Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.§. 67. Der Begriff der Verwaltung. Verwaltungsbefehls. Die Handlungsfreiheit der Verwaltungs-behörden innerhalb der vom Rechte gezogenen Gränzen wird durch solche Gesetze beseitigt. Die Regierung kann nunmehr nicht handeln, wie sie will, sondern sie muß handeln, wie es das ihre Verwaltungsthätigkeit regelnde Gesetz vorschreibt. Vom Stand- punkte der französischen Staatsdoktrin aus, welche den Begriff der Gesetzgebung durchaus im formellen Sinne nimmt, ist es daher völlig begreiflich, die Verwaltung als die Executive zu er- klären. Nur zeigt es sich gerade hier, wie unrichtig es ist, aus der Legislative und Executive zwei getrennte Gewalten zu machen. Grade weil die Form des Gesetzes ebenso gut zum Erlaß eines Rechtsbefehls wie zum Erlaß eines Verwaltungsbefehls verwendet werden kann, ist der Volksvertretung durch ihre Mitwirkung bei der sogenannten Legislative ein Antheil sowohl an der Regelung der Rechtsordnung wie an der Verwaltung des Staates gewährt. Die Verwaltung kann nur dann auf die Vollziehung oder Aus- führung der Gesetze beschränkt sein, wenn die obersten Verwaltungs- befehle in der Form des Gesetzes erlassen werden, also nicht unter Ausschluß, sondern unter Mitwirkung der Volksvertretung. In England, von dessen öffentlichem Rechte die ganze Lehre von der Theilung der Gewalten abstrahirt worden ist, hat man es niemals be- zweifelt, daß das Parlament auch Funktionen der Verwaltung ausübt. Die Gränze zwischen einer allgemeinen Verwaltungs-Anord- §. 67. Der Begriff der Verwaltung. Verwaltungsbefehls. Die Handlungsfreiheit der Verwaltungs-behörden innerhalb der vom Rechte gezogenen Gränzen wird durch ſolche Geſetze beſeitigt. Die Regierung kann nunmehr nicht handeln, wie ſie will, ſondern ſie muß handeln, wie es das ihre Verwaltungsthätigkeit regelnde Geſetz vorſchreibt. Vom Stand- punkte der franzöſiſchen Staatsdoktrin aus, welche den Begriff der Geſetzgebung durchaus im formellen Sinne nimmt, iſt es daher völlig begreiflich, die Verwaltung als die Executive zu er- klären. Nur zeigt es ſich gerade hier, wie unrichtig es iſt, aus der Legislative und Executive zwei getrennte Gewalten zu machen. Grade weil die Form des Geſetzes ebenſo gut zum Erlaß eines Rechtsbefehls wie zum Erlaß eines Verwaltungsbefehls verwendet werden kann, iſt der Volksvertretung durch ihre Mitwirkung bei der ſogenannten Legislative ein Antheil ſowohl an der Regelung der Rechtsordnung wie an der Verwaltung des Staates gewährt. Die Verwaltung kann nur dann auf die Vollziehung oder Aus- führung der Geſetze beſchränkt ſein, wenn die oberſten Verwaltungs- befehle in der Form des Geſetzes erlaſſen werden, alſo nicht unter Ausſchluß, ſondern unter Mitwirkung der Volksvertretung. In England, von deſſen öffentlichem Rechte die ganze Lehre von der Theilung der Gewalten abſtrahirt worden iſt, hat man es niemals be- zweifelt, daß das Parlament auch Funktionen der Verwaltung ausübt. Die Gränze zwiſchen einer allgemeinen Verwaltungs-Anord- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0224" n="210"/><fw place="top" type="header">§. 67. Der Begriff der Verwaltung.</fw><lb/> Verwaltungsbefehls. Die Handlungsfreiheit der <hi rendition="#g">Verwaltungs-<lb/> behörden</hi> innerhalb der vom Rechte gezogenen Gränzen wird<lb/> durch ſolche Geſetze beſeitigt. 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Indem die Verwal-<lb/> tung innerhalb der vom Rechte gezogenen Schranken für die Be-<lb/> friedigung der ſtaatlichen und geſellſchaftlichen Bedürfniſſe Sorge<lb/> trägt, führt ſie zu neuen Rechtsſätzen. Gerade ſo wie der Ge-<lb/> ſchäftsverkehr der Individuen das Privatrecht langſam aber ſtetig<lb/> weiter ausbildet und aus dem ſtets wiederkehrenden, ſtereotypen<lb/> Inhalte der Rechts <hi rendition="#g">geſchäfte</hi> erſt Gebräuche, dann Rechts<hi rendition="#g">ſätze</hi><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [210/0224]
§. 67. Der Begriff der Verwaltung.
Verwaltungsbefehls. Die Handlungsfreiheit der Verwaltungs-
behörden innerhalb der vom Rechte gezogenen Gränzen wird
durch ſolche Geſetze beſeitigt. Die Regierung kann nunmehr nicht
handeln, wie ſie will, ſondern ſie muß handeln, wie es das ihre
Verwaltungsthätigkeit regelnde Geſetz vorſchreibt. Vom Stand-
punkte der franzöſiſchen Staatsdoktrin aus, welche den Begriff
der Geſetzgebung durchaus im formellen Sinne nimmt, iſt es
daher völlig begreiflich, die Verwaltung als die Executive zu er-
klären. Nur zeigt es ſich gerade hier, wie unrichtig es iſt, aus
der Legislative und Executive zwei getrennte Gewalten zu machen.
Grade weil die Form des Geſetzes ebenſo gut zum Erlaß eines
Rechtsbefehls wie zum Erlaß eines Verwaltungsbefehls verwendet
werden kann, iſt der Volksvertretung durch ihre Mitwirkung bei
der ſogenannten Legislative ein Antheil ſowohl an der Regelung
der Rechtsordnung wie an der Verwaltung des Staates gewährt.
Die Verwaltung kann nur dann auf die Vollziehung oder Aus-
führung der Geſetze beſchränkt ſein, wenn die oberſten Verwaltungs-
befehle in der Form des Geſetzes erlaſſen werden, alſo nicht unter
Ausſchluß, ſondern unter Mitwirkung der Volksvertretung. In
England, von deſſen öffentlichem Rechte die ganze Lehre von der
Theilung der Gewalten abſtrahirt worden iſt, hat man es niemals be-
zweifelt, daß das Parlament auch Funktionen der Verwaltung ausübt.
Die Gränze zwiſchen einer allgemeinen Verwaltungs-Anord-
nung und der Aufſtellung einer Rechtsregel iſt aber eine überaus
ſchwankende und unſichere. Es iſt bereits oben hervorgehoben
worden, daß eine Anordnung, welche das Oberhaupt der Ver-
waltung innerhalb des Gebietes der ihm zuſtehenden Handlungs-
freiheit getroffen hat, zu einem Satze der Rechtsordnung erhoben
werden kann, der die Verwaltung ſelbſt bindet und von ihr nicht
mehr aufgehoben oder verändert werden kann. Die Verwaltung
iſt nicht blos Anwendung und Ausführung, ſondern zugleich Fort-
bildung und Quelle des öffentlichen Rechts. Indem die Verwal-
tung innerhalb der vom Rechte gezogenen Schranken für die Be-
friedigung der ſtaatlichen und geſellſchaftlichen Bedürfniſſe Sorge
trägt, führt ſie zu neuen Rechtsſätzen. Gerade ſo wie der Ge-
ſchäftsverkehr der Individuen das Privatrecht langſam aber ſtetig
weiter ausbildet und aus dem ſtets wiederkehrenden, ſtereotypen
Inhalte der Rechts geſchäfte erſt Gebräuche, dann Rechtsſätze
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