Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.§. 105. Die Zeugenpflicht. kann auf einem zwiefachen Rechtsgrunde beruhen: auf Vertragoder auf Gesetz. Das ältere germanische Recht kannte nur die freiwillig übernommene, vertragsmäßige Zeugenpflicht (testes ro- gati, tracti 1)); erst allmälig wurde die gesetzliche Verpflichtung zur Zeugnißablegung für gewisse Fälle anerkannt und nach und nach in weiterem Umfang durchgeführt 2). Die vertragsmäßige Zeugenpflicht ist im Wesentlichen eine Die gesetzliche Zeugenpflicht ist begrifflich nicht beschränkt dorff's Handbuch des Strafproz. I. S. 268 ff., sowie dessen Lehrb. des Straf- prozeßrechts S. 510 ff. v. Lilienthal in v. Holtzendorff's Rechtslexi- con (3. Aufl.) Bd. III. S. 1420 ff. Daselbst S. 1432 ein Verzeichniß der Li- teratur. 1) Ebenso das Römische Recht vor Justinian für den Civilprozeß; vgl. Wetzell Civilprozeß §. 23 Note 38 (S. 214) v. Schrutka a. a. O. S. 33 ff. 2) Eine nähere Darstellung dieser für die gesammte Rechtsgeschichte wich-
tigen Entwicklung kann hier nicht gegeben werden. §. 105. Die Zeugenpflicht. kann auf einem zwiefachen Rechtsgrunde beruhen: auf Vertragoder auf Geſetz. Das ältere germaniſche Recht kannte nur die freiwillig übernommene, vertragsmäßige Zeugenpflicht (testes ro- gati, tracti 1)); erſt allmälig wurde die geſetzliche Verpflichtung zur Zeugnißablegung für gewiſſe Fälle anerkannt und nach und nach in weiterem Umfang durchgeführt 2). Die vertragsmäßige Zeugenpflicht iſt im Weſentlichen eine Die geſetzliche Zeugenpflicht iſt begrifflich nicht beſchränkt dorff’s Handbuch des Strafproz. I. S. 268 ff., ſowie deſſen Lehrb. des Straf- prozeßrechts S. 510 ff. v. Lilienthal in v. Holtzendorff’s Rechtslexi- con (3. Aufl.) Bd. III. S. 1420 ff. Daſelbſt S. 1432 ein Verzeichniß der Li- teratur. 1) Ebenſo das Römiſche Recht vor Juſtinian für den Civilprozeß; vgl. Wetzell Civilprozeß §. 23 Note 38 (S. 214) v. Schrutka a. a. O. S. 33 ff. 2) Eine nähere Darſtellung dieſer für die geſammte Rechtsgeſchichte wich-
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§. 105. Die Zeugenpflicht.
kann auf einem zwiefachen Rechtsgrunde beruhen: auf Vertrag
oder auf Geſetz. Das ältere germaniſche Recht kannte nur die
freiwillig übernommene, vertragsmäßige Zeugenpflicht (testes ro-
gati, tracti 1)); erſt allmälig wurde die geſetzliche Verpflichtung zur
Zeugnißablegung für gewiſſe Fälle anerkannt und nach und nach
in weiterem Umfang durchgeführt 2).
Die vertragsmäßige Zeugenpflicht iſt im Weſentlichen eine
Pflicht gegen die Partei, wenngleich der Staat zur Erzwingung
ihrer Erfüllung behülflich iſt; die geſetzliche Zeugenpflicht iſt ihrer
Natur nach eine Pflicht gegen den Staat, und zwar auch dann,
wenn ſie nur auf den Antrag einer Partei und im Vermögens-
Intereſſe derſelben in Anſpruch genommen wird. Die freiwillig
übernommene und die geſetzliche Zeugenpflicht ſind ihrer Natur
und ihrem Urſprung nach grundverſchiedene Rechtsbildungen, welche
verſchiedenen Zuſtänden des Staates und des Rechtsſchutzes ent-
ſprechen. Im heutigen Recht ſind nur noch Reſte der vertrags-
mäßigen Zeugenpflicht in dem Inſtitut der Solennitäts- und Ur-
kundszeugen vorhanden; die Zeugenpflicht iſt gegenwärtig eine auf
Geſetz beruhende öffentlichrechtliche Verpflichtung, welche der Staat
auferlegt und deren Erfüllung er im öffentlichen Intereſſe und mit
den Mitteln der Staatsgewalt erzwingt.
Die geſetzliche Zeugenpflicht iſt begrifflich nicht beſchränkt
auf die Verpflichtung, den Gerichten Ausſagen zu machen und
noch viel weniger objectiv auf Thatſachen, welche in einem Straf-
prozeß oder Civilprozeß von Erheblichkeit ſind; ſie kann allen Be-
hörden gegenüber beſtehen und für alle denkbaren ſtaatlichen Zwecke
in Anſpruch genommen werden. Ihrer hiſtoriſchen Ausbildung
gemäß iſt aber die Zeugenpflicht eine Gerichtspflicht; ſie wurde
vom Staate nur für die Zwecke der Rechtspflege in Anſpruch ge-
nommen, nachdem die auf zufälliger Kenntniß beruhende Ausſage
*)
1) Ebenſo das Römiſche Recht vor Juſtinian für den Civilprozeß; vgl.
Wetzell Civilprozeß §. 23 Note 38 (S. 214) v. Schrutka a. a. O. S. 33 ff.
2) Eine nähere Darſtellung dieſer für die geſammte Rechtsgeſchichte wich-
tigen Entwicklung kann hier nicht gegeben werden.
*) dorff’s Handbuch des Strafproz. I. S. 268 ff., ſowie deſſen Lehrb. des Straf-
prozeßrechts S. 510 ff. v. Lilienthal in v. Holtzendorff’s Rechtslexi-
con (3. Aufl.) Bd. III. S. 1420 ff. Daſelbſt S. 1432 ein Verzeichniß der Li-
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