Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 62. Die Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen.
und Zweck für das ganze Reichsgebiet Geltung haben sollten
und mußten, wie das Postgesetz vom 28. Oktober 1871, das Je-
suitengesetz v. 4. Juli 1872, das Militair-Strafgesetzbuch v. 8. Juli
1872, das Zollgesetz v. 7. Juli 1873 1), das Gesetz über die Kriegs-
leistungen v. 13. Juni 1873 u. s. w. Sie mußten zweimal er-
lassen werden, einmal für das Herrschaftsgebiet der Reichsverfas-
sung, das andere Mal für das Herrschaftsgebiet des Ges. v. 9. Juni
1871. Will man die Provinzialgesetzgebung des Reichs für Elsaß-
Lothringen als Landesgesetzgebung bezeichnen, so kann man für
das Reichsland im vollsten Gegensatz zu dem im Art. 2 der R.-V.
ausgesprochenen Prinzip den Grundsatz formuliren, daß Reichsge-
setze nur gelten, wenn sie im Wege der Landesgesetzgebung einge-
führt worden sind 2).

b) Während es im Gebiete der Reichsverfassung unzulässig
ist, daß die Einzelstaaten eine Bestimmung eines Reichsgesetzes ab-
ändern oder aufheben, die Reichsgesetze vielmehr den unbedingten
Vorrang vor allen Landesgesetzen haben, auch den später erlasse-
nen, verhält es sich im Reichslande umgekehrt. Die Einführung
der Reichsgesetze konnte in Elsaß-Lothringen mit Abänderungen
derselben erfolgen 3), mit der Wirkung, daß das Landesgesetz
(d. h. das für das Reichsland erlassene Gesetz) dem Reichsgesetz
vorgeht. Denn die Mitwirkung des Reichstages verleiht den
Reichsgesetzen keine höhere Kraft; das Reich übte seine gesetzgebende
Gewalt im Reichslande nur in anderer Form oder durch andere
Organe aus wie im übrigen Bundesgebiet; immer ist es aber die-

1) Dieses Gesetz ist im Gesetzbl. f. Els.-Lothringen v. 1873 S. 191 ver-
kündet worden, aber ohne Einführungsgesetz, was ein formelles Ver-
sehen ist. -- Ebenso ist die gesetzliche Einführung des Posttax-Gesetzes vom
17. Mai 1873 und des den Art. 13 Nro. 4 der R.-V. abändernden Gesetzes
v. 20. Dez. 1873 verabsäumt und dieses Versehen erst durch das Reichsgesetz
v. 8. Febr. 1875 (G.-Bl. S. 9) gut gemacht worden.
2) Das Wort "Landesgesetzgebung" hat eben für das Reichsland einen
durchaus anderen Sinn als für die Bundesglieder.
3) Dies ist nur sehr selten geschehen, aber doch vorgekommen. Beispiele
dafür bieten das Einf.-Ges. zum Strafgesetzbuch Art. XVI. und das Einf.-
Ges. zum Handelsgesetzb. §. 32. -- Diese Einführungsgesetze vereinigen in sich
Anordnungen, welche im übrigen Reiche theils der Gesetzgebung des Reiches
theils der Gesetzgebung der einzelnen Staaten unterliegen. Vgl. auch Förtsch
und Leoni in Rüdorff's Kommentar zum St.-G.-B. (2. Aufl.) S. 571.

§. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen.
und Zweck für das ganze Reichsgebiet Geltung haben ſollten
und mußten, wie das Poſtgeſetz vom 28. Oktober 1871, das Je-
ſuitengeſetz v. 4. Juli 1872, das Militair-Strafgeſetzbuch v. 8. Juli
1872, das Zollgeſetz v. 7. Juli 1873 1), das Geſetz über die Kriegs-
leiſtungen v. 13. Juni 1873 u. ſ. w. Sie mußten zweimal er-
laſſen werden, einmal für das Herrſchaftsgebiet der Reichsverfaſ-
ſung, das andere Mal für das Herrſchaftsgebiet des Geſ. v. 9. Juni
1871. Will man die Provinzialgeſetzgebung des Reichs für Elſaß-
Lothringen als Landesgeſetzgebung bezeichnen, ſo kann man für
das Reichsland im vollſten Gegenſatz zu dem im Art. 2 der R.-V.
ausgeſprochenen Prinzip den Grundſatz formuliren, daß Reichsge-
ſetze nur gelten, wenn ſie im Wege der Landesgeſetzgebung einge-
führt worden ſind 2).

b) Während es im Gebiete der Reichsverfaſſung unzuläſſig
iſt, daß die Einzelſtaaten eine Beſtimmung eines Reichsgeſetzes ab-
ändern oder aufheben, die Reichsgeſetze vielmehr den unbedingten
Vorrang vor allen Landesgeſetzen haben, auch den ſpäter erlaſſe-
nen, verhält es ſich im Reichslande umgekehrt. Die Einführung
der Reichsgeſetze konnte in Elſaß-Lothringen mit Abänderungen
derſelben erfolgen 3), mit der Wirkung, daß das Landesgeſetz
(d. h. das für das Reichsland erlaſſene Geſetz) dem Reichsgeſetz
vorgeht. Denn die Mitwirkung des Reichstages verleiht den
Reichsgeſetzen keine höhere Kraft; das Reich übte ſeine geſetzgebende
Gewalt im Reichslande nur in anderer Form oder durch andere
Organe aus wie im übrigen Bundesgebiet; immer iſt es aber die-

1) Dieſes Geſetz iſt im Geſetzbl. f. Elſ.-Lothringen v. 1873 S. 191 ver-
kündet worden, aber ohne Einführungsgeſetz, was ein formelles Ver-
ſehen iſt. — Ebenſo iſt die geſetzliche Einführung des Poſttax-Geſetzes vom
17. Mai 1873 und des den Art. 13 Nro. 4 der R.-V. abändernden Geſetzes
v. 20. Dez. 1873 verabſäumt und dieſes Verſehen erſt durch das Reichsgeſetz
v. 8. Febr. 1875 (G.-Bl. S. 9) gut gemacht worden.
2) Das Wort „Landesgeſetzgebung“ hat eben für das Reichsland einen
durchaus anderen Sinn als für die Bundesglieder.
3) Dies iſt nur ſehr ſelten geſchehen, aber doch vorgekommen. Beiſpiele
dafür bieten das Einf.-Geſ. zum Strafgeſetzbuch Art. XVI. und das Einf.-
Geſ. zum Handelsgeſetzb. §. 32. — Dieſe Einführungsgeſetze vereinigen in ſich
Anordnungen, welche im übrigen Reiche theils der Geſetzgebung des Reiches
theils der Geſetzgebung der einzelnen Staaten unterliegen. Vgl. auch Förtſch
und Leoni in Rüdorff’s Kommentar zum St.-G.-B. (2. Aufl.) S. 571.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0151" n="137"/><fw place="top" type="header">§. 62. Die Ge&#x017F;etzgebung für El&#x017F;aß-Lothringen.</fw><lb/>
und Zweck für das <hi rendition="#g">ganze</hi> Reichsgebiet Geltung haben &#x017F;ollten<lb/>
und mußten, wie das Po&#x017F;tge&#x017F;etz vom 28. Oktober 1871, das Je-<lb/>
&#x017F;uitenge&#x017F;etz v. 4. Juli 1872, das Militair-Strafge&#x017F;etzbuch v. 8. Juli<lb/>
1872, das Zollge&#x017F;etz v. 7. Juli 1873 <note place="foot" n="1)">Die&#x017F;es Ge&#x017F;etz i&#x017F;t im Ge&#x017F;etzbl. f. El&#x017F;.-Lothringen v. 1873 S. 191 ver-<lb/>
kündet worden, aber <hi rendition="#g">ohne Einführungsge&#x017F;etz</hi>, was ein formelles Ver-<lb/>
&#x017F;ehen i&#x017F;t. &#x2014; Eben&#x017F;o i&#x017F;t die ge&#x017F;etzliche Einführung des Po&#x017F;ttax-Ge&#x017F;etzes vom<lb/>
17. Mai 1873 und des den Art. 13 Nro. 4 der R.-V. abändernden Ge&#x017F;etzes<lb/>
v. 20. Dez. 1873 verab&#x017F;äumt und die&#x017F;es Ver&#x017F;ehen er&#x017F;t durch das Reichsge&#x017F;etz<lb/>
v. 8. Febr. 1875 (G.-Bl. S. 9) gut gemacht worden.</note>, das Ge&#x017F;etz über die Kriegs-<lb/>
lei&#x017F;tungen v. 13. Juni 1873 u. &#x017F;. w. Sie mußten zweimal er-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en werden, einmal für das Herr&#x017F;chaftsgebiet der Reichsverfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung, das andere Mal für das Herr&#x017F;chaftsgebiet des Ge&#x017F;. v. 9. Juni<lb/>
1871. Will man die Provinzialge&#x017F;etzgebung des Reichs für El&#x017F;aß-<lb/>
Lothringen als Landesge&#x017F;etzgebung bezeichnen, &#x017F;o kann man für<lb/>
das Reichsland im voll&#x017F;ten Gegen&#x017F;atz zu dem im Art. 2 der R.-V.<lb/>
ausge&#x017F;prochenen Prinzip den Grund&#x017F;atz formuliren, daß Reichsge-<lb/>
&#x017F;etze nur gelten, wenn &#x017F;ie im Wege der Landesge&#x017F;etzgebung einge-<lb/>
führt worden &#x017F;ind <note place="foot" n="2)">Das Wort &#x201E;Landesge&#x017F;etzgebung&#x201C; hat eben für das Reichsland einen<lb/>
durchaus anderen Sinn als für die Bundesglieder.</note>.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#aq">b</hi>) Während es im Gebiete der Reichsverfa&#x017F;&#x017F;ung unzulä&#x017F;&#x017F;ig<lb/>
i&#x017F;t, daß die Einzel&#x017F;taaten eine Be&#x017F;timmung eines Reichsge&#x017F;etzes ab-<lb/>
ändern oder aufheben, die Reichsge&#x017F;etze vielmehr den unbedingten<lb/>
Vorrang vor allen Landesge&#x017F;etzen haben, auch den &#x017F;päter erla&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
nen, verhält es &#x017F;ich im Reichslande umgekehrt. Die Einführung<lb/>
der Reichsge&#x017F;etze konnte in El&#x017F;aß-Lothringen mit Abänderungen<lb/>
der&#x017F;elben erfolgen <note place="foot" n="3)">Dies i&#x017F;t nur &#x017F;ehr &#x017F;elten ge&#x017F;chehen, aber doch vorgekommen. Bei&#x017F;piele<lb/>
dafür bieten das Einf.-Ge&#x017F;. zum Strafge&#x017F;etzbuch Art. <hi rendition="#aq">XVI.</hi> und das Einf.-<lb/>
Ge&#x017F;. zum Handelsge&#x017F;etzb. §. 32. &#x2014; Die&#x017F;e Einführungsge&#x017F;etze vereinigen in &#x017F;ich<lb/>
Anordnungen, welche im übrigen Reiche theils der Ge&#x017F;etzgebung des Reiches<lb/>
theils der Ge&#x017F;etzgebung der einzelnen Staaten unterliegen. Vgl. auch <hi rendition="#g">Fört&#x017F;ch</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Leoni</hi> in Rüdorff&#x2019;s Kommentar zum St.-G.-B. (2. Aufl.) S. 571.</note>, mit der Wirkung, daß das <hi rendition="#g">Landesg</hi>e&#x017F;etz<lb/>
(d. h. das für das Reichsland erla&#x017F;&#x017F;ene Ge&#x017F;etz) dem <hi rendition="#g">Reichsg</hi>e&#x017F;etz<lb/><hi rendition="#g">vorgeht</hi>. Denn die Mitwirkung des Reichstages verleiht den<lb/>
Reichsge&#x017F;etzen keine höhere Kraft; das Reich übte &#x017F;eine ge&#x017F;etzgebende<lb/>
Gewalt im Reichslande nur in anderer Form oder durch andere<lb/>
Organe aus wie im übrigen Bundesgebiet; immer i&#x017F;t es aber die-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0151] §. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen. und Zweck für das ganze Reichsgebiet Geltung haben ſollten und mußten, wie das Poſtgeſetz vom 28. Oktober 1871, das Je- ſuitengeſetz v. 4. Juli 1872, das Militair-Strafgeſetzbuch v. 8. Juli 1872, das Zollgeſetz v. 7. Juli 1873 1), das Geſetz über die Kriegs- leiſtungen v. 13. Juni 1873 u. ſ. w. Sie mußten zweimal er- laſſen werden, einmal für das Herrſchaftsgebiet der Reichsverfaſ- ſung, das andere Mal für das Herrſchaftsgebiet des Geſ. v. 9. Juni 1871. Will man die Provinzialgeſetzgebung des Reichs für Elſaß- Lothringen als Landesgeſetzgebung bezeichnen, ſo kann man für das Reichsland im vollſten Gegenſatz zu dem im Art. 2 der R.-V. ausgeſprochenen Prinzip den Grundſatz formuliren, daß Reichsge- ſetze nur gelten, wenn ſie im Wege der Landesgeſetzgebung einge- führt worden ſind 2). b) Während es im Gebiete der Reichsverfaſſung unzuläſſig iſt, daß die Einzelſtaaten eine Beſtimmung eines Reichsgeſetzes ab- ändern oder aufheben, die Reichsgeſetze vielmehr den unbedingten Vorrang vor allen Landesgeſetzen haben, auch den ſpäter erlaſſe- nen, verhält es ſich im Reichslande umgekehrt. Die Einführung der Reichsgeſetze konnte in Elſaß-Lothringen mit Abänderungen derſelben erfolgen 3), mit der Wirkung, daß das Landesgeſetz (d. h. das für das Reichsland erlaſſene Geſetz) dem Reichsgeſetz vorgeht. Denn die Mitwirkung des Reichstages verleiht den Reichsgeſetzen keine höhere Kraft; das Reich übte ſeine geſetzgebende Gewalt im Reichslande nur in anderer Form oder durch andere Organe aus wie im übrigen Bundesgebiet; immer iſt es aber die- 1) Dieſes Geſetz iſt im Geſetzbl. f. Elſ.-Lothringen v. 1873 S. 191 ver- kündet worden, aber ohne Einführungsgeſetz, was ein formelles Ver- ſehen iſt. — Ebenſo iſt die geſetzliche Einführung des Poſttax-Geſetzes vom 17. Mai 1873 und des den Art. 13 Nro. 4 der R.-V. abändernden Geſetzes v. 20. Dez. 1873 verabſäumt und dieſes Verſehen erſt durch das Reichsgeſetz v. 8. Febr. 1875 (G.-Bl. S. 9) gut gemacht worden. 2) Das Wort „Landesgeſetzgebung“ hat eben für das Reichsland einen durchaus anderen Sinn als für die Bundesglieder. 3) Dies iſt nur ſehr ſelten geſchehen, aber doch vorgekommen. Beiſpiele dafür bieten das Einf.-Geſ. zum Strafgeſetzbuch Art. XVI. und das Einf.- Geſ. zum Handelsgeſetzb. §. 32. — Dieſe Einführungsgeſetze vereinigen in ſich Anordnungen, welche im übrigen Reiche theils der Geſetzgebung des Reiches theils der Geſetzgebung der einzelnen Staaten unterliegen. Vgl. auch Förtſch und Leoni in Rüdorff’s Kommentar zum St.-G.-B. (2. Aufl.) S. 571.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/151
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/151>, abgerufen am 23.11.2024.