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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 69. Reichsverwaltung und Staatsverwaltung.
Handlungen oder Unterlassungen anbefehlen; sie kann sich nur an
die Regierung des Einzelstaates wenden und sie auffordern, für
die Befolgung der vom Reiche erlassenen Anordnungen Sorge zu
tragen und die Landesbehörden dazu anzuhalten. Das Reich kann
daher die von den Behörden der Einzelstaaten erlassenen Verfü-
gungen weder aufheben oder abändern, noch gegen die Beamten
einschreiten, sondern es kann nur auf Grund des Art. 19 der
R.-V. gegen das Bundesglied wegen Nichterfüllung seiner ver-
fassungsmäßigen Pflichten die Exekution vollstrecken. Denn der
Einzelstaat, welcher die Verletzung reichsgesetzlicher Anordnungen
durch seine Behörden stillschweigend duldet oder ausdrücklich ge-
nehmigt, verletzt seine Gehorsamspflicht gegen das Reich; der
Landesbeamte dagegen, welcher in seiner amtlichen Thätigkeit gegen
die Reichsgesetze verstößt, verletzt dadurch seine Dienstpflicht gegen
den Einzelstaat, welchem er angehört.

5. Aus diesen Erörterungen ergiebt sich zugleich die Entscheidung
der Frage nach der Verantwortlichkeit für die hier in Rede
stehenden Verwaltungsgeschäfte. Die unmittelbare, ausführende
und leitende Verwaltung ist ein Geschäft des Einzelstaates, die
Kontrolle dieser Verwaltung ein Geschäft des Reiches. Demgemäß
ist der Reichskanzler dem Kaiser und dem Reichstage dafür ver-
antwortlich, daß er diese Kontrolle pflichtgemäß und mit der er-
forderlichen Sorgfalt und Umsicht handhabt; die Minister der Ein-
zelstaaten dagegen sind ihren Landesherren und Landtagen gegen-
über verantwortlich für die gesetzmäßige und zweckentsprechende
Führung der unmittelbaren Verwaltung 1). Daß die Gesetze, welche
diese Verwaltung regeln, Reichsgesetze sind, ändert hieran Nichts.
Denn einerseits kann den Reichskanzler keine Verantwortlichkeit
treffen für Handlungen, welche er weder zu befehlen noch zu ver-
bieten im Stande ist, andererseits beschränkt sich die Verantwort-
lichkeit der Minister der Einzelstaaten nicht auf die Beobachtung
der Landesgesetze, sondern sie bezieht sich auf die geltenden Gesetze
überhaupt, also in erster Reihe gerade auf die den Landesgesetzen
vorgehenden Reichsgesetze.


1) Vgl. Bd. I. S. 312.

§. 69. Reichsverwaltung und Staatsverwaltung.
Handlungen oder Unterlaſſungen anbefehlen; ſie kann ſich nur an
die Regierung des Einzelſtaates wenden und ſie auffordern, für
die Befolgung der vom Reiche erlaſſenen Anordnungen Sorge zu
tragen und die Landesbehörden dazu anzuhalten. Das Reich kann
daher die von den Behörden der Einzelſtaaten erlaſſenen Verfü-
gungen weder aufheben oder abändern, noch gegen die Beamten
einſchreiten, ſondern es kann nur auf Grund des Art. 19 der
R.-V. gegen das Bundesglied wegen Nichterfüllung ſeiner ver-
faſſungsmäßigen Pflichten die Exekution vollſtrecken. Denn der
Einzelſtaat, welcher die Verletzung reichsgeſetzlicher Anordnungen
durch ſeine Behörden ſtillſchweigend duldet oder ausdrücklich ge-
nehmigt, verletzt ſeine Gehorſamspflicht gegen das Reich; der
Landesbeamte dagegen, welcher in ſeiner amtlichen Thätigkeit gegen
die Reichsgeſetze verſtößt, verletzt dadurch ſeine Dienſtpflicht gegen
den Einzelſtaat, welchem er angehört.

5. Aus dieſen Erörterungen ergiebt ſich zugleich die Entſcheidung
der Frage nach der Verantwortlichkeit für die hier in Rede
ſtehenden Verwaltungsgeſchäfte. Die unmittelbare, ausführende
und leitende Verwaltung iſt ein Geſchäft des Einzelſtaates, die
Kontrolle dieſer Verwaltung ein Geſchäft des Reiches. Demgemäß
iſt der Reichskanzler dem Kaiſer und dem Reichstage dafür ver-
antwortlich, daß er dieſe Kontrolle pflichtgemäß und mit der er-
forderlichen Sorgfalt und Umſicht handhabt; die Miniſter der Ein-
zelſtaaten dagegen ſind ihren Landesherren und Landtagen gegen-
über verantwortlich für die geſetzmäßige und zweckentſprechende
Führung der unmittelbaren Verwaltung 1). Daß die Geſetze, welche
dieſe Verwaltung regeln, Reichsgeſetze ſind, ändert hieran Nichts.
Denn einerſeits kann den Reichskanzler keine Verantwortlichkeit
treffen für Handlungen, welche er weder zu befehlen noch zu ver-
bieten im Stande iſt, andererſeits beſchränkt ſich die Verantwort-
lichkeit der Miniſter der Einzelſtaaten nicht auf die Beobachtung
der Landesgeſetze, ſondern ſie bezieht ſich auf die geltenden Geſetze
überhaupt, alſo in erſter Reihe gerade auf die den Landesgeſetzen
vorgehenden Reichsgeſetze.


1) Vgl. Bd. I. S. 312.
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[237/0251] §. 69. Reichsverwaltung und Staatsverwaltung. Handlungen oder Unterlaſſungen anbefehlen; ſie kann ſich nur an die Regierung des Einzelſtaates wenden und ſie auffordern, für die Befolgung der vom Reiche erlaſſenen Anordnungen Sorge zu tragen und die Landesbehörden dazu anzuhalten. Das Reich kann daher die von den Behörden der Einzelſtaaten erlaſſenen Verfü- gungen weder aufheben oder abändern, noch gegen die Beamten einſchreiten, ſondern es kann nur auf Grund des Art. 19 der R.-V. gegen das Bundesglied wegen Nichterfüllung ſeiner ver- faſſungsmäßigen Pflichten die Exekution vollſtrecken. Denn der Einzelſtaat, welcher die Verletzung reichsgeſetzlicher Anordnungen durch ſeine Behörden ſtillſchweigend duldet oder ausdrücklich ge- nehmigt, verletzt ſeine Gehorſamspflicht gegen das Reich; der Landesbeamte dagegen, welcher in ſeiner amtlichen Thätigkeit gegen die Reichsgeſetze verſtößt, verletzt dadurch ſeine Dienſtpflicht gegen den Einzelſtaat, welchem er angehört. 5. Aus dieſen Erörterungen ergiebt ſich zugleich die Entſcheidung der Frage nach der Verantwortlichkeit für die hier in Rede ſtehenden Verwaltungsgeſchäfte. Die unmittelbare, ausführende und leitende Verwaltung iſt ein Geſchäft des Einzelſtaates, die Kontrolle dieſer Verwaltung ein Geſchäft des Reiches. Demgemäß iſt der Reichskanzler dem Kaiſer und dem Reichstage dafür ver- antwortlich, daß er dieſe Kontrolle pflichtgemäß und mit der er- forderlichen Sorgfalt und Umſicht handhabt; die Miniſter der Ein- zelſtaaten dagegen ſind ihren Landesherren und Landtagen gegen- über verantwortlich für die geſetzmäßige und zweckentſprechende Führung der unmittelbaren Verwaltung 1). Daß die Geſetze, welche dieſe Verwaltung regeln, Reichsgeſetze ſind, ändert hieran Nichts. Denn einerſeits kann den Reichskanzler keine Verantwortlichkeit treffen für Handlungen, welche er weder zu befehlen noch zu ver- bieten im Stande iſt, andererſeits beſchränkt ſich die Verantwort- lichkeit der Miniſter der Einzelſtaaten nicht auf die Beobachtung der Landesgeſetze, ſondern ſie bezieht ſich auf die geltenden Geſetze überhaupt, alſo in erſter Reihe gerade auf die den Landesgeſetzen vorgehenden Reichsgeſetze. 1) Vgl. Bd. I. S. 312.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/251>, abgerufen am 27.11.2024.