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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 124. Die Wirkungen des Etatsgesetzes.
mäßiger Ausgaben eine Ungesetzlichkeit, d. h. die Verletzung eines
Gesetzinhalts sei 1). Das Recht des Reichstags aber, die
Nothwendigkeit und Angemessenheit aller Ausgaben mit zu prüfen
und darüber mit zu entscheiden, geht ebensowenig dadurch verloren,
daß diese Prüfung und Entscheidung nicht schon bei Aufstellung
des allgemeinen Finanzplanes erfolgen konnte oder erfolgt ist.
Sein im Art. 71 anerkanntes Ausgaben-Bewilligungsrecht erstreckt
sich auf alle Ausgaben des Reichs, gleichviel ob sie im Etatsgesetz
eine Stelle gefunden haben oder nicht. Daraus ergibt sich zugleich
die Natur des Bewilligungsrechtes des Reichstages hinsichtlich der
außeretatsmäßigen Ausgaben als vollkommen identisch mit seinem
Recht der Mitwirkung bei der Etatsfeststellung selbst. Das Be-
willigungsrecht des Reichstages ist kein ungebundenes und willkür-
liches. Erkennt der Reichstag an, daß die Ausgabe aus rechtlichen
oder faktischen Gründen nothwendig oder angemessen war, so in-
volvirt dieses Anerkenntniß zugleich die Genehmigung; der Reichs-
tag kann nicht zugleich die Nothwendigkeit einer geleisteten Ausgabe
zugeben und ihre Bewilligung versagen. Der Unterschied zwischen
den etatsmäßigen und außeretatsmäßigen Ausgaben besteht darin,
daß der Reichskanzler, welcher bei den etatsmäßigen Ausgaben von
der Verantwortlichkeit für ihre Nothwendigkeit und Angemessenheit
frei ist, bei den außeretatsmäßigen Ausgaben diese Verantwortlich-
keit bis zur Bewilligung durch den Reichstag trägt; die Befugnisse
des Reichstags aber sind materiell dieselben bei etatsmäßigen und
außeretatsmäßigen Ausgaben 2).


1) v. Martitz, Betrachtungen S. 99 sagt: "Es ist ein baarer Un-
sinn
, jene Festsetzung, daß der jährliche Voranschlag über die Ausgaben und
Einnahmen des Staates Gesetz sein soll, was er niemals sein kann, niemals
gewesen ist, weder in Preußen noch in Belgien, noch in England noch in dem
vermuthlich auf dem Monde liegenden Musterstaate, der nach allgemeinem con-
stitutionellen Staatsrechte lebt". v. Martitz, Ueber den const. Begriff etc. S. 63
dagegen lehrt: "Das verabschiedete Budgetgesetz mit seiner Anlage, dem Staats-
haushaltsetat ist im juristischen Sinne Gesetz und nicht bloß in einem
äußerlichen oder formellen Sinne. Seine Kraft ist die des Gesetzes und nicht
der Verfügung. Es enthält Normen, die eine rechtliche Verbindlichkeit
auferlegen und nicht blos die periodische Richtschnur für die Finanzpolitik
gewähren". Meines Erachtens kommt der erstere v. Martitz, der dies für
baaren Unsinn erklärt, der Wahrheit näher, wie der letztere.
2) Uebereinstimmend Schulze Lehrb. I. S. 591.

§. 124. Die Wirkungen des Etatsgeſetzes.
mäßiger Ausgaben eine Ungeſetzlichkeit, d. h. die Verletzung eines
Geſetzinhalts ſei 1). Das Recht des Reichstags aber, die
Nothwendigkeit und Angemeſſenheit aller Ausgaben mit zu prüfen
und darüber mit zu entſcheiden, geht ebenſowenig dadurch verloren,
daß dieſe Prüfung und Entſcheidung nicht ſchon bei Aufſtellung
des allgemeinen Finanzplanes erfolgen konnte oder erfolgt iſt.
Sein im Art. 71 anerkanntes Ausgaben-Bewilligungsrecht erſtreckt
ſich auf alle Ausgaben des Reichs, gleichviel ob ſie im Etatsgeſetz
eine Stelle gefunden haben oder nicht. Daraus ergibt ſich zugleich
die Natur des Bewilligungsrechtes des Reichstages hinſichtlich der
außeretatsmäßigen Ausgaben als vollkommen identiſch mit ſeinem
Recht der Mitwirkung bei der Etatsfeſtſtellung ſelbſt. Das Be-
willigungsrecht des Reichstages iſt kein ungebundenes und willkür-
liches. Erkennt der Reichstag an, daß die Ausgabe aus rechtlichen
oder faktiſchen Gründen nothwendig oder angemeſſen war, ſo in-
volvirt dieſes Anerkenntniß zugleich die Genehmigung; der Reichs-
tag kann nicht zugleich die Nothwendigkeit einer geleiſteten Ausgabe
zugeben und ihre Bewilligung verſagen. Der Unterſchied zwiſchen
den etatsmäßigen und außeretatsmäßigen Ausgaben beſteht darin,
daß der Reichskanzler, welcher bei den etatsmäßigen Ausgaben von
der Verantwortlichkeit für ihre Nothwendigkeit und Angemeſſenheit
frei iſt, bei den außeretatsmäßigen Ausgaben dieſe Verantwortlich-
keit bis zur Bewilligung durch den Reichstag trägt; die Befugniſſe
des Reichstags aber ſind materiell dieſelben bei etatsmäßigen und
außeretatsmäßigen Ausgaben 2).


1) v. Martitz, Betrachtungen S. 99 ſagt: „Es iſt ein baarer Un-
ſinn
, jene Feſtſetzung, daß der jährliche Voranſchlag über die Ausgaben und
Einnahmen des Staates Geſetz ſein ſoll, was er niemals ſein kann, niemals
geweſen iſt, weder in Preußen noch in Belgien, noch in England noch in dem
vermuthlich auf dem Monde liegenden Muſterſtaate, der nach allgemeinem con-
ſtitutionellen Staatsrechte lebt“. v. Martitz, Ueber den conſt. Begriff ꝛc. S. 63
dagegen lehrt: „Das verabſchiedete Budgetgeſetz mit ſeiner Anlage, dem Staats-
haushaltsetat iſt im juriſtiſchen Sinne Geſetz und nicht bloß in einem
äußerlichen oder formellen Sinne. Seine Kraft iſt die des Geſetzes und nicht
der Verfügung. Es enthält Normen, die eine rechtliche Verbindlichkeit
auferlegen und nicht blos die periodiſche Richtſchnur für die Finanzpolitik
gewähren“. Meines Erachtens kommt der erſtere v. Martitz, der dies für
baaren Unſinn erklärt, der Wahrheit näher, wie der letztere.
2) Uebereinſtimmend Schulze Lehrb. I. S. 591.
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[361/0371] §. 124. Die Wirkungen des Etatsgeſetzes. mäßiger Ausgaben eine Ungeſetzlichkeit, d. h. die Verletzung eines Geſetzinhalts ſei 1). Das Recht des Reichstags aber, die Nothwendigkeit und Angemeſſenheit aller Ausgaben mit zu prüfen und darüber mit zu entſcheiden, geht ebenſowenig dadurch verloren, daß dieſe Prüfung und Entſcheidung nicht ſchon bei Aufſtellung des allgemeinen Finanzplanes erfolgen konnte oder erfolgt iſt. Sein im Art. 71 anerkanntes Ausgaben-Bewilligungsrecht erſtreckt ſich auf alle Ausgaben des Reichs, gleichviel ob ſie im Etatsgeſetz eine Stelle gefunden haben oder nicht. Daraus ergibt ſich zugleich die Natur des Bewilligungsrechtes des Reichstages hinſichtlich der außeretatsmäßigen Ausgaben als vollkommen identiſch mit ſeinem Recht der Mitwirkung bei der Etatsfeſtſtellung ſelbſt. Das Be- willigungsrecht des Reichstages iſt kein ungebundenes und willkür- liches. Erkennt der Reichstag an, daß die Ausgabe aus rechtlichen oder faktiſchen Gründen nothwendig oder angemeſſen war, ſo in- volvirt dieſes Anerkenntniß zugleich die Genehmigung; der Reichs- tag kann nicht zugleich die Nothwendigkeit einer geleiſteten Ausgabe zugeben und ihre Bewilligung verſagen. Der Unterſchied zwiſchen den etatsmäßigen und außeretatsmäßigen Ausgaben beſteht darin, daß der Reichskanzler, welcher bei den etatsmäßigen Ausgaben von der Verantwortlichkeit für ihre Nothwendigkeit und Angemeſſenheit frei iſt, bei den außeretatsmäßigen Ausgaben dieſe Verantwortlich- keit bis zur Bewilligung durch den Reichstag trägt; die Befugniſſe des Reichstags aber ſind materiell dieſelben bei etatsmäßigen und außeretatsmäßigen Ausgaben 2). 1) v. Martitz, Betrachtungen S. 99 ſagt: „Es iſt ein baarer Un- ſinn, jene Feſtſetzung, daß der jährliche Voranſchlag über die Ausgaben und Einnahmen des Staates Geſetz ſein ſoll, was er niemals ſein kann, niemals geweſen iſt, weder in Preußen noch in Belgien, noch in England noch in dem vermuthlich auf dem Monde liegenden Muſterſtaate, der nach allgemeinem con- ſtitutionellen Staatsrechte lebt“. v. Martitz, Ueber den conſt. Begriff ꝛc. S. 63 dagegen lehrt: „Das verabſchiedete Budgetgeſetz mit ſeiner Anlage, dem Staats- haushaltsetat iſt im juriſtiſchen Sinne Geſetz und nicht bloß in einem äußerlichen oder formellen Sinne. Seine Kraft iſt die des Geſetzes und nicht der Verfügung. Es enthält Normen, die eine rechtliche Verbindlichkeit auferlegen und nicht blos die periodiſche Richtſchnur für die Finanzpolitik gewähren“. Meines Erachtens kommt der erſtere v. Martitz, der dies für baaren Unſinn erklärt, der Wahrheit näher, wie der letztere. 2) Uebereinſtimmend Schulze Lehrb. I. S. 591.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/371>, abgerufen am 16.07.2024.