Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

einer wissenschaftlichen Grundlehre.
den der menschlichen Erkenntniß die Rede ist, (§. 3.).
Und in dieser Absicht kann man sagen, daß Locke
die menschlichen Begriffe anatomirt, Leibnitz aber
dieselben analysirt habe. Leibnitz nämlich betrach-
tete sie nach den verschiedenen Stufen der Klarheit,
Deutlichkeit und Vollständigkeit, und zeigte, daß
sich diese nach der immer mehrern Entwickelung
der innern Merkmaale richte, ungefähr, wie man
eine Sache um desto deutlicher sieht, je kleinere Theile
man derselben unterscheiden kann. Bey dieser Vor-
stellungsart wird der Begriff mit der Sache, die
Merkmaale des Begriffes mit den Theilen der Sa-
che verglichen. Soll diese Vergleichung durchaus
angehen, so folget, daß ein Begriff in immer fei-
nere Merkmaale aufgelöset werden könne, und da
bleibt die Frage, wie weit man darinn gehen soll,
unentschieden, dafern man nicht annimmt, daß die
Sprache aus Mangel der Wörter, nothwendig Grän-
zen setze. Bey dieser Analyse nimmt man die Be-
griffe, wie man sie findet. Enthält demnach ein Be-
griff einen oder mehrere versteckte Widersprüche, so
können diese dadurch gefunden werden, wenn man
im Stande ist, die Analyse so weit fortzusetzen.
Sollte diese aber ins Unendliche fortgehen, so wird
der Anstand, ob nicht noch Widersprüche zu-
rücke bleiben,
dadurch nie ganz gehoben. Geht
sie aber nicht ins Unendliche fort, so kann man auf
Merkmaale kommen, die keine fernere und innere
Unterscheidungsstücke mehr haben, und die folglich
schlechthin einfach sind. Solche Merkmaale können
nun an sich schon keinen innern Widerspruch enthal-
ten. Denn da zum Widersprechen mehrere, oder
wenigstens zwey Stücke erfordert werden, so wären
solche Merkmaale nicht einfach. Dadurch würde

aber
A 3

einer wiſſenſchaftlichen Grundlehre.
den der menſchlichen Erkenntniß die Rede iſt, (§. 3.).
Und in dieſer Abſicht kann man ſagen, daß Locke
die menſchlichen Begriffe anatomirt, Leibnitz aber
dieſelben analyſirt habe. Leibnitz naͤmlich betrach-
tete ſie nach den verſchiedenen Stufen der Klarheit,
Deutlichkeit und Vollſtaͤndigkeit, und zeigte, daß
ſich dieſe nach der immer mehrern Entwickelung
der innern Merkmaale richte, ungefaͤhr, wie man
eine Sache um deſto deutlicher ſieht, je kleinere Theile
man derſelben unterſcheiden kann. Bey dieſer Vor-
ſtellungsart wird der Begriff mit der Sache, die
Merkmaale des Begriffes mit den Theilen der Sa-
che verglichen. Soll dieſe Vergleichung durchaus
angehen, ſo folget, daß ein Begriff in immer fei-
nere Merkmaale aufgeloͤſet werden koͤnne, und da
bleibt die Frage, wie weit man darinn gehen ſoll,
unentſchieden, dafern man nicht annimmt, daß die
Sprache aus Mangel der Woͤrter, nothwendig Graͤn-
zen ſetze. Bey dieſer Analyſe nimmt man die Be-
griffe, wie man ſie findet. Enthaͤlt demnach ein Be-
griff einen oder mehrere verſteckte Widerſpruͤche, ſo
koͤnnen dieſe dadurch gefunden werden, wenn man
im Stande iſt, die Analyſe ſo weit fortzuſetzen.
Sollte dieſe aber ins Unendliche fortgehen, ſo wird
der Anſtand, ob nicht noch Widerſpruͤche zu-
ruͤcke bleiben,
dadurch nie ganz gehoben. Geht
ſie aber nicht ins Unendliche fort, ſo kann man auf
Merkmaale kommen, die keine fernere und innere
Unterſcheidungsſtuͤcke mehr haben, und die folglich
ſchlechthin einfach ſind. Solche Merkmaale koͤnnen
nun an ſich ſchon keinen innern Widerſpruch enthal-
ten. Denn da zum Widerſprechen mehrere, oder
wenigſtens zwey Stuͤcke erfordert werden, ſo waͤren
ſolche Merkmaale nicht einfach. Dadurch wuͤrde

aber
A 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0041" n="5"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">einer wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Grundlehre.</hi></fw><lb/>
den der men&#x017F;chlichen Erkenntniß die Rede i&#x017F;t, (§. 3.).<lb/>
Und in die&#x017F;er Ab&#x017F;icht kann man &#x017F;agen, daß <hi rendition="#fr">Locke</hi><lb/>
die men&#x017F;chlichen Begriffe <hi rendition="#fr">anatomirt, Leibnitz</hi> aber<lb/>
die&#x017F;elben <hi rendition="#fr">analy&#x017F;irt</hi> habe. <hi rendition="#fr">Leibnitz</hi> na&#x0364;mlich betrach-<lb/>
tete &#x017F;ie nach den ver&#x017F;chiedenen Stufen der Klarheit,<lb/>
Deutlichkeit und Voll&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit, und zeigte, daß<lb/>
&#x017F;ich die&#x017F;e nach der immer mehrern <hi rendition="#fr">Entwickelung</hi><lb/>
der innern Merkmaale richte, ungefa&#x0364;hr, wie man<lb/>
eine Sache um de&#x017F;to deutlicher &#x017F;ieht, je kleinere Theile<lb/>
man der&#x017F;elben unter&#x017F;cheiden kann. Bey die&#x017F;er Vor-<lb/>
&#x017F;tellungsart wird der Begriff mit der Sache, die<lb/>
Merkmaale des Begriffes mit den Theilen der Sa-<lb/>
che verglichen. Soll die&#x017F;e Vergleichung durchaus<lb/>
angehen, &#x017F;o folget, daß ein Begriff in immer fei-<lb/>
nere Merkmaale <hi rendition="#fr">aufgelo&#x0364;&#x017F;et</hi> werden ko&#x0364;nne, und da<lb/>
bleibt die Frage, wie weit man darinn gehen &#x017F;oll,<lb/>
unent&#x017F;chieden, dafern man nicht annimmt, daß die<lb/>
Sprache aus Mangel der Wo&#x0364;rter, nothwendig Gra&#x0364;n-<lb/>
zen &#x017F;etze. Bey die&#x017F;er Analy&#x017F;e nimmt man die Be-<lb/>
griffe, wie man &#x017F;ie findet. Entha&#x0364;lt demnach ein Be-<lb/>
griff einen oder mehrere ver&#x017F;teckte Wider&#x017F;pru&#x0364;che, &#x017F;o<lb/>
ko&#x0364;nnen die&#x017F;e dadurch gefunden werden, wenn man<lb/>
im Stande i&#x017F;t, die Analy&#x017F;e &#x017F;o weit fortzu&#x017F;etzen.<lb/>
Sollte die&#x017F;e aber ins Unendliche fortgehen, &#x017F;o wird<lb/>
der An&#x017F;tand, <hi rendition="#fr">ob nicht noch Wider&#x017F;pru&#x0364;che zu-<lb/>
ru&#x0364;cke bleiben,</hi> dadurch <hi rendition="#fr">nie ganz</hi> gehoben. Geht<lb/>
&#x017F;ie aber nicht ins Unendliche fort, &#x017F;o kann man auf<lb/>
Merkmaale kommen, die keine fernere und <hi rendition="#fr">innere</hi><lb/>
Unter&#x017F;cheidungs&#x017F;tu&#x0364;cke mehr haben, und die folglich<lb/>
&#x017F;chlechthin <hi rendition="#fr">einfach</hi> &#x017F;ind. Solche Merkmaale ko&#x0364;nnen<lb/>
nun an &#x017F;ich &#x017F;chon keinen <hi rendition="#fr">innern</hi> Wider&#x017F;pruch enthal-<lb/>
ten. Denn da zum Wider&#x017F;prechen mehrere, oder<lb/>
wenig&#x017F;tens zwey Stu&#x0364;cke erfordert werden, &#x017F;o wa&#x0364;ren<lb/>
&#x017F;olche Merkmaale nicht einfach. Dadurch wu&#x0364;rde<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 3</fw><fw place="bottom" type="catch">aber</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0041] einer wiſſenſchaftlichen Grundlehre. den der menſchlichen Erkenntniß die Rede iſt, (§. 3.). Und in dieſer Abſicht kann man ſagen, daß Locke die menſchlichen Begriffe anatomirt, Leibnitz aber dieſelben analyſirt habe. Leibnitz naͤmlich betrach- tete ſie nach den verſchiedenen Stufen der Klarheit, Deutlichkeit und Vollſtaͤndigkeit, und zeigte, daß ſich dieſe nach der immer mehrern Entwickelung der innern Merkmaale richte, ungefaͤhr, wie man eine Sache um deſto deutlicher ſieht, je kleinere Theile man derſelben unterſcheiden kann. Bey dieſer Vor- ſtellungsart wird der Begriff mit der Sache, die Merkmaale des Begriffes mit den Theilen der Sa- che verglichen. Soll dieſe Vergleichung durchaus angehen, ſo folget, daß ein Begriff in immer fei- nere Merkmaale aufgeloͤſet werden koͤnne, und da bleibt die Frage, wie weit man darinn gehen ſoll, unentſchieden, dafern man nicht annimmt, daß die Sprache aus Mangel der Woͤrter, nothwendig Graͤn- zen ſetze. Bey dieſer Analyſe nimmt man die Be- griffe, wie man ſie findet. Enthaͤlt demnach ein Be- griff einen oder mehrere verſteckte Widerſpruͤche, ſo koͤnnen dieſe dadurch gefunden werden, wenn man im Stande iſt, die Analyſe ſo weit fortzuſetzen. Sollte dieſe aber ins Unendliche fortgehen, ſo wird der Anſtand, ob nicht noch Widerſpruͤche zu- ruͤcke bleiben, dadurch nie ganz gehoben. Geht ſie aber nicht ins Unendliche fort, ſo kann man auf Merkmaale kommen, die keine fernere und innere Unterſcheidungsſtuͤcke mehr haben, und die folglich ſchlechthin einfach ſind. Solche Merkmaale koͤnnen nun an ſich ſchon keinen innern Widerſpruch enthal- ten. Denn da zum Widerſprechen mehrere, oder wenigſtens zwey Stuͤcke erfordert werden, ſo waͤren ſolche Merkmaale nicht einfach. Dadurch wuͤrde aber A 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/41
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/41>, abgerufen am 21.11.2024.