Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Seyn und das Nicht seyn.
sey oder nicht, unschicklich und ungereimt, weil bey
geometrischen Figuren von Tugenden und Lastern die
Rede gar nicht vorkömmt, und die Moralität schlecht-
hin nur die Jntellectualwelt angeht. Wir führen
dieses hier um desto mehr an, weil man in der Me-
taphysic gar zu leichte ein Ding überhaupt in solche
Arten eintheilet, in welche eigentlich nur eine gewisse
Art von Dingen eingetheilet werden kann, oder auch,
in welche sich ein Ding überhaupt, nur in einer ge-
wissen Absicht, eintheilen läßt. Und wenn diese Art,
oder das so genannte Fundamentum diuisionis, in der
Sprache keinen Namen hat, so ist es auch schwerer,
es deutlich anzuzeigen und kenntlich zu machen. Die
Schwierigkeit, die Substanzen und Accidenzen von
einander so zu unterscheiden, daß sich alles Mögliche
und Gedenkbare in diese zwo Classen vertheilen lasse;
die Frage, die dabey gemacht wird, ob Zeit, Raum,
Kräfte, Verhältnisse etc. Substanzen oder Accidenzen
sind etc. scheinen aus einem Mangel von Begriffen
und Wörtern herzurühren, durch die sich entscheiden
ließ, ob oder wie ferne die Eintheilung in Substan-
zen und Accidenzen allgemein oder nur special sey,
oder welches Fundamentum diuisionis dabey eigent-
lich zum Grunde liege? Denn so z. E. setzet ein Ver-
hältniß Substanzen und Accidenzen voraus, das
Verhältniß selbst aber ist dessen unerachtet von bey-
den verschieden. Uebrigens wird uns die hier vorge-
tragene Anmerkung im Folgenden dienen, den so ge-
nannten Terminum infinitum deutlicher zu erklären.

§. 248.

Um nun wiederum zu dem Satze des Widerspru-
ches und den beyden daraus gefolgerten Grundsätzen
(§. 245. 246.) zurücke zu kehren, merken wir an, daß

das

Das Seyn und das Nicht ſeyn.
ſey oder nicht, unſchicklich und ungereimt, weil bey
geometriſchen Figuren von Tugenden und Laſtern die
Rede gar nicht vorkoͤmmt, und die Moralitaͤt ſchlecht-
hin nur die Jntellectualwelt angeht. Wir fuͤhren
dieſes hier um deſto mehr an, weil man in der Me-
taphyſic gar zu leichte ein Ding uͤberhaupt in ſolche
Arten eintheilet, in welche eigentlich nur eine gewiſſe
Art von Dingen eingetheilet werden kann, oder auch,
in welche ſich ein Ding uͤberhaupt, nur in einer ge-
wiſſen Abſicht, eintheilen laͤßt. Und wenn dieſe Art,
oder das ſo genannte Fundamentum diuiſionis, in der
Sprache keinen Namen hat, ſo iſt es auch ſchwerer,
es deutlich anzuzeigen und kenntlich zu machen. Die
Schwierigkeit, die Subſtanzen und Accidenzen von
einander ſo zu unterſcheiden, daß ſich alles Moͤgliche
und Gedenkbare in dieſe zwo Claſſen vertheilen laſſe;
die Frage, die dabey gemacht wird, ob Zeit, Raum,
Kraͤfte, Verhaͤltniſſe ꝛc. Subſtanzen oder Accidenzen
ſind ꝛc. ſcheinen aus einem Mangel von Begriffen
und Woͤrtern herzuruͤhren, durch die ſich entſcheiden
ließ, ob oder wie ferne die Eintheilung in Subſtan-
zen und Accidenzen allgemein oder nur ſpecial ſey,
oder welches Fundamentum diuiſionis dabey eigent-
lich zum Grunde liege? Denn ſo z. E. ſetzet ein Ver-
haͤltniß Subſtanzen und Accidenzen voraus, das
Verhaͤltniß ſelbſt aber iſt deſſen unerachtet von bey-
den verſchieden. Uebrigens wird uns die hier vorge-
tragene Anmerkung im Folgenden dienen, den ſo ge-
nannten Terminum infinitum deutlicher zu erklaͤren.

§. 248.

Um nun wiederum zu dem Satze des Widerſpru-
ches und den beyden daraus gefolgerten Grundſaͤtzen
(§. 245. 246.) zuruͤcke zu kehren, merken wir an, daß

das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0255" n="219"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Seyn und das Nicht &#x017F;eyn.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ey oder nicht, un&#x017F;chicklich und ungereimt, weil bey<lb/>
geometri&#x017F;chen Figuren von Tugenden und La&#x017F;tern die<lb/>
Rede gar nicht vorko&#x0364;mmt, und die Moralita&#x0364;t &#x017F;chlecht-<lb/>
hin nur die Jntellectualwelt angeht. Wir fu&#x0364;hren<lb/>
die&#x017F;es hier um de&#x017F;to mehr an, weil man in der Me-<lb/>
taphy&#x017F;ic gar zu leichte ein Ding u&#x0364;berhaupt in &#x017F;olche<lb/>
Arten eintheilet, in welche eigentlich nur eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Art von Dingen eingetheilet werden kann, oder auch,<lb/>
in welche &#x017F;ich ein Ding u&#x0364;berhaupt, nur in einer ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Ab&#x017F;icht, eintheilen la&#x0364;ßt. Und wenn die&#x017F;e Art,<lb/>
oder das &#x017F;o genannte <hi rendition="#aq">Fundamentum diui&#x017F;ionis,</hi> in der<lb/>
Sprache keinen Namen hat, &#x017F;o i&#x017F;t es auch &#x017F;chwerer,<lb/>
es deutlich anzuzeigen und kenntlich zu machen. Die<lb/>
Schwierigkeit, die Sub&#x017F;tanzen und Accidenzen von<lb/>
einander &#x017F;o zu unter&#x017F;cheiden, daß &#x017F;ich alles Mo&#x0364;gliche<lb/>
und Gedenkbare in die&#x017F;e zwo Cla&#x017F;&#x017F;en vertheilen la&#x017F;&#x017F;e;<lb/>
die Frage, die dabey gemacht wird, ob Zeit, Raum,<lb/>
Kra&#x0364;fte, Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e &#xA75B;c. Sub&#x017F;tanzen oder Accidenzen<lb/>
&#x017F;ind &#xA75B;c. &#x017F;cheinen aus einem Mangel von Begriffen<lb/>
und Wo&#x0364;rtern herzuru&#x0364;hren, durch die &#x017F;ich ent&#x017F;cheiden<lb/>
ließ, ob oder wie ferne die Eintheilung in Sub&#x017F;tan-<lb/>
zen und Accidenzen allgemein oder nur &#x017F;pecial &#x017F;ey,<lb/>
oder welches <hi rendition="#aq">Fundamentum diui&#x017F;ionis</hi> dabey eigent-<lb/>
lich zum Grunde liege? Denn &#x017F;o z. E. &#x017F;etzet ein Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltniß Sub&#x017F;tanzen und Accidenzen voraus, das<lb/>
Verha&#x0364;ltniß &#x017F;elb&#x017F;t aber i&#x017F;t de&#x017F;&#x017F;en unerachtet von bey-<lb/>
den ver&#x017F;chieden. Uebrigens wird uns die hier vorge-<lb/>
tragene Anmerkung im Folgenden dienen, den &#x017F;o ge-<lb/>
nannten <hi rendition="#aq">Terminum infinitum</hi> deutlicher zu erkla&#x0364;ren.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 248.</head><lb/>
            <p>Um nun wiederum zu dem Satze des Wider&#x017F;pru-<lb/>
ches und den beyden daraus gefolgerten Grund&#x017F;a&#x0364;tzen<lb/>
(§. 245. 246.) zuru&#x0364;cke zu kehren, merken wir an, daß<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">das</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0255] Das Seyn und das Nicht ſeyn. ſey oder nicht, unſchicklich und ungereimt, weil bey geometriſchen Figuren von Tugenden und Laſtern die Rede gar nicht vorkoͤmmt, und die Moralitaͤt ſchlecht- hin nur die Jntellectualwelt angeht. Wir fuͤhren dieſes hier um deſto mehr an, weil man in der Me- taphyſic gar zu leichte ein Ding uͤberhaupt in ſolche Arten eintheilet, in welche eigentlich nur eine gewiſſe Art von Dingen eingetheilet werden kann, oder auch, in welche ſich ein Ding uͤberhaupt, nur in einer ge- wiſſen Abſicht, eintheilen laͤßt. Und wenn dieſe Art, oder das ſo genannte Fundamentum diuiſionis, in der Sprache keinen Namen hat, ſo iſt es auch ſchwerer, es deutlich anzuzeigen und kenntlich zu machen. Die Schwierigkeit, die Subſtanzen und Accidenzen von einander ſo zu unterſcheiden, daß ſich alles Moͤgliche und Gedenkbare in dieſe zwo Claſſen vertheilen laſſe; die Frage, die dabey gemacht wird, ob Zeit, Raum, Kraͤfte, Verhaͤltniſſe ꝛc. Subſtanzen oder Accidenzen ſind ꝛc. ſcheinen aus einem Mangel von Begriffen und Woͤrtern herzuruͤhren, durch die ſich entſcheiden ließ, ob oder wie ferne die Eintheilung in Subſtan- zen und Accidenzen allgemein oder nur ſpecial ſey, oder welches Fundamentum diuiſionis dabey eigent- lich zum Grunde liege? Denn ſo z. E. ſetzet ein Ver- haͤltniß Subſtanzen und Accidenzen voraus, das Verhaͤltniß ſelbſt aber iſt deſſen unerachtet von bey- den verſchieden. Uebrigens wird uns die hier vorge- tragene Anmerkung im Folgenden dienen, den ſo ge- nannten Terminum infinitum deutlicher zu erklaͤren. §. 248. Um nun wiederum zu dem Satze des Widerſpru- ches und den beyden daraus gefolgerten Grundſaͤtzen (§. 245. 246.) zuruͤcke zu kehren, merken wir an, daß das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/255
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/255>, abgerufen am 22.11.2024.