Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.§. 100. Die Verpflichtung zur Rechtshülfe. 1. In Betreff der zur ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit ge- hörenden Rechtssachen kommen die Vorschriften des Gerichts- verfassungsgesetzes und der Prozeßordnungen zur Anwendung. 2. In Betreff derjenigen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, welche zur Zuständigkeit der besonderen Gerichte gehören, sind die Vorschriften des Rechtshülfe-Gesetzes v. 21. Juni 1869 in Geltung geblieben. 3. Für alle übrigen Rechtssachen, insbesondere für die Gerichts- barkeit der Verwaltungsgerichte, der Disciplinargerichte, für die gesammte freiwillige Gerichtsbarkeit und für die den Ge- richten aufgetragenen Geschäfte der Justizverwaltung fehlt es an reichsgesetzlichen Normen und es besteht überhaupt keine reichsgesetzlich sanctionirte Pflicht zur Gewährung ge- genseitiger Rechtshülfe; es kommen vielmehr die Partikular- rechte und die unter den einzelnen Staaten abgeschlossenen Verträge zur Anwendung. I. Rechtshülfe auf dem Gebiet der ordentlichen strei- tigen Gerichtsbarkeit. 1. Die Gerichtsbarkeit oder Gerichtsgewalt jedes Deutschen or- 1) Gerichtsverf.Ges. §. 167. 5*
§. 100. Die Verpflichtung zur Rechtshülfe. 1. In Betreff der zur ordentlichen ſtreitigen Gerichtsbarkeit ge- hörenden Rechtsſachen kommen die Vorſchriften des Gerichts- verfaſſungsgeſetzes und der Prozeßordnungen zur Anwendung. 2. In Betreff derjenigen bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und Strafſachen, welche zur Zuſtändigkeit der beſonderen Gerichte gehören, ſind die Vorſchriften des Rechtshülfe-Geſetzes v. 21. Juni 1869 in Geltung geblieben. 3. Für alle übrigen Rechtsſachen, insbeſondere für die Gerichts- barkeit der Verwaltungsgerichte, der Disciplinargerichte, für die geſammte freiwillige Gerichtsbarkeit und für die den Ge- richten aufgetragenen Geſchäfte der Juſtizverwaltung fehlt es an reichsgeſetzlichen Normen und es beſteht überhaupt keine reichsgeſetzlich ſanctionirte Pflicht zur Gewährung ge- genſeitiger Rechtshülfe; es kommen vielmehr die Partikular- rechte und die unter den einzelnen Staaten abgeſchloſſenen Verträge zur Anwendung. I. Rechtshülfe auf dem Gebiet der ordentlichen ſtrei- tigen Gerichtsbarkeit. 1. Die Gerichtsbarkeit oder Gerichtsgewalt jedes Deutſchen or- 1) Gerichtsverf.Geſ. §. 167. 5*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0077" n="67"/> <fw place="top" type="header">§. 100. Die Verpflichtung zur Rechtshülfe.</fw><lb/> <list> <item>1. In Betreff der zur ordentlichen ſtreitigen Gerichtsbarkeit ge-<lb/> hörenden Rechtsſachen kommen die Vorſchriften des Gerichts-<lb/> verfaſſungsgeſetzes und der Prozeßordnungen zur Anwendung.</item><lb/> <item>2. In Betreff derjenigen bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und<lb/> Strafſachen, welche zur Zuſtändigkeit der beſonderen Gerichte<lb/> gehören, ſind die Vorſchriften des Rechtshülfe-Geſetzes v.<lb/> 21. Juni 1869 in Geltung geblieben.</item><lb/> <item>3. Für alle übrigen Rechtsſachen, insbeſondere für die Gerichts-<lb/> barkeit der Verwaltungsgerichte, der Disciplinargerichte, für<lb/> die geſammte freiwillige Gerichtsbarkeit und für die den Ge-<lb/> richten aufgetragenen Geſchäfte der Juſtizverwaltung fehlt<lb/> es an reichsgeſetzlichen Normen und es beſteht überhaupt<lb/> keine reichsgeſetzlich ſanctionirte Pflicht zur Gewährung ge-<lb/> genſeitiger Rechtshülfe; es kommen vielmehr die Partikular-<lb/> rechte und die unter den einzelnen Staaten abgeſchloſſenen<lb/> Verträge zur Anwendung.</item> </list><lb/> <div n="3"> <head><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#g">Rechtshülfe auf dem Gebiet der ordentlichen ſtrei-<lb/> tigen Gerichtsbarkeit</hi>.</head><lb/> <p>1. Die Gerichtsbarkeit oder Gerichtsgewalt jedes Deutſchen or-<lb/> dentlichen Gerichtes erſtreckt ſich, wie S. 47 ff. ausgeführt wurde,<lb/> auf das <hi rendition="#g">ganze</hi> Reichsgebiet und auf alle in demſelben ſich auf-<lb/> haltenden Perſonen; dagegen hat jedes Gericht einen räumlich ab-<lb/> gegränzten Amtsbezirk mit der Bedeutung, daß es <hi rendition="#g">Amtshand-<lb/> lungen</hi> außerhalb ſeines Bezirks regelmäßig nicht vornehmen<lb/> darf <note place="foot" n="1)">Gerichtsverf.Geſ. §. 167.</note>. Aus dieſen beiden Sätzen ergiebt ſich der Umfang, in<lb/> welchem das Verlangen und die Gewährung von Rechtshülfe er-<lb/> forderlich iſt. Alle Erkenntniſſe, Entſcheidungen und Verfügungen<lb/> eines Gerichtes ſind für das ganze Reichsgebiet ebenſo rechtswirk-<lb/> ſam wie für den ſpeziellen Amtsbezirk des Gerichts; es bedarf<lb/> daher keiner Vermittlung oder Beihülfe eines andern Gerichts, um<lb/> den gerichtlichen Befehlen oder Urtheilen die Rechtswirkſamkeit<lb/> beizulegen. Demnach ſind nicht blos alle rechtskräftigen Urtheile<lb/> im ganzen Reichsgebiete vollſtreckbar, ſondern jedes Gericht kann<lb/> auch an Perſonen, die ſich außerhalb ſeines Gebietes befinden,<lb/> rechtsverbindliche Befehle erlaſſen, insbeſondere Zuſtellungen und<lb/> <fw place="bottom" type="sig">5*</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [67/0077]
§. 100. Die Verpflichtung zur Rechtshülfe.
1. In Betreff der zur ordentlichen ſtreitigen Gerichtsbarkeit ge-
hörenden Rechtsſachen kommen die Vorſchriften des Gerichts-
verfaſſungsgeſetzes und der Prozeßordnungen zur Anwendung.
2. In Betreff derjenigen bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten und
Strafſachen, welche zur Zuſtändigkeit der beſonderen Gerichte
gehören, ſind die Vorſchriften des Rechtshülfe-Geſetzes v.
21. Juni 1869 in Geltung geblieben.
3. Für alle übrigen Rechtsſachen, insbeſondere für die Gerichts-
barkeit der Verwaltungsgerichte, der Disciplinargerichte, für
die geſammte freiwillige Gerichtsbarkeit und für die den Ge-
richten aufgetragenen Geſchäfte der Juſtizverwaltung fehlt
es an reichsgeſetzlichen Normen und es beſteht überhaupt
keine reichsgeſetzlich ſanctionirte Pflicht zur Gewährung ge-
genſeitiger Rechtshülfe; es kommen vielmehr die Partikular-
rechte und die unter den einzelnen Staaten abgeſchloſſenen
Verträge zur Anwendung.
I. Rechtshülfe auf dem Gebiet der ordentlichen ſtrei-
tigen Gerichtsbarkeit.
1. Die Gerichtsbarkeit oder Gerichtsgewalt jedes Deutſchen or-
dentlichen Gerichtes erſtreckt ſich, wie S. 47 ff. ausgeführt wurde,
auf das ganze Reichsgebiet und auf alle in demſelben ſich auf-
haltenden Perſonen; dagegen hat jedes Gericht einen räumlich ab-
gegränzten Amtsbezirk mit der Bedeutung, daß es Amtshand-
lungen außerhalb ſeines Bezirks regelmäßig nicht vornehmen
darf 1). Aus dieſen beiden Sätzen ergiebt ſich der Umfang, in
welchem das Verlangen und die Gewährung von Rechtshülfe er-
forderlich iſt. Alle Erkenntniſſe, Entſcheidungen und Verfügungen
eines Gerichtes ſind für das ganze Reichsgebiet ebenſo rechtswirk-
ſam wie für den ſpeziellen Amtsbezirk des Gerichts; es bedarf
daher keiner Vermittlung oder Beihülfe eines andern Gerichts, um
den gerichtlichen Befehlen oder Urtheilen die Rechtswirkſamkeit
beizulegen. Demnach ſind nicht blos alle rechtskräftigen Urtheile
im ganzen Reichsgebiete vollſtreckbar, ſondern jedes Gericht kann
auch an Perſonen, die ſich außerhalb ſeines Gebietes befinden,
rechtsverbindliche Befehle erlaſſen, insbeſondere Zuſtellungen und
1) Gerichtsverf.Geſ. §. 167.
5*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |