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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 92. Begriff der Militairlasten und allgemeine Rechtssätze.
befriedigt werden können, und darüber auf richterliche Entscheidung
provoziren. Denn der Staat steht dem Verpflichteteten nicht als
Gläubiger, sondern als Herrscher gegenüber, dessen Forderung den
Charakter des obrigkeitlichen Befehles hat. Die zum Erlaß
dieses Befehles zuständigen Behörden haben selbstständig zu prü-
fen, ob die im Gesetz erforderten Voraussetzungen im gegebenen
Falle vorhanden sind oder nicht; das Resultat dieser Prüfung ist
für den Militairlast-Pflichtigen bindend. Wenn die Behörde da-
bei pflichtwidrig verfährt, so treten die Bd. I § 41 erörterten
Rechtsfolgen der Pflichtverletzung ein, insbesondere auch die Ver-
pflichtung zum Schadensersatz.

Aus den vorstehenden Erörterungen ergibt sich, daß alle Mi-
litairlasten ihrem juristischem Charakter nach eine gewisse Ver-
wandtschaft mit der Expropriation haben. Die Enteignung
ist gleichsam der Grundtypus derselben. Die Militairlasten haben
mit der Enteignung die wesentlichen Merkmale gemein, daß sie
Eingriffe des Staates im öffentlichen (militairischen) Interesse in
die Privatrechtssphäre des Einzelnen sind, daß der Rechtsgrund
für die Befugniß hierzu im öffentlichen Recht gegeben ist und dem-
gemäß auch die Voraussetzungen, unter denen diese Eingriffe ge-
stattet sind, durch das öffentliche Recht bestimmt werden, daß zu
den Voraussetzungen ein Bedürfniß gehört, welches ohne diese Ein-
griffe entweder gar nicht oder nicht in genügender oder zweckent-
sprechender Weise befriedigt werden kann, und endlich daß die An-
wendung dieser Befugniß die Verpflichtung zur Entschädigung nach
sich zieht 1).

Einige Militairlasten stimmen mit der Expropriation auch noch
darin überein, daß sie auf Entziehung des Eigenthums gerichtet
sind, so z. B. die Pferdeaushebung; so daß der Unterschied gegen
die gewöhnliche Expropriation nur in dem anders geregelten Ver-
fahren besteht. Die Mehrzahl der Militairlasten geht aber nicht
auf Entziehung oder Beschränkung des Eigenthums, son-
dern auf die Lieferung von Sachen oder auf Leistung von
Arbeit
, also auf ein dare, facere, praestare. Deshalb können
die von der Expropriation geltenden Rechtsregeln keine unmittel-

1) Vgl. meine Abhandlung über die Expropriation im civilist. Archiv
Bd. 52 S. 169 ff.

§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.
befriedigt werden können, und darüber auf richterliche Entſcheidung
provoziren. Denn der Staat ſteht dem Verpflichteteten nicht als
Gläubiger, ſondern als Herrſcher gegenüber, deſſen Forderung den
Charakter des obrigkeitlichen Befehles hat. Die zum Erlaß
dieſes Befehles zuſtändigen Behörden haben ſelbſtſtändig zu prü-
fen, ob die im Geſetz erforderten Vorausſetzungen im gegebenen
Falle vorhanden ſind oder nicht; das Reſultat dieſer Prüfung iſt
für den Militairlaſt-Pflichtigen bindend. Wenn die Behörde da-
bei pflichtwidrig verfährt, ſo treten die Bd. I § 41 erörterten
Rechtsfolgen der Pflichtverletzung ein, insbeſondere auch die Ver-
pflichtung zum Schadenserſatz.

Aus den vorſtehenden Erörterungen ergibt ſich, daß alle Mi-
litairlaſten ihrem juriſtiſchem Charakter nach eine gewiſſe Ver-
wandtſchaft mit der Expropriation haben. Die Enteignung
iſt gleichſam der Grundtypus derſelben. Die Militairlaſten haben
mit der Enteignung die weſentlichen Merkmale gemein, daß ſie
Eingriffe des Staates im öffentlichen (militairiſchen) Intereſſe in
die Privatrechtsſphäre des Einzelnen ſind, daß der Rechtsgrund
für die Befugniß hierzu im öffentlichen Recht gegeben iſt und dem-
gemäß auch die Vorausſetzungen, unter denen dieſe Eingriffe ge-
ſtattet ſind, durch das öffentliche Recht beſtimmt werden, daß zu
den Vorausſetzungen ein Bedürfniß gehört, welches ohne dieſe Ein-
griffe entweder gar nicht oder nicht in genügender oder zweckent-
ſprechender Weiſe befriedigt werden kann, und endlich daß die An-
wendung dieſer Befugniß die Verpflichtung zur Entſchädigung nach
ſich zieht 1).

Einige Militairlaſten ſtimmen mit der Expropriation auch noch
darin überein, daß ſie auf Entziehung des Eigenthums gerichtet
ſind, ſo z. B. die Pferdeaushebung; ſo daß der Unterſchied gegen
die gewöhnliche Expropriation nur in dem anders geregelten Ver-
fahren beſteht. Die Mehrzahl der Militairlaſten geht aber nicht
auf Entziehung oder Beſchränkung des Eigenthums, ſon-
dern auf die Lieferung von Sachen oder auf Leiſtung von
Arbeit
, alſo auf ein dare, facere, praestare. Deshalb können
die von der Expropriation geltenden Rechtsregeln keine unmittel-

1) Vgl. meine Abhandlung über die Expropriation im civiliſt. Archiv
Bd. 52 S. 169 ff.
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[314/0324] §. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze. befriedigt werden können, und darüber auf richterliche Entſcheidung provoziren. Denn der Staat ſteht dem Verpflichteteten nicht als Gläubiger, ſondern als Herrſcher gegenüber, deſſen Forderung den Charakter des obrigkeitlichen Befehles hat. Die zum Erlaß dieſes Befehles zuſtändigen Behörden haben ſelbſtſtändig zu prü- fen, ob die im Geſetz erforderten Vorausſetzungen im gegebenen Falle vorhanden ſind oder nicht; das Reſultat dieſer Prüfung iſt für den Militairlaſt-Pflichtigen bindend. Wenn die Behörde da- bei pflichtwidrig verfährt, ſo treten die Bd. I § 41 erörterten Rechtsfolgen der Pflichtverletzung ein, insbeſondere auch die Ver- pflichtung zum Schadenserſatz. Aus den vorſtehenden Erörterungen ergibt ſich, daß alle Mi- litairlaſten ihrem juriſtiſchem Charakter nach eine gewiſſe Ver- wandtſchaft mit der Expropriation haben. Die Enteignung iſt gleichſam der Grundtypus derſelben. Die Militairlaſten haben mit der Enteignung die weſentlichen Merkmale gemein, daß ſie Eingriffe des Staates im öffentlichen (militairiſchen) Intereſſe in die Privatrechtsſphäre des Einzelnen ſind, daß der Rechtsgrund für die Befugniß hierzu im öffentlichen Recht gegeben iſt und dem- gemäß auch die Vorausſetzungen, unter denen dieſe Eingriffe ge- ſtattet ſind, durch das öffentliche Recht beſtimmt werden, daß zu den Vorausſetzungen ein Bedürfniß gehört, welches ohne dieſe Ein- griffe entweder gar nicht oder nicht in genügender oder zweckent- ſprechender Weiſe befriedigt werden kann, und endlich daß die An- wendung dieſer Befugniß die Verpflichtung zur Entſchädigung nach ſich zieht 1). Einige Militairlaſten ſtimmen mit der Expropriation auch noch darin überein, daß ſie auf Entziehung des Eigenthums gerichtet ſind, ſo z. B. die Pferdeaushebung; ſo daß der Unterſchied gegen die gewöhnliche Expropriation nur in dem anders geregelten Ver- fahren beſteht. Die Mehrzahl der Militairlaſten geht aber nicht auf Entziehung oder Beſchränkung des Eigenthums, ſon- dern auf die Lieferung von Sachen oder auf Leiſtung von Arbeit, alſo auf ein dare, facere, praestare. Deshalb können die von der Expropriation geltenden Rechtsregeln keine unmittel- 1) Vgl. meine Abhandlung über die Expropriation im civiliſt. Archiv Bd. 52 S. 169 ff.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/324>, abgerufen am 22.11.2024.