 38. 39. v. Rönne II. 1. S. 9.
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[116/0130] §. 61. Reichsgeſetzgebung und Landesgeſetzgebung. nahme, indem gewiſſe Angelegenheiten nach der Reichsverfaſſung entweder der Geſetzgebung der Einzelſtaaten oder derjenigen des Reiches gänzlich entzogen ſind. Die geſammte Rechtsordnung zer- fällt demnach in dieſer Hinſicht in drei Gebiete, in das der aus- ſchließlichen Geſetzgebungs-Competenz des Reiches, in das der fa- kultativen Geſetzgebungs-Competenz des Reiches, welches zugleich bedingt das Geſetzgebungsgebiet der Einzelſtaaten iſt, und in das der ausſchließlichen Geſetzgebungs-Competenz der Einzelſtaaten. a) Der ausſchließlichen Kompetenz 1) des Reiches unterliegen die Anordnungen über die Verfaſſung des Reiches, die Organiſa- tion, die Amtsbefugniſſe und Pflichten ſeiner Behörden, die recht- liche Stellung ſeiner Beamten, die Bildung des Reichstages (Wahl- recht) und die Rechte und Pflichten der Abgeordneten, die Finanz- wirthſchaft des Reiches, die Verwaltung der Reichs-Anſtalten und das Verhältniß der einzelnen Bundesglieder zum Reich. Alle dieſe Gegenſtände unterliegen ihrer Natur nach nicht der Machtſphäre eines einzelnen Staates, ſondern ſetzen die Verbindung der Einzel- ſtaaten zu einer höheren Einheit, dem Reiche, voraus; ſie können daher auch nur von dieſer höheren Gewalt ihre rechtliche Normi- rung erhalten. Aus demſelben Grunde hat das Reich ausſchließ- lich die Geſetzgebung über die Kriegsmarine, da nach Art. 53 der R.-V. dieſelbe eine „einheitliche“ iſt; hinſichtlich der Handelsmarine ſind in Art. 54 Abſ. 2 diejenigen Punkte aufgeführt, welche „das Reich“ zu beſtimmen hat, ſo daß auch in dieſen Beziehungen die Geſetzgebung der Einzelſtaaten ausgeſchloſſen iſt. In Betreff des Kriegsweſens iſt die Geſetzgebung der Einzelſtaaten ebenfalls aus- geſchloſſen, da nach Art. 61 der Verf. im ganzen Reichsgebiet „die geſammte“ Preuß. Militairgeſetzgebung einzuführen war und nach gleichmäßiger Durchführung der Kriegsorganiſation ein „umfaſſen- des“ Reichsmilitairgeſetz dem Reichstage und dem Bundesrathe vorgelegt werden ſollte. Dieſes „umfaſſende“, alſo Ergänzungen durch die Landesgeſetzgebung ausſchließende Reichsmilitairgeſetz iſt unter dem 2. Mai 1874 (R.-G.-Bl. S. 45) ergangen. Außerdem iſt durch den Art. 35 der R.-V. dem Reich ausſchließlich zuge- wieſen die Geſetzgebung über das geſammte Zollweſen; ferner über 3) 1) Vgl. Riedel S. 38. 39. v. Rönne II. 1. S. 9. 3) geſetzliche Ermächtigung derſelben zum Erlaß von Ausführungsbeſtimmungen zu Reichsgeſetzen. Siehe oben S. 83 fg.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/130>, abgerufen am 25.11.2024.