Besondere Verwaltungsgesetze sind begrifflich die Ausnahme; als Regel ergiebt sich für die Verwaltung die freie Thätigkeit innerhalb des Spielraumes, welchen die Gesetze gestatten. That- sächlich kehrt sich das Verhältniß aber um, weil für die zweck- mäßige Erfüllung der dem Staate obliegenden Aufgaben gewöhn- kich die Aufstellung besonderer Rechtsregeln nothwendig oder wenigstens nützlich ist. Es sind hier zwei Klassen von Gesetzen zu erwähnen, ohne welche eine heilsame Verwaltungsthätigkeit des Staates gewöhnlich nicht entfaltet werden kann.
1. Der Staat bedient sich behufs Durchführung seiner Auf- gaben seiner Herrschaft über Land und Leute; er verlangt Lei- stungen; er befiehlt Handlungen; er beschränkt die Handlungsfrei- heit der Unterthanen durch Verbote. Der Staat steht seinen An- gehörigen nicht als gleichberechtigtes Subject gegenüber, sondern als der mit imperium ausgestattete Herr. Dieses imperium aber ist in dem modernen, civilisirten Staate keine willkührliche, sondern eine durch Rechtssätze bestimmte Gewalt. Der Staat kann von seinen Angehörigen keine Leistung und keine Unterlassung fordern, er kann ihnen nichts befehlen und nichts verbieten, als auf Grund eines Rechtssatzes. Das ist das Merkmal des Rechtsstaates im Gegensatz zur Despotie. Nicht in dem Umfange, in welchem die Staatsgewalt die Freiheit der Unterthanen beschränkt, nicht in dem Maße der Lasten, welche sie ihnen auferlegt, ist dieser Unterschied begründet; sondern lediglich darin, daß in der Despotie die Staats- gewalt nach Willkühr gehandhabt wird, im Rechtsstaat nach Rechts- regeln. Diese Rechtsregeln können im Gewohnheitsrecht begründet sein; bei den modernen staatlichen und rechtlichen Zuständen sind sie gewöhnlich durch Gesetze sanctionirt. Der Staat kann Niemanden zur Zahlung von Steuern und Zöllen, zur Leistung von Militair- diensten, zur Erfüllung der Geschworenenpflicht, zum Schulbesuch u. s. w. zwingen, wenn nicht durch Gesetz diese Befugniß des Staates anerkannt ist, und folglich auch nur unter den Voraus- setzungen und nur in demjenigen Maße, welche das Gesetz vor- schreibt. Ebenso wenig kann die Regierung Jemanden in seiner Gewerbethätigkeit oder an der freien Bewegung oder an der freien Benutzung seines Eigenthums u. s. w. hindern und ihm im Inte- resse der allgemeinen Sicherheit, Gesundheit, Wohlfahrt oder im Interesse der Staatsfinanzen Beschränkungen auferlegen, außer auf
§. 67. Der Begriff der Verwaltung.
Beſondere Verwaltungsgeſetze ſind begrifflich die Ausnahme; als Regel ergiebt ſich für die Verwaltung die freie Thätigkeit innerhalb des Spielraumes, welchen die Geſetze geſtatten. That- ſächlich kehrt ſich das Verhältniß aber um, weil für die zweck- mäßige Erfüllung der dem Staate obliegenden Aufgaben gewöhn- kich die Aufſtellung beſonderer Rechtsregeln nothwendig oder wenigſtens nützlich iſt. Es ſind hier zwei Klaſſen von Geſetzen zu erwähnen, ohne welche eine heilſame Verwaltungsthätigkeit des Staates gewöhnlich nicht entfaltet werden kann.
1. Der Staat bedient ſich behufs Durchführung ſeiner Auf- gaben ſeiner Herrſchaft über Land und Leute; er verlangt Lei- ſtungen; er befiehlt Handlungen; er beſchränkt die Handlungsfrei- heit der Unterthanen durch Verbote. Der Staat ſteht ſeinen An- gehörigen nicht als gleichberechtigtes Subject gegenüber, ſondern als der mit imperium ausgeſtattete Herr. Dieſes imperium aber iſt in dem modernen, civiliſirten Staate keine willkührliche, ſondern eine durch Rechtsſätze beſtimmte Gewalt. Der Staat kann von ſeinen Angehörigen keine Leiſtung und keine Unterlaſſung fordern, er kann ihnen nichts befehlen und nichts verbieten, als auf Grund eines Rechtsſatzes. Das iſt das Merkmal des Rechtsſtaates im Gegenſatz zur Deſpotie. Nicht in dem Umfange, in welchem die Staatsgewalt die Freiheit der Unterthanen beſchränkt, nicht in dem Maße der Laſten, welche ſie ihnen auferlegt, iſt dieſer Unterſchied begründet; ſondern lediglich darin, daß in der Deſpotie die Staats- gewalt nach Willkühr gehandhabt wird, im Rechtsſtaat nach Rechts- regeln. Dieſe Rechtsregeln können im Gewohnheitsrecht begründet ſein; bei den modernen ſtaatlichen und rechtlichen Zuſtänden ſind ſie gewöhnlich durch Geſetze ſanctionirt. Der Staat kann Niemanden zur Zahlung von Steuern und Zöllen, zur Leiſtung von Militair- dienſten, zur Erfüllung der Geſchworenenpflicht, zum Schulbeſuch u. ſ. w. zwingen, wenn nicht durch Geſetz dieſe Befugniß des Staates anerkannt iſt, und folglich auch nur unter den Voraus- ſetzungen und nur in demjenigen Maße, welche das Geſetz vor- ſchreibt. Ebenſo wenig kann die Regierung Jemanden in ſeiner Gewerbethätigkeit oder an der freien Bewegung oder an der freien Benutzung ſeines Eigenthums u. ſ. w. hindern und ihm im Inte- reſſe der allgemeinen Sicherheit, Geſundheit, Wohlfahrt oder im Intereſſe der Staatsfinanzen Beſchränkungen auferlegen, außer auf
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§. 67. Der Begriff der Verwaltung.
Beſondere Verwaltungsgeſetze ſind begrifflich die Ausnahme;
als Regel ergiebt ſich für die Verwaltung die freie Thätigkeit
innerhalb des Spielraumes, welchen die Geſetze geſtatten. That-
ſächlich kehrt ſich das Verhältniß aber um, weil für die zweck-
mäßige Erfüllung der dem Staate obliegenden Aufgaben gewöhn-
kich die Aufſtellung beſonderer Rechtsregeln nothwendig oder
wenigſtens nützlich iſt. Es ſind hier zwei Klaſſen von Geſetzen
zu erwähnen, ohne welche eine heilſame Verwaltungsthätigkeit
des Staates gewöhnlich nicht entfaltet werden kann.
1. Der Staat bedient ſich behufs Durchführung ſeiner Auf-
gaben ſeiner Herrſchaft über Land und Leute; er verlangt Lei-
ſtungen; er befiehlt Handlungen; er beſchränkt die Handlungsfrei-
heit der Unterthanen durch Verbote. Der Staat ſteht ſeinen An-
gehörigen nicht als gleichberechtigtes Subject gegenüber, ſondern
als der mit imperium ausgeſtattete Herr. Dieſes imperium aber
iſt in dem modernen, civiliſirten Staate keine willkührliche, ſondern
eine durch Rechtsſätze beſtimmte Gewalt. Der Staat kann von
ſeinen Angehörigen keine Leiſtung und keine Unterlaſſung fordern,
er kann ihnen nichts befehlen und nichts verbieten, als auf Grund
eines Rechtsſatzes. Das iſt das Merkmal des Rechtsſtaates im
Gegenſatz zur Deſpotie. Nicht in dem Umfange, in welchem die
Staatsgewalt die Freiheit der Unterthanen beſchränkt, nicht in dem
Maße der Laſten, welche ſie ihnen auferlegt, iſt dieſer Unterſchied
begründet; ſondern lediglich darin, daß in der Deſpotie die Staats-
gewalt nach Willkühr gehandhabt wird, im Rechtsſtaat nach Rechts-
regeln. Dieſe Rechtsregeln können im Gewohnheitsrecht begründet
ſein; bei den modernen ſtaatlichen und rechtlichen Zuſtänden ſind
ſie gewöhnlich durch Geſetze ſanctionirt. Der Staat kann Niemanden
zur Zahlung von Steuern und Zöllen, zur Leiſtung von Militair-
dienſten, zur Erfüllung der Geſchworenenpflicht, zum Schulbeſuch
u. ſ. w. zwingen, wenn nicht durch Geſetz dieſe Befugniß des
Staates anerkannt iſt, und folglich auch nur unter den Voraus-
ſetzungen und nur in demjenigen Maße, welche das Geſetz vor-
ſchreibt. Ebenſo wenig kann die Regierung Jemanden in ſeiner
Gewerbethätigkeit oder an der freien Bewegung oder an der freien
Benutzung ſeines Eigenthums u. ſ. w. hindern und ihm im Inte-
reſſe der allgemeinen Sicherheit, Geſundheit, Wohlfahrt oder im
Intereſſe der Staatsfinanzen Beſchränkungen auferlegen, außer auf
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/216>, abgerufen am 27.11.2024.
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