Einmal merken wir an, daß die Gleichförmigkeit in der reinen Mathematic immer vorkömmt, und zwar deswegen, weil man darinn die Größen, ihre Verhältnisse und Formeln nach aller Schärfe betrach- tet, und jede Größe schlechthin nur so weit annimmt, als die Formel oder das Gesetz reichet, nach welcher sie größer oder kleiner wird. Denn so z. E. hängt man an eine Parabel keine Spirallinie an, weil dabey die Einförmigkeit des Gesetzes ihrer Krümmung ganz unterbrochen würde, und weil die Gleichungen für jede dieser Linien von ganz verschiedener Art sind. Wir haben daher bey der Betrachtung der Gleich- förmigkeit unser Augenmerk eigentlich auf die ange- wandte Mathesin zu richten, und da haben wir in Absicht auf die Dinge der Natur und Kunst verschie- dene Sätze, welche mit einander verglichen werden müssen. Der erste ist, daß die geometrische Schärfe und Genauigkeit in der Natur nirgends vorkomme, das will nun sagen, daß wo wir etwann gerade Linien, Winkel, einförmige Wendungen, runde Zahlen etc. suchen, die genauere Beobachtung uns unzählige klei- nere Abweichungen davon aufdecket. Der andere Satz aber ist, daß dessen unerachtet nichts durch ei- nen Sprung geschehe, und keine Continuität mit ei- nem Male und in allen Absichten betrachtet, abge- brochen werde, sondern, daß es immer auf eine tan- gentiale oder asymtotische Art geschehe. Da sich also solche Zu- und Abnahmen immer ins unendlich Kleine verlieren, und auch im Kleinern noch neue Anomalien zum Vorschein kommen, so entsteht dabey immer die Frage, wie man der Untersuchung von allen solchen Kleinigkeiten ausweichen könne, wo überhaupt nur vom Ganzen oder von größern Theilen die Rede ist,
und
XXIX. Hauptſtuͤck.
§. 837.
Einmal merken wir an, daß die Gleichfoͤrmigkeit in der reinen Mathematic immer vorkoͤmmt, und zwar deswegen, weil man darinn die Groͤßen, ihre Verhaͤltniſſe und Formeln nach aller Schaͤrfe betrach- tet, und jede Groͤße ſchlechthin nur ſo weit annimmt, als die Formel oder das Geſetz reichet, nach welcher ſie groͤßer oder kleiner wird. Denn ſo z. E. haͤngt man an eine Parabel keine Spirallinie an, weil dabey die Einfoͤrmigkeit des Geſetzes ihrer Kruͤmmung ganz unterbrochen wuͤrde, und weil die Gleichungen fuͤr jede dieſer Linien von ganz verſchiedener Art ſind. Wir haben daher bey der Betrachtung der Gleich- foͤrmigkeit unſer Augenmerk eigentlich auf die ange- wandte Matheſin zu richten, und da haben wir in Abſicht auf die Dinge der Natur und Kunſt verſchie- dene Saͤtze, welche mit einander verglichen werden muͤſſen. Der erſte iſt, daß die geometriſche Schaͤrfe und Genauigkeit in der Natur nirgends vorkomme, das will nun ſagen, daß wo wir etwann gerade Linien, Winkel, einfoͤrmige Wendungen, runde Zahlen ꝛc. ſuchen, die genauere Beobachtung uns unzaͤhlige klei- nere Abweichungen davon aufdecket. Der andere Satz aber iſt, daß deſſen unerachtet nichts durch ei- nen Sprung geſchehe, und keine Continuitaͤt mit ei- nem Male und in allen Abſichten betrachtet, abge- brochen werde, ſondern, daß es immer auf eine tan- gentiale oder aſymtotiſche Art geſchehe. Da ſich alſo ſolche Zu- und Abnahmen immer ins unendlich Kleine verlieren, und auch im Kleinern noch neue Anomalien zum Vorſchein kommen, ſo entſteht dabey immer die Frage, wie man der Unterſuchung von allen ſolchen Kleinigkeiten ausweichen koͤnne, wo uͤberhaupt nur vom Ganzen oder von groͤßern Theilen die Rede iſt,
und
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XXIX. Hauptſtuͤck.
§. 837.
Einmal merken wir an, daß die Gleichfoͤrmigkeit
in der reinen Mathematic immer vorkoͤmmt, und
zwar deswegen, weil man darinn die Groͤßen, ihre
Verhaͤltniſſe und Formeln nach aller Schaͤrfe betrach-
tet, und jede Groͤße ſchlechthin nur ſo weit annimmt,
als die Formel oder das Geſetz reichet, nach welcher ſie
groͤßer oder kleiner wird. Denn ſo z. E. haͤngt man an
eine Parabel keine Spirallinie an, weil dabey die
Einfoͤrmigkeit des Geſetzes ihrer Kruͤmmung ganz
unterbrochen wuͤrde, und weil die Gleichungen fuͤr
jede dieſer Linien von ganz verſchiedener Art ſind.
Wir haben daher bey der Betrachtung der Gleich-
foͤrmigkeit unſer Augenmerk eigentlich auf die ange-
wandte Matheſin zu richten, und da haben wir in
Abſicht auf die Dinge der Natur und Kunſt verſchie-
dene Saͤtze, welche mit einander verglichen werden
muͤſſen. Der erſte iſt, daß die geometriſche Schaͤrfe
und Genauigkeit in der Natur nirgends vorkomme,
das will nun ſagen, daß wo wir etwann gerade Linien,
Winkel, einfoͤrmige Wendungen, runde Zahlen ꝛc.
ſuchen, die genauere Beobachtung uns unzaͤhlige klei-
nere Abweichungen davon aufdecket. Der andere
Satz aber iſt, daß deſſen unerachtet nichts durch ei-
nen Sprung geſchehe, und keine Continuitaͤt mit ei-
nem Male und in allen Abſichten betrachtet, abge-
brochen werde, ſondern, daß es immer auf eine tan-
gentiale oder aſymtotiſche Art geſchehe. Da ſich alſo
ſolche Zu- und Abnahmen immer ins unendlich Kleine
verlieren, und auch im Kleinern noch neue Anomalien
zum Vorſchein kommen, ſo entſteht dabey immer die
Frage, wie man der Unterſuchung von allen ſolchen
Kleinigkeiten ausweichen koͤnne, wo uͤberhaupt nur
vom Ganzen oder von groͤßern Theilen die Rede iſt,
und
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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/472>, abgerufen am 22.11.2024.
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