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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 88. Die gesetzliche Wehrpflicht.
Bundesverfassung eine längere als 12jährige Gesammtdienstzeit
gesetzlich bestanden hat, ist dieselbe zunächst aufrecht erhalten wor-
den; es ist jedoch dem Kaiser die Befugniß übertragen worden,
unter Berücksichtigung der Kriegsbereitschaft des Reichsheeres die
Herabsetzung dieser Verpflichtung auf das reichsgesetzliche Maß
anzuordnen 1).

VI. Die Ersatzreserve-Pflicht.

1. Begriff. Die Ersatzreserve-Pflicht ist eine eventuelle
Dienstpflicht
. Dadurch wird der Unterschied derselben sowohl
gegenüber der definitiven Befreiung von der Dienstpflicht als auch
gegenüber der Reserve- oder Landwehrpflicht charakterisirt. Wäh-
rend bei der letzteren die aktive Dienstpflicht nur quoad exercitium
suspendirt, die Wehrpflichtigen "beurlaubt" sind, gehören die Er-
satzreservisten nicht zum Heere, also auch nicht zum Beurlaubten-
stande; während die Reserve- und Landwehrpflicht eine Fortsetzung
der aktiven Dienstpflicht ist, läßt sich die Ersatzreservepflicht
als die Fortsetzung der Militairpflicht bezeichnen. Andererseits
enthält die Zuweisung zur Ersatzreserve zwar eine Befreiung von
der Einstellung in das stehende Heer und von der militairischen
Ausbildung, aber keine Beendigung der Wehrpflicht; die Dienst-
verpflichtung in der Ersatzreserve ist vielmehr eine besondere Ge-
staltung oder Differenzirung derselben. Die eventuelle Dienstpflicht
kann sich in eine aktive verwandeln, wenn das Bedürfniß der
Heeresergänzung die Einberufung von Ersatzmannschaften erfordert 2).

Diesem Begriffe entspricht es, daß der Ersatzreserve alle Per-
sonen überwiesen werden, welche aus irgend einem Grunde nicht

1) R.V. Art. 59. W.G. §. 18. Diese Anordnungen sind ergangen in
den Kabin.-Ordres vom 14. Mai 1868, 1. April 1869, 17. Februar 1870,
5. März 1871.
2) Nach einer dem Reichstage von 1874 vom Preuß. Kriegsministerinm
vorgelegten Berechnung beziffert sich bei der Mobilmachung der Bedarf an
Mannschaften für jedes Infanterie-Regiment mit Einschluß der Ersatz- und
Landwehrbataillone auf 5600 Mann. Auf Grund der durch 12 Jahrgänge
fortgesetzten Rekruten-Einstellung sind nach Abrechnung eines Abgangs von
25 % und nach Hinzurechnung der Unteroffiziere des Friedensstandes etc. durch-
schnittlich circa 5300 Mann vorhanden. Die Differenz muß daher durch Ein-
ziehung von Mannschaften aus der Ersatzreserve für das Ersatzbataillon gedeckt
werden. Drucks. des Reichst. I Sess. 1874 Anlage zu Nro. 106 S. 20.

§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Bundesverfaſſung eine längere als 12jährige Geſammtdienſtzeit
geſetzlich beſtanden hat, iſt dieſelbe zunächſt aufrecht erhalten wor-
den; es iſt jedoch dem Kaiſer die Befugniß übertragen worden,
unter Berückſichtigung der Kriegsbereitſchaft des Reichsheeres die
Herabſetzung dieſer Verpflichtung auf das reichsgeſetzliche Maß
anzuordnen 1).

VI. Die Erſatzreſerve-Pflicht.

1. Begriff. Die Erſatzreſerve-Pflicht iſt eine eventuelle
Dienſtpflicht
. Dadurch wird der Unterſchied derſelben ſowohl
gegenüber der definitiven Befreiung von der Dienſtpflicht als auch
gegenüber der Reſerve- oder Landwehrpflicht charakteriſirt. Wäh-
rend bei der letzteren die aktive Dienſtpflicht nur quoad exercitium
ſuspendirt, die Wehrpflichtigen „beurlaubt“ ſind, gehören die Er-
ſatzreſerviſten nicht zum Heere, alſo auch nicht zum Beurlaubten-
ſtande; während die Reſerve- und Landwehrpflicht eine Fortſetzung
der aktiven Dienſtpflicht iſt, läßt ſich die Erſatzreſervepflicht
als die Fortſetzung der Militairpflicht bezeichnen. Andererſeits
enthält die Zuweiſung zur Erſatzreſerve zwar eine Befreiung von
der Einſtellung in das ſtehende Heer und von der militairiſchen
Ausbildung, aber keine Beendigung der Wehrpflicht; die Dienſt-
verpflichtung in der Erſatzreſerve iſt vielmehr eine beſondere Ge-
ſtaltung oder Differenzirung derſelben. Die eventuelle Dienſtpflicht
kann ſich in eine aktive verwandeln, wenn das Bedürfniß der
Heeresergänzung die Einberufung von Erſatzmannſchaften erfordert 2).

Dieſem Begriffe entſpricht es, daß der Erſatzreſerve alle Per-
ſonen überwieſen werden, welche aus irgend einem Grunde nicht

1) R.V. Art. 59. W.G. §. 18. Dieſe Anordnungen ſind ergangen in
den Kabin.-Ordres vom 14. Mai 1868, 1. April 1869, 17. Februar 1870,
5. März 1871.
2) Nach einer dem Reichstage von 1874 vom Preuß. Kriegsminiſterinm
vorgelegten Berechnung beziffert ſich bei der Mobilmachung der Bedarf an
Mannſchaften für jedes Infanterie-Regiment mit Einſchluß der Erſatz- und
Landwehrbataillone auf 5600 Mann. Auf Grund der durch 12 Jahrgänge
fortgeſetzten Rekruten-Einſtellung ſind nach Abrechnung eines Abgangs von
25 % und nach Hinzurechnung der Unteroffiziere des Friedensſtandes ꝛc. durch-
ſchnittlich circa 5300 Mann vorhanden. Die Differenz muß daher durch Ein-
ziehung von Mannſchaften aus der Erſatzreſerve für das Erſatzbataillon gedeckt
werden. Druckſ. des Reichst. I Seſſ. 1874 Anlage zu Nro. 106 S. 20.
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[190/0200] §. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht. Bundesverfaſſung eine längere als 12jährige Geſammtdienſtzeit geſetzlich beſtanden hat, iſt dieſelbe zunächſt aufrecht erhalten wor- den; es iſt jedoch dem Kaiſer die Befugniß übertragen worden, unter Berückſichtigung der Kriegsbereitſchaft des Reichsheeres die Herabſetzung dieſer Verpflichtung auf das reichsgeſetzliche Maß anzuordnen 1). VI. Die Erſatzreſerve-Pflicht. 1. Begriff. Die Erſatzreſerve-Pflicht iſt eine eventuelle Dienſtpflicht. Dadurch wird der Unterſchied derſelben ſowohl gegenüber der definitiven Befreiung von der Dienſtpflicht als auch gegenüber der Reſerve- oder Landwehrpflicht charakteriſirt. Wäh- rend bei der letzteren die aktive Dienſtpflicht nur quoad exercitium ſuspendirt, die Wehrpflichtigen „beurlaubt“ ſind, gehören die Er- ſatzreſerviſten nicht zum Heere, alſo auch nicht zum Beurlaubten- ſtande; während die Reſerve- und Landwehrpflicht eine Fortſetzung der aktiven Dienſtpflicht iſt, läßt ſich die Erſatzreſervepflicht als die Fortſetzung der Militairpflicht bezeichnen. Andererſeits enthält die Zuweiſung zur Erſatzreſerve zwar eine Befreiung von der Einſtellung in das ſtehende Heer und von der militairiſchen Ausbildung, aber keine Beendigung der Wehrpflicht; die Dienſt- verpflichtung in der Erſatzreſerve iſt vielmehr eine beſondere Ge- ſtaltung oder Differenzirung derſelben. Die eventuelle Dienſtpflicht kann ſich in eine aktive verwandeln, wenn das Bedürfniß der Heeresergänzung die Einberufung von Erſatzmannſchaften erfordert 2). Dieſem Begriffe entſpricht es, daß der Erſatzreſerve alle Per- ſonen überwieſen werden, welche aus irgend einem Grunde nicht 1) R.V. Art. 59. W.G. §. 18. Dieſe Anordnungen ſind ergangen in den Kabin.-Ordres vom 14. Mai 1868, 1. April 1869, 17. Februar 1870, 5. März 1871. 2) Nach einer dem Reichstage von 1874 vom Preuß. Kriegsminiſterinm vorgelegten Berechnung beziffert ſich bei der Mobilmachung der Bedarf an Mannſchaften für jedes Infanterie-Regiment mit Einſchluß der Erſatz- und Landwehrbataillone auf 5600 Mann. Auf Grund der durch 12 Jahrgänge fortgeſetzten Rekruten-Einſtellung ſind nach Abrechnung eines Abgangs von 25 % und nach Hinzurechnung der Unteroffiziere des Friedensſtandes ꝛc. durch- ſchnittlich circa 5300 Mann vorhanden. Die Differenz muß daher durch Ein- ziehung von Mannſchaften aus der Erſatzreſerve für das Erſatzbataillon gedeckt werden. Druckſ. des Reichst. I Seſſ. 1874 Anlage zu Nro. 106 S. 20.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/200>, abgerufen am 24.11.2024.