Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.§. 67. Der Begriff der Verwaltung. schafft, welche als Gewohnheitsrecht oder durch gesetzliche Aner-kennung bindende Kraft erlangen, so erzeugt auch die gleichmäßige in unzähligen Fällen wiederholte und den Bedürfnissen des Staates entsprechende Geschäftsthätigkeit der Behörden erst eine Verwal- tungs-Tradition, und endlich Sätze des öffentlichen Rechts. Das Recht selbst ist gleichsam nur der Niederschlag und die Fixirung der vorangegangenen Entwickelung; die Bedürfnisse des wirth- schaftlichen und staatlichen Zusammenlebens sind immer früher da, als die Rechtssätze, welche bei normalen Zuständen ihr Erzeugniß sind. Wenn auch das vorhandene Recht Form und Inhalt der Rechtsgeschäfte beherrscht und für die weitere Entwicklung ein wesentlich mit bestimmendes Moment ist, so ist doch das Recht niemals ein fertig abgeschlossenes, d. h. todtes, sondern ein stets fortschreitendes, veränderliches. Dies ist nicht nur hinsichtlich des Privatrechts, sondern in demselben Maaße für das öffentliche Recht wahr. Immer neue Lebensverhältnisse entstehen und erzeugen neue gesellschaftliche Mißstände und Bedürfnisse und damit immer neue staatliche Aufgaben und Thätigkeiten. Das vorhandene Recht ge- nügt deshalb niemals vollständig sämmtlichen Bedürfnissen der Gegenwart, es ist immer nur das Resultat der Vergangenheit. Die Verwaltung muß diesen Bedürfnissen der Gegenwart abhelfen und indem sie innerhalb der Schranken der Rechtsordnung beginnt, führt sie allmählig eine Umgestaltung, Erweiterung und Fortbil- dung der Rechtsordnung herbei. Unter Umständen kann dieser Einfluß ein so gewaltiger sein, daß die alte Rechtsordnung da- durch völlig verändert wird. Das alte ius civile der Römer er- lag den Amtsverordnungen der Prätoren und Aedilen, dem ius honorarium; das alte Volksrecht der germanischen Stämme ver- schwand vor den Beamten-Instructionen, welche die merovingischen und karolingischen Könige in ihren Kapitularien ertheilten; das gemeine Landrecht des späteren Mittelalters wurde auf das gründ- lichste umgestaltet und in allen seinen Theilen verändert und fort- gebildet durch die Verwaltungs-Verordnungen der Stadtmagistrate; das aus dem Mittelalter überkommene Recht machte einem ganz neuen Rechte Platz, welches seine Ausbildung durch die Instruktio- nen und Verwaltungs-Verordnungen erhielt, die die Landesherren ihren Amtmännern, ihren Rentmeistern, ihren Hof- und Kammer- richtern, mit einem Worte ihren Beamten, ertheilten. 14*
§. 67. Der Begriff der Verwaltung. ſchafft, welche als Gewohnheitsrecht oder durch geſetzliche Aner-kennung bindende Kraft erlangen, ſo erzeugt auch die gleichmäßige in unzähligen Fällen wiederholte und den Bedürfniſſen des Staates entſprechende Geſchäftsthätigkeit der Behörden erſt eine Verwal- tungs-Tradition, und endlich Sätze des öffentlichen Rechts. Das Recht ſelbſt iſt gleichſam nur der Niederſchlag und die Fixirung der vorangegangenen Entwickelung; die Bedürfniſſe des wirth- ſchaftlichen und ſtaatlichen Zuſammenlebens ſind immer früher da, als die Rechtsſätze, welche bei normalen Zuſtänden ihr Erzeugniß ſind. Wenn auch das vorhandene Recht Form und Inhalt der Rechtsgeſchäfte beherrſcht und für die weitere Entwicklung ein weſentlich mit beſtimmendes Moment iſt, ſo iſt doch das Recht niemals ein fertig abgeſchloſſenes, d. h. todtes, ſondern ein ſtets fortſchreitendes, veränderliches. Dies iſt nicht nur hinſichtlich des Privatrechts, ſondern in demſelben Maaße für das öffentliche Recht wahr. Immer neue Lebensverhältniſſe entſtehen und erzeugen neue geſellſchaftliche Mißſtände und Bedürfniſſe und damit immer neue ſtaatliche Aufgaben und Thätigkeiten. Das vorhandene Recht ge- nügt deshalb niemals vollſtändig ſämmtlichen Bedürfniſſen der Gegenwart, es iſt immer nur das Reſultat der Vergangenheit. Die Verwaltung muß dieſen Bedürfniſſen der Gegenwart abhelfen und indem ſie innerhalb der Schranken der Rechtsordnung beginnt, führt ſie allmählig eine Umgeſtaltung, Erweiterung und Fortbil- dung der Rechtsordnung herbei. Unter Umſtänden kann dieſer Einfluß ein ſo gewaltiger ſein, daß die alte Rechtsordnung da- durch völlig verändert wird. Das alte ius civile der Römer er- lag den Amtsverordnungen der Prätoren und Aedilen, dem ius honorarium; das alte Volksrecht der germaniſchen Stämme ver- ſchwand vor den Beamten-Inſtructionen, welche die merovingiſchen und karolingiſchen Könige in ihren Kapitularien ertheilten; das gemeine Landrecht des ſpäteren Mittelalters wurde auf das gründ- lichſte umgeſtaltet und in allen ſeinen Theilen verändert und fort- gebildet durch die Verwaltungs-Verordnungen der Stadtmagiſtrate; das aus dem Mittelalter überkommene Recht machte einem ganz neuen Rechte Platz, welches ſeine Ausbildung durch die Inſtruktio- nen und Verwaltungs-Verordnungen erhielt, die die Landesherren ihren Amtmännern, ihren Rentmeiſtern, ihren Hof- und Kammer- richtern, mit einem Worte ihren Beamten, ertheilten. 14*
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§. 67. Der Begriff der Verwaltung.
ſchafft, welche als Gewohnheitsrecht oder durch geſetzliche Aner-
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in unzähligen Fällen wiederholte und den Bedürfniſſen des Staates
entſprechende Geſchäftsthätigkeit der Behörden erſt eine Verwal-
tungs-Tradition, und endlich Sätze des öffentlichen Rechts. Das
Recht ſelbſt iſt gleichſam nur der Niederſchlag und die Fixirung
der vorangegangenen Entwickelung; die Bedürfniſſe des wirth-
ſchaftlichen und ſtaatlichen Zuſammenlebens ſind immer früher da,
als die Rechtsſätze, welche bei normalen Zuſtänden ihr Erzeugniß
ſind. Wenn auch das vorhandene Recht Form und Inhalt der
Rechtsgeſchäfte beherrſcht und für die weitere Entwicklung ein
weſentlich mit beſtimmendes Moment iſt, ſo iſt doch das Recht
niemals ein fertig abgeſchloſſenes, d. h. todtes, ſondern ein ſtets
fortſchreitendes, veränderliches. Dies iſt nicht nur hinſichtlich des
Privatrechts, ſondern in demſelben Maaße für das öffentliche Recht
wahr. Immer neue Lebensverhältniſſe entſtehen und erzeugen neue
geſellſchaftliche Mißſtände und Bedürfniſſe und damit immer neue
ſtaatliche Aufgaben und Thätigkeiten. Das vorhandene Recht ge-
nügt deshalb niemals vollſtändig ſämmtlichen Bedürfniſſen der
Gegenwart, es iſt immer nur das Reſultat der Vergangenheit.
Die Verwaltung muß dieſen Bedürfniſſen der Gegenwart abhelfen
und indem ſie innerhalb der Schranken der Rechtsordnung beginnt,
führt ſie allmählig eine Umgeſtaltung, Erweiterung und Fortbil-
dung der Rechtsordnung herbei. Unter Umſtänden kann dieſer
Einfluß ein ſo gewaltiger ſein, daß die alte Rechtsordnung da-
durch völlig verändert wird. Das alte ius civile der Römer er-
lag den Amtsverordnungen der Prätoren und Aedilen, dem ius
honorarium; das alte Volksrecht der germaniſchen Stämme ver-
ſchwand vor den Beamten-Inſtructionen, welche die merovingiſchen
und karolingiſchen Könige in ihren Kapitularien ertheilten; das
gemeine Landrecht des ſpäteren Mittelalters wurde auf das gründ-
lichſte umgeſtaltet und in allen ſeinen Theilen verändert und fort-
gebildet durch die Verwaltungs-Verordnungen der Stadtmagiſtrate;
das aus dem Mittelalter überkommene Recht machte einem ganz
neuen Rechte Platz, welches ſeine Ausbildung durch die Inſtruktio-
nen und Verwaltungs-Verordnungen erhielt, die die Landesherren
ihren Amtmännern, ihren Rentmeiſtern, ihren Hof- und Kammer-
richtern, mit einem Worte ihren Beamten, ertheilten.
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