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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 76. Die Verwaltung des Gewerbewesens.
heit anerkannt ist, giebt es keine staatliche Gewerbeverwaltung; die
letztere hat es ausschließlich mit Beschränkungen der Gewerbefrei-
heit zu thun, sowie das Wesen der Polizei überhaupt darin be-
steht, daß die natürliche Handlungsfreiheit des Einzelnen im In-
teresse der Gesellschaft oder des Staates Beschränkungen unter-
worfen wird. Da nun durch die Gewerbe-Gesetzgebung des Reiches
das Prinzip der Gewerbefreiheit im Allgemeinen anerkannt
und die im früheren Rechte begründeten Beschränkungen zum größ-
ten Theile beseitigt worden sind, so ist der Kreis der für die
staatliche Verwaltung des Gewerbewesens geeigneten Angelegen-
heiten überaus verkleinert worden. Soweit der Grundsatz der Ge-
werbefreiheit durchgeführt worden ist, steht weder dem Reich noch
den Einzelstaaten eine Gewerbe-Verwaltung zu.

2. Die Reichsverf. hat der Gesetzgebung und Beaufsichtigung
Seitens des Reiches zugewiesen "die Bestimmungen über den
Gewerbebetrieb, einschließlich des Versicherungswesens" (Art. 4
Z. 1.) 1). Nachdem der Nordd. Bund durch das Gesetz v. 8. Juli
1868 (B.-G.-Bl. S. 406) zunächst vorläufig die wesentlichsten
Beschränkungen der Gewerbefreiheit beseitigt hatte, wurde eine um-
fassende Codifikation des polizeilichen Gewerberechts durch die Ge-
werbe-Ordnung
v. 21 Juni 1869 erzielt. An der Spitze dieses
Gesetzes steht der Grundsatz:
"Der Betrieb eines Gewerbes ist Jedermann gestattet, soweit
nicht durch dies Gesetz Ausnahmen oder Beschränkungen vorge-
schrieben oder zugelassen sind."

Hierdurch sind nicht nur alle landesgesetzlichen und gewohn-
heitsrechtlichen Beschränkungen der Gewerbefreiheit aufgehoben 2),

ein subjectives Recht, sondern die Negation gesetzlicher Beschränkungen der
allgemeinen Handlungsfreiheit in Bezug auf die gewerbliche Thätigkeit.
1) Bayern hat in dem Vertrage v. 23. Nov. 1870 Ziff. IV. die Zu-
sicherung erhalten, daß wenn sich die Reichsgesetzgebung mit dem Immobiliar-
Versicherungswesen befassen sollte, die vom Reiche zu erlassenden gesetzlichen
Bestimmungen in Bayern nur mit Zustimmung der Bayerischen Regierung
Geltung erlangen können.
2) Unberührt hiervon bleiben diejenigen landesgesetzlichen Bestimmungen
privatrechtlichen und strafrechtlichen Inhalts mit Einschluß der Polizeiverord-
nungen, welche den Gewerbebetrieb zwar Beschränkungen unterwerfen, welche
aber allgemeine Geltung auch für solche Personen haben, die kein Gewerbe
betreiben. Denn solche Gesetze sind Beschränkungen der allgemeinen Handlungs-

§. 76. Die Verwaltung des Gewerbeweſens.
heit anerkannt iſt, giebt es keine ſtaatliche Gewerbeverwaltung; die
letztere hat es ausſchließlich mit Beſchränkungen der Gewerbefrei-
heit zu thun, ſowie das Weſen der Polizei überhaupt darin be-
ſteht, daß die natürliche Handlungsfreiheit des Einzelnen im In-
tereſſe der Geſellſchaft oder des Staates Beſchränkungen unter-
worfen wird. Da nun durch die Gewerbe-Geſetzgebung des Reiches
das Prinzip der Gewerbefreiheit im Allgemeinen anerkannt
und die im früheren Rechte begründeten Beſchränkungen zum größ-
ten Theile beſeitigt worden ſind, ſo iſt der Kreis der für die
ſtaatliche Verwaltung des Gewerbeweſens geeigneten Angelegen-
heiten überaus verkleinert worden. Soweit der Grundſatz der Ge-
werbefreiheit durchgeführt worden iſt, ſteht weder dem Reich noch
den Einzelſtaaten eine Gewerbe-Verwaltung zu.

2. Die Reichsverf. hat der Geſetzgebung und Beaufſichtigung
Seitens des Reiches zugewieſen „die Beſtimmungen über den
Gewerbebetrieb, einſchließlich des Verſicherungsweſens“ (Art. 4
Z. 1.) 1). Nachdem der Nordd. Bund durch das Geſetz v. 8. Juli
1868 (B.-G.-Bl. S. 406) zunächſt vorläufig die weſentlichſten
Beſchränkungen der Gewerbefreiheit beſeitigt hatte, wurde eine um-
faſſende Codifikation des polizeilichen Gewerberechts durch die Ge-
werbe-Ordnung
v. 21 Juni 1869 erzielt. An der Spitze dieſes
Geſetzes ſteht der Grundſatz:
„Der Betrieb eines Gewerbes iſt Jedermann geſtattet, ſoweit
nicht durch dies Geſetz Ausnahmen oder Beſchränkungen vorge-
ſchrieben oder zugelaſſen ſind.“

Hierdurch ſind nicht nur alle landesgeſetzlichen und gewohn-
heitsrechtlichen Beſchränkungen der Gewerbefreiheit aufgehoben 2),

ein ſubjectives Recht, ſondern die Negation geſetzlicher Beſchränkungen der
allgemeinen Handlungsfreiheit in Bezug auf die gewerbliche Thätigkeit.
1) Bayern hat in dem Vertrage v. 23. Nov. 1870 Ziff. IV. die Zu-
ſicherung erhalten, daß wenn ſich die Reichsgeſetzgebung mit dem Immobiliar-
Verſicherungsweſen befaſſen ſollte, die vom Reiche zu erlaſſenden geſetzlichen
Beſtimmungen in Bayern nur mit Zuſtimmung der Bayeriſchen Regierung
Geltung erlangen können.
2) Unberührt hiervon bleiben diejenigen landesgeſetzlichen Beſtimmungen
privatrechtlichen und ſtrafrechtlichen Inhalts mit Einſchluß der Polizeiverord-
nungen, welche den Gewerbebetrieb zwar Beſchränkungen unterwerfen, welche
aber allgemeine Geltung auch für ſolche Perſonen haben, die kein Gewerbe
betreiben. Denn ſolche Geſetze ſind Beſchränkungen der allgemeinen Handlungs-
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[458/0472] §. 76. Die Verwaltung des Gewerbeweſens. heit anerkannt iſt, giebt es keine ſtaatliche Gewerbeverwaltung; die letztere hat es ausſchließlich mit Beſchränkungen der Gewerbefrei- heit zu thun, ſowie das Weſen der Polizei überhaupt darin be- ſteht, daß die natürliche Handlungsfreiheit des Einzelnen im In- tereſſe der Geſellſchaft oder des Staates Beſchränkungen unter- worfen wird. Da nun durch die Gewerbe-Geſetzgebung des Reiches das Prinzip der Gewerbefreiheit im Allgemeinen anerkannt und die im früheren Rechte begründeten Beſchränkungen zum größ- ten Theile beſeitigt worden ſind, ſo iſt der Kreis der für die ſtaatliche Verwaltung des Gewerbeweſens geeigneten Angelegen- heiten überaus verkleinert worden. Soweit der Grundſatz der Ge- werbefreiheit durchgeführt worden iſt, ſteht weder dem Reich noch den Einzelſtaaten eine Gewerbe-Verwaltung zu. 2. Die Reichsverf. hat der Geſetzgebung und Beaufſichtigung Seitens des Reiches zugewieſen „die Beſtimmungen über den Gewerbebetrieb, einſchließlich des Verſicherungsweſens“ (Art. 4 Z. 1.) 1). Nachdem der Nordd. Bund durch das Geſetz v. 8. Juli 1868 (B.-G.-Bl. S. 406) zunächſt vorläufig die weſentlichſten Beſchränkungen der Gewerbefreiheit beſeitigt hatte, wurde eine um- faſſende Codifikation des polizeilichen Gewerberechts durch die Ge- werbe-Ordnung v. 21 Juni 1869 erzielt. An der Spitze dieſes Geſetzes ſteht der Grundſatz: „Der Betrieb eines Gewerbes iſt Jedermann geſtattet, ſoweit nicht durch dies Geſetz Ausnahmen oder Beſchränkungen vorge- ſchrieben oder zugelaſſen ſind.“ Hierdurch ſind nicht nur alle landesgeſetzlichen und gewohn- heitsrechtlichen Beſchränkungen der Gewerbefreiheit aufgehoben 2), 1) 1) Bayern hat in dem Vertrage v. 23. Nov. 1870 Ziff. IV. die Zu- ſicherung erhalten, daß wenn ſich die Reichsgeſetzgebung mit dem Immobiliar- Verſicherungsweſen befaſſen ſollte, die vom Reiche zu erlaſſenden geſetzlichen Beſtimmungen in Bayern nur mit Zuſtimmung der Bayeriſchen Regierung Geltung erlangen können. 2) Unberührt hiervon bleiben diejenigen landesgeſetzlichen Beſtimmungen privatrechtlichen und ſtrafrechtlichen Inhalts mit Einſchluß der Polizeiverord- nungen, welche den Gewerbebetrieb zwar Beſchränkungen unterwerfen, welche aber allgemeine Geltung auch für ſolche Perſonen haben, die kein Gewerbe betreiben. Denn ſolche Geſetze ſind Beſchränkungen der allgemeinen Handlungs- 1) ein ſubjectives Recht, ſondern die Negation geſetzlicher Beſchränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit in Bezug auf die gewerbliche Thätigkeit.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/472>, abgerufen am 23.11.2024.