2. Die materiellen oder qualitativen Abwei- chungen vom Etatsgesetz sind: Die Nichterhebung einer etats- mäßigen Einnahme oder die Erhebung einer im Etat gar nicht aufgeführten Einnahme, sowie die Nichtleistung einer etatsmäßigen Ausgabe oder die Leistung einer außeretatsmäßigen Ausgabe.
a) Die Nichterhebung einer etatsmäßigen Einnahme kann nicht vorkommen, so weit die Einnahmen durch Gesetze normirt sind, deren Ausführung von der Regierung nicht suspendirt werden darf, wie Zoll- und Steuergesetze und Gebührentarife. Wol aber kann die Regierung eine Einnahme unerhoben lassen, zu deren Erhebung sie nicht gesetzlich verpflichtet, sondern nur ermächtigt war. Dies gilt namentlich von der Begebung von Anleihen und von der Verwendung von Reichsfinanzvermögen zu Verwaltungszwecken. Wenn die übrigen Einnahmequellen unerwartet hohe Erträge ab- werfen, wenn gewisse etatsmäßige Ausgaben unterbleiben müssen, oder wenn die Zeitverhältnisse zur Veräußerung von Reichsver- mögen oder zur Negoziirung einer Anleihe besonders ungünstig sind, so kann die Regierung durch die ihr obliegende Sorgfalt bei der Verwaltung des Reichsvermögens verpflichtet sein, dergleichen außerordentliche Einnahmequellen unbenutzt zu lassen. Es wäre ein völliges Verkennen der Bedeutung des Etatsgesetzes, wenn man in demselben einen Befehl an die Regierung erblicken wollte, alle etatsmäßigen Einnahmen der Reichskasse zuzuführen. Das Gesetz, welches den Etat feststellt, läßt übrigens gewöhnlich keinen Zweifel darüber, daß es sich bei solchen Einnahmen nur um eine Ermächtigung der Regierung handelt. Im Reichsetat findet dies besonders Anwendung auf die Matricularbeiträge, welche der Reichskanzler theilweise oder ganz unerhoben lassen kann, wenn sie zur Bestreitung der Reichsausgaben entbehrlich erscheinen.
b) Die Erhebung einer nicht etatsmäßigen Einnahme ist eben- falls der Regierung unverwehrt; nur versteht es sich von selbst, daß sie einen gesetzlichen Titel für dieselbe haben muß, daß sie also insbesondere nicht durch eigenmächtige Contrahirung von An- leihen, Veräußerung von Reichsvermögen, Erhebung von ungesetz-
Position zu verstehen, welche einer selbständigen Beschluß- fassung des Reichstages unterlegen hat und als Gegenstand einer solchen im Etat erkennbar gemacht worden ist". (Gesetz- entw. über die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben v. 1877 §. 9.)
§. 124. Die Wirkungen des Etatsgeſetzes.
2. Die materiellen oder qualitativen Abwei- chungen vom Etatsgeſetz ſind: Die Nichterhebung einer etats- mäßigen Einnahme oder die Erhebung einer im Etat gar nicht aufgeführten Einnahme, ſowie die Nichtleiſtung einer etatsmäßigen Ausgabe oder die Leiſtung einer außeretatsmäßigen Ausgabe.
a) Die Nichterhebung einer etatsmäßigen Einnahme kann nicht vorkommen, ſo weit die Einnahmen durch Geſetze normirt ſind, deren Ausführung von der Regierung nicht ſuſpendirt werden darf, wie Zoll- und Steuergeſetze und Gebührentarife. Wol aber kann die Regierung eine Einnahme unerhoben laſſen, zu deren Erhebung ſie nicht geſetzlich verpflichtet, ſondern nur ermächtigt war. Dies gilt namentlich von der Begebung von Anleihen und von der Verwendung von Reichsfinanzvermögen zu Verwaltungszwecken. Wenn die übrigen Einnahmequellen unerwartet hohe Erträge ab- werfen, wenn gewiſſe etatsmäßige Ausgaben unterbleiben müſſen, oder wenn die Zeitverhältniſſe zur Veräußerung von Reichsver- mögen oder zur Negoziirung einer Anleihe beſonders ungünſtig ſind, ſo kann die Regierung durch die ihr obliegende Sorgfalt bei der Verwaltung des Reichsvermögens verpflichtet ſein, dergleichen außerordentliche Einnahmequellen unbenutzt zu laſſen. Es wäre ein völliges Verkennen der Bedeutung des Etatsgeſetzes, wenn man in demſelben einen Befehl an die Regierung erblicken wollte, alle etatsmäßigen Einnahmen der Reichskaſſe zuzuführen. Das Geſetz, welches den Etat feſtſtellt, läßt übrigens gewöhnlich keinen Zweifel darüber, daß es ſich bei ſolchen Einnahmen nur um eine Ermächtigung der Regierung handelt. Im Reichsetat findet dies beſonders Anwendung auf die Matricularbeiträge, welche der Reichskanzler theilweiſe oder ganz unerhoben laſſen kann, wenn ſie zur Beſtreitung der Reichsausgaben entbehrlich erſcheinen.
b) Die Erhebung einer nicht etatsmäßigen Einnahme iſt eben- falls der Regierung unverwehrt; nur verſteht es ſich von ſelbſt, daß ſie einen geſetzlichen Titel für dieſelbe haben muß, daß ſie alſo insbeſondere nicht durch eigenmächtige Contrahirung von An- leihen, Veräußerung von Reichsvermögen, Erhebung von ungeſetz-
Poſition zu verſtehen, welche einer ſelbſtändigen Beſchluß- faſſung des Reichstages unterlegen hat und als Gegenſtand einer ſolchen im Etat erkennbar gemacht worden iſt“. (Geſetz- entw. über die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben v. 1877 §. 9.)
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0368"n="358"/><fwplace="top"type="header">§. 124. Die Wirkungen des Etatsgeſetzes.</fw><lb/><p>2. Die <hirendition="#g">materiellen oder qualitativen Abwei-<lb/>
chungen</hi> vom Etatsgeſetz ſind: Die Nichterhebung einer etats-<lb/>
mäßigen Einnahme oder die Erhebung einer im Etat gar nicht<lb/>
aufgeführten Einnahme, ſowie die Nichtleiſtung einer etatsmäßigen<lb/>
Ausgabe oder die Leiſtung einer außeretatsmäßigen Ausgabe.</p><lb/><p><hirendition="#aq">a</hi>) Die Nichterhebung einer etatsmäßigen Einnahme kann nicht<lb/>
vorkommen, ſo weit die Einnahmen durch Geſetze normirt ſind,<lb/>
deren Ausführung von der Regierung nicht ſuſpendirt werden darf,<lb/>
wie Zoll- und Steuergeſetze und Gebührentarife. Wol aber kann<lb/>
die Regierung eine Einnahme unerhoben laſſen, zu deren Erhebung<lb/>ſie nicht geſetzlich verpflichtet, ſondern nur <hirendition="#g">ermächtigt</hi> war.<lb/>
Dies gilt namentlich von der Begebung von Anleihen und von<lb/>
der Verwendung von Reichsfinanzvermögen zu Verwaltungszwecken.<lb/>
Wenn die übrigen Einnahmequellen unerwartet hohe Erträge ab-<lb/>
werfen, wenn gewiſſe etatsmäßige Ausgaben unterbleiben müſſen,<lb/>
oder wenn die Zeitverhältniſſe zur Veräußerung von Reichsver-<lb/>
mögen oder zur Negoziirung einer Anleihe beſonders ungünſtig<lb/>ſind, ſo kann die Regierung durch die ihr obliegende Sorgfalt bei<lb/>
der Verwaltung des Reichsvermögens verpflichtet ſein, dergleichen<lb/>
außerordentliche Einnahmequellen unbenutzt zu laſſen. Es wäre<lb/>
ein völliges Verkennen der Bedeutung des Etatsgeſetzes, wenn<lb/>
man in demſelben einen Befehl an die Regierung erblicken wollte,<lb/>
alle etatsmäßigen Einnahmen der Reichskaſſe zuzuführen. Das<lb/>
Geſetz, welches den Etat feſtſtellt, läßt übrigens gewöhnlich keinen<lb/>
Zweifel darüber, daß es ſich bei ſolchen Einnahmen nur um eine<lb/>
Ermächtigung der Regierung handelt. Im Reichsetat findet dies<lb/>
beſonders Anwendung auf die Matricularbeiträge, welche der<lb/>
Reichskanzler theilweiſe oder ganz unerhoben laſſen kann, wenn ſie<lb/>
zur Beſtreitung der Reichsausgaben entbehrlich erſcheinen.</p><lb/><p><hirendition="#aq">b</hi>) Die Erhebung einer nicht etatsmäßigen Einnahme iſt eben-<lb/>
falls der Regierung unverwehrt; nur verſteht es ſich von ſelbſt,<lb/>
daß ſie einen geſetzlichen Titel für dieſelbe haben muß, daß ſie<lb/>
alſo insbeſondere nicht durch eigenmächtige Contrahirung von An-<lb/>
leihen, Veräußerung von Reichsvermögen, Erhebung von ungeſetz-<lb/><notexml:id="seg2pn_38_2"prev="#seg2pn_38_1"place="foot"n="1)"><hirendition="#g">Poſition zu verſtehen, welche einer ſelbſtändigen Beſchluß-<lb/>
faſſung des Reichstages unterlegen hat und als Gegenſtand<lb/>
einer ſolchen im Etat erkennbar gemacht worden iſt</hi>“. (Geſetz-<lb/>
entw. über die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben v. 1877 §. 9.)</note><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[358/0368]
§. 124. Die Wirkungen des Etatsgeſetzes.
2. Die materiellen oder qualitativen Abwei-
chungen vom Etatsgeſetz ſind: Die Nichterhebung einer etats-
mäßigen Einnahme oder die Erhebung einer im Etat gar nicht
aufgeführten Einnahme, ſowie die Nichtleiſtung einer etatsmäßigen
Ausgabe oder die Leiſtung einer außeretatsmäßigen Ausgabe.
a) Die Nichterhebung einer etatsmäßigen Einnahme kann nicht
vorkommen, ſo weit die Einnahmen durch Geſetze normirt ſind,
deren Ausführung von der Regierung nicht ſuſpendirt werden darf,
wie Zoll- und Steuergeſetze und Gebührentarife. Wol aber kann
die Regierung eine Einnahme unerhoben laſſen, zu deren Erhebung
ſie nicht geſetzlich verpflichtet, ſondern nur ermächtigt war.
Dies gilt namentlich von der Begebung von Anleihen und von
der Verwendung von Reichsfinanzvermögen zu Verwaltungszwecken.
Wenn die übrigen Einnahmequellen unerwartet hohe Erträge ab-
werfen, wenn gewiſſe etatsmäßige Ausgaben unterbleiben müſſen,
oder wenn die Zeitverhältniſſe zur Veräußerung von Reichsver-
mögen oder zur Negoziirung einer Anleihe beſonders ungünſtig
ſind, ſo kann die Regierung durch die ihr obliegende Sorgfalt bei
der Verwaltung des Reichsvermögens verpflichtet ſein, dergleichen
außerordentliche Einnahmequellen unbenutzt zu laſſen. Es wäre
ein völliges Verkennen der Bedeutung des Etatsgeſetzes, wenn
man in demſelben einen Befehl an die Regierung erblicken wollte,
alle etatsmäßigen Einnahmen der Reichskaſſe zuzuführen. Das
Geſetz, welches den Etat feſtſtellt, läßt übrigens gewöhnlich keinen
Zweifel darüber, daß es ſich bei ſolchen Einnahmen nur um eine
Ermächtigung der Regierung handelt. Im Reichsetat findet dies
beſonders Anwendung auf die Matricularbeiträge, welche der
Reichskanzler theilweiſe oder ganz unerhoben laſſen kann, wenn ſie
zur Beſtreitung der Reichsausgaben entbehrlich erſcheinen.
b) Die Erhebung einer nicht etatsmäßigen Einnahme iſt eben-
falls der Regierung unverwehrt; nur verſteht es ſich von ſelbſt,
daß ſie einen geſetzlichen Titel für dieſelbe haben muß, daß ſie
alſo insbeſondere nicht durch eigenmächtige Contrahirung von An-
leihen, Veräußerung von Reichsvermögen, Erhebung von ungeſetz-
1)
1) Poſition zu verſtehen, welche einer ſelbſtändigen Beſchluß-
faſſung des Reichstages unterlegen hat und als Gegenſtand
einer ſolchen im Etat erkennbar gemacht worden iſt“. (Geſetz-
entw. über die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben v. 1877 §. 9.)
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/368>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.