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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 109. Die Reichsschulden.

Sowie die Aufnahme einer Anleihe, so ist auch die Kündi-
gung
und Tilgung derselben ein Rechtsgeschäft des Vermögens-
verkehrs, also ein Verwaltungsgeschäft, kein Akt der Gesetz-
gebung (im materiellen Sinn). Da aber dieses Geschäft in die
Finanzwirthschaft des Reiches nicht minder tief eingreift, wie die
Aufnahme der Anleihe, so ist auch hierzu die Genehmigung des
Bundesrathes und des Reichstages, "der Weg der Gesetzgebung"
für erforderlich erklärt. Zwar nicht in der Reichsverfassung, wol
aber nach dem typischen Inhalt sämmtlicher Anleihegesetze und
auch hier nur in einer versteckten Weise, indem dem Reich das
Recht vorbehalten ist, die Schuldverschreibungen der einzelnen
Renten-Emissionen "binnen einer gesetzlich festzusetzenden Frist
zu kündigen" 1). Hiernach braucht zwar nur die Bestimmung der
Kündigungsfrist durch Gesetz zu erfolgen; aber es versteht sich
von selbst, daß der Bundesrath und der Reichstag diese Frist nur
dann festsetzen werden, wenn sie die Tilgung der Schuld überhaupt
beschließen wollen 2). Demgemäß hat auch das Reichsgesetz vom
28. Oktob. 1871 (R.G.Bl. S. 343) sich nicht auf die Feststellung
der Kündigungsfrist beschränkt, sondern "den Reichskanzler er-
mächtigt, die . . . . Anleihe des vormal. Nordd. Bundes zur Ein-
lösung . . . . mit einer Frist von drei Monaten kündigen zu lassen".

2. Die privatrechtlichen Regeln. Das Rechtsverhält-
niß zwischen dem Fiskus und den Anleihegläubigern bestimmt
sich nach der Art der Kreditbeschaffung; es ist bei Emission von

Anschluß an die in Preußen übliche Formulirung bestimmte das Anleihe-
gesetz des Nordd. Bundes vom 9. Nov. 1867 §. 1: "Zur Bestreitung der außer-
ordentlichen Bedürfnisse für . . . . sind die erforderlichen Geldmittel . . . .
durch eine verzinsliche Anleihe zu beschaffen"; fügte dann aber im §. 10
hinzu: "Die Ausführung dieses Gesetzes wird dem Bundeskanzler übertragen";
während es treffender gewesen wäre zu sagen: "Die Ausführung dieses Gesetzes
erfolgt nach Anordnung des Bundespräsidiums (Kaisers)". Vgl. §. 2 dieses
Gesetzes. Schon das Bundesgesetz v. 21. Juli 1870 über die Kriegsanleihe
(B.G.Bl. S. 491) hat die in die Reichsgesetzgebung übergegangene Formel.
1) Gesetz v. 6. April 1870 §. 4 Abs. 1 (B.G.Bl. S. 65).
2) Daß die R.V. über die Tilgung der Anleihen keine Bestimmung ent-
hält, beruht darauf, daß bei Darlehensschulden, welche amortisirt oder
an bestimmten Terminen fällig werden, der Tilgungsmodus schon bei der Con-
trahirung der Anleihe festgestellt wird. Vgl. das Anleihe-Gesetz des Nordd.
Bundes v. 9. Nov. 1867 §. 3.
§. 109. Die Reichsſchulden.

Sowie die Aufnahme einer Anleihe, ſo iſt auch die Kündi-
gung
und Tilgung derſelben ein Rechtsgeſchäft des Vermögens-
verkehrs, alſo ein Verwaltungsgeſchäft, kein Akt der Geſetz-
gebung (im materiellen Sinn). Da aber dieſes Geſchäft in die
Finanzwirthſchaft des Reiches nicht minder tief eingreift, wie die
Aufnahme der Anleihe, ſo iſt auch hierzu die Genehmigung des
Bundesrathes und des Reichstages, „der Weg der Geſetzgebung“
für erforderlich erklärt. Zwar nicht in der Reichsverfaſſung, wol
aber nach dem typiſchen Inhalt ſämmtlicher Anleihegeſetze und
auch hier nur in einer verſteckten Weiſe, indem dem Reich das
Recht vorbehalten iſt, die Schuldverſchreibungen der einzelnen
Renten-Emiſſionen „binnen einer geſetzlich feſtzuſetzenden Friſt
zu kündigen“ 1). Hiernach braucht zwar nur die Beſtimmung der
Kündigungsfriſt durch Geſetz zu erfolgen; aber es verſteht ſich
von ſelbſt, daß der Bundesrath und der Reichstag dieſe Friſt nur
dann feſtſetzen werden, wenn ſie die Tilgung der Schuld überhaupt
beſchließen wollen 2). Demgemäß hat auch das Reichsgeſetz vom
28. Oktob. 1871 (R.G.Bl. S. 343) ſich nicht auf die Feſtſtellung
der Kündigungsfriſt beſchränkt, ſondern „den Reichskanzler er-
mächtigt, die . . . . Anleihe des vormal. Nordd. Bundes zur Ein-
löſung . . . . mit einer Friſt von drei Monaten kündigen zu laſſen“.

2. Die privatrechtlichen Regeln. Das Rechtsverhält-
niß zwiſchen dem Fiskus und den Anleihegläubigern beſtimmt
ſich nach der Art der Kreditbeſchaffung; es iſt bei Emiſſion von

Anſchluß an die in Preußen übliche Formulirung beſtimmte das Anleihe-
geſetz des Nordd. Bundes vom 9. Nov. 1867 §. 1: „Zur Beſtreitung der außer-
ordentlichen Bedürfniſſe für . . . . ſind die erforderlichen Geldmittel . . . .
durch eine verzinsliche Anleihe zu beſchaffen“; fügte dann aber im §. 10
hinzu: „Die Ausführung dieſes Geſetzes wird dem Bundeskanzler übertragen“;
während es treffender geweſen wäre zu ſagen: „Die Ausführung dieſes Geſetzes
erfolgt nach Anordnung des Bundespräſidiums (Kaiſers)“. Vgl. §. 2 dieſes
Geſetzes. Schon das Bundesgeſetz v. 21. Juli 1870 über die Kriegsanleihe
(B.G.Bl. S. 491) hat die in die Reichsgeſetzgebung übergegangene Formel.
1) Geſetz v. 6. April 1870 §. 4 Abſ. 1 (B.G.Bl. S. 65).
2) Daß die R.V. über die Tilgung der Anleihen keine Beſtimmung ent-
hält, beruht darauf, daß bei Darlehensſchulden, welche amortiſirt oder
an beſtimmten Terminen fällig werden, der Tilgungsmodus ſchon bei der Con-
trahirung der Anleihe feſtgeſtellt wird. Vgl. das Anleihe-Geſetz des Nordd.
Bundes v. 9. Nov. 1867 §. 3.
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[237/0247] §. 109. Die Reichsſchulden. Sowie die Aufnahme einer Anleihe, ſo iſt auch die Kündi- gung und Tilgung derſelben ein Rechtsgeſchäft des Vermögens- verkehrs, alſo ein Verwaltungsgeſchäft, kein Akt der Geſetz- gebung (im materiellen Sinn). Da aber dieſes Geſchäft in die Finanzwirthſchaft des Reiches nicht minder tief eingreift, wie die Aufnahme der Anleihe, ſo iſt auch hierzu die Genehmigung des Bundesrathes und des Reichstages, „der Weg der Geſetzgebung“ für erforderlich erklärt. Zwar nicht in der Reichsverfaſſung, wol aber nach dem typiſchen Inhalt ſämmtlicher Anleihegeſetze und auch hier nur in einer verſteckten Weiſe, indem dem Reich das Recht vorbehalten iſt, die Schuldverſchreibungen der einzelnen Renten-Emiſſionen „binnen einer geſetzlich feſtzuſetzenden Friſt zu kündigen“ 1). Hiernach braucht zwar nur die Beſtimmung der Kündigungsfriſt durch Geſetz zu erfolgen; aber es verſteht ſich von ſelbſt, daß der Bundesrath und der Reichstag dieſe Friſt nur dann feſtſetzen werden, wenn ſie die Tilgung der Schuld überhaupt beſchließen wollen 2). Demgemäß hat auch das Reichsgeſetz vom 28. Oktob. 1871 (R.G.Bl. S. 343) ſich nicht auf die Feſtſtellung der Kündigungsfriſt beſchränkt, ſondern „den Reichskanzler er- mächtigt, die . . . . Anleihe des vormal. Nordd. Bundes zur Ein- löſung . . . . mit einer Friſt von drei Monaten kündigen zu laſſen“. 2. Die privatrechtlichen Regeln. Das Rechtsverhält- niß zwiſchen dem Fiskus und den Anleihegläubigern beſtimmt ſich nach der Art der Kreditbeſchaffung; es iſt bei Emiſſion von 2) 1) Geſetz v. 6. April 1870 §. 4 Abſ. 1 (B.G.Bl. S. 65). 2) Daß die R.V. über die Tilgung der Anleihen keine Beſtimmung ent- hält, beruht darauf, daß bei Darlehensſchulden, welche amortiſirt oder an beſtimmten Terminen fällig werden, der Tilgungsmodus ſchon bei der Con- trahirung der Anleihe feſtgeſtellt wird. Vgl. das Anleihe-Geſetz des Nordd. Bundes v. 9. Nov. 1867 §. 3. 2) Anſchluß an die in Preußen übliche Formulirung beſtimmte das Anleihe- geſetz des Nordd. Bundes vom 9. Nov. 1867 §. 1: „Zur Beſtreitung der außer- ordentlichen Bedürfniſſe für . . . . ſind die erforderlichen Geldmittel . . . . durch eine verzinsliche Anleihe zu beſchaffen“; fügte dann aber im §. 10 hinzu: „Die Ausführung dieſes Geſetzes wird dem Bundeskanzler übertragen“; während es treffender geweſen wäre zu ſagen: „Die Ausführung dieſes Geſetzes erfolgt nach Anordnung des Bundespräſidiums (Kaiſers)“. Vgl. §. 2 dieſes Geſetzes. Schon das Bundesgeſetz v. 21. Juli 1870 über die Kriegsanleihe (B.G.Bl. S. 491) hat die in die Reichsgeſetzgebung übergegangene Formel.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/247>, abgerufen am 21.11.2024.