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Lambert, Johann Heinrich: Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues. Augsburg, 1761.

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Cosmologische Briefe
der Allwissenheit GOttes erschöpfen? So wenig als
die Erde das ganze Weltgebäude ist. Wie schwer ist
es uns, ein denkendes Wesen, ein vernünftiges Ge-
schöpf uns vorzustellen, ohne ihme sogleich zwo Hände,
zween Füsse, einen Kopf und andere dem Menschen
ähnliche Glieder zu geben. Wenn wir weit gehen,
so legen wir noch etwan Flügel bey, weil wir fühlen,
daß uns die Kunst zu fliegen fehlt. Wir würden eben
so Floßfedern hinzu fügen, wenn das Schwimmen
dem Menschen unmöglich, und der Tod nicht eine Fol-
ge des Ersäufens wäre.

Indessen muß ich doch sagen, daß mir das Licht
viel zu allgemein durch die ganze Welt verbreitet
scheint, als daß es den Erdbewohnern alleine dienen
sollte. Ich will damit nicht sagen, daß eben alle Be-
wohner aller Welten Augen haben müssen, wie die
unsrige. Es können noch mehrere Wege seyn, wo-
durch die Bilder der sichtbaren Dinge sich der Seele
denkender Geschöpfe vorstellen, so sehr wir daran ge-
wöhnt sind, die Stralenbrechung und das Bild auf
dem Netzhäutgen als nothwendig anzusehen. Die
Natur des Lichtes, seine Wirkungen, die Gemeinschaft
zwischen der Seele und dem Leibe sind uns entweder
noch gar nicht, oder doch nur in so ferne bekannt, als
wir die Eindrücke, so das Licht auf uns macht, empfin-
den, und das übrige durch Schlüsse zu ersetzen suchen,
zu welchen wir doch keine andere Grundsätze haben, als
die wir durch unser Sehen erlangen. Uebrigens kann
es doch seyn, daß viele unter den Bewohnern anderer

Welt-

Coſmologiſche Briefe
der Allwiſſenheit GOttes erſchoͤpfen? So wenig als
die Erde das ganze Weltgebaͤude iſt. Wie ſchwer iſt
es uns, ein denkendes Weſen, ein vernuͤnftiges Ge-
ſchoͤpf uns vorzuſtellen, ohne ihme ſogleich zwo Haͤnde,
zween Fuͤſſe, einen Kopf und andere dem Menſchen
aͤhnliche Glieder zu geben. Wenn wir weit gehen,
ſo legen wir noch etwan Fluͤgel bey, weil wir fuͤhlen,
daß uns die Kunſt zu fliegen fehlt. Wir wuͤrden eben
ſo Floßfedern hinzu fuͤgen, wenn das Schwimmen
dem Menſchen unmoͤglich, und der Tod nicht eine Fol-
ge des Erſaͤufens waͤre.

Indeſſen muß ich doch ſagen, daß mir das Licht
viel zu allgemein durch die ganze Welt verbreitet
ſcheint, als daß es den Erdbewohnern alleine dienen
ſollte. Ich will damit nicht ſagen, daß eben alle Be-
wohner aller Welten Augen haben muͤſſen, wie die
unſrige. Es koͤnnen noch mehrere Wege ſeyn, wo-
durch die Bilder der ſichtbaren Dinge ſich der Seele
denkender Geſchoͤpfe vorſtellen, ſo ſehr wir daran ge-
woͤhnt ſind, die Stralenbrechung und das Bild auf
dem Netzhaͤutgen als nothwendig anzuſehen. Die
Natur des Lichtes, ſeine Wirkungen, die Gemeinſchaft
zwiſchen der Seele und dem Leibe ſind uns entweder
noch gar nicht, oder doch nur in ſo ferne bekannt, als
wir die Eindruͤcke, ſo das Licht auf uns macht, empfin-
den, und das uͤbrige durch Schluͤſſe zu erſetzen ſuchen,
zu welchen wir doch keine andere Grundſaͤtze haben, als
die wir durch unſer Sehen erlangen. Uebrigens kann
es doch ſeyn, daß viele unter den Bewohnern anderer

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[86/0119] Coſmologiſche Briefe der Allwiſſenheit GOttes erſchoͤpfen? So wenig als die Erde das ganze Weltgebaͤude iſt. Wie ſchwer iſt es uns, ein denkendes Weſen, ein vernuͤnftiges Ge- ſchoͤpf uns vorzuſtellen, ohne ihme ſogleich zwo Haͤnde, zween Fuͤſſe, einen Kopf und andere dem Menſchen aͤhnliche Glieder zu geben. Wenn wir weit gehen, ſo legen wir noch etwan Fluͤgel bey, weil wir fuͤhlen, daß uns die Kunſt zu fliegen fehlt. Wir wuͤrden eben ſo Floßfedern hinzu fuͤgen, wenn das Schwimmen dem Menſchen unmoͤglich, und der Tod nicht eine Fol- ge des Erſaͤufens waͤre. Indeſſen muß ich doch ſagen, daß mir das Licht viel zu allgemein durch die ganze Welt verbreitet ſcheint, als daß es den Erdbewohnern alleine dienen ſollte. Ich will damit nicht ſagen, daß eben alle Be- wohner aller Welten Augen haben muͤſſen, wie die unſrige. Es koͤnnen noch mehrere Wege ſeyn, wo- durch die Bilder der ſichtbaren Dinge ſich der Seele denkender Geſchoͤpfe vorſtellen, ſo ſehr wir daran ge- woͤhnt ſind, die Stralenbrechung und das Bild auf dem Netzhaͤutgen als nothwendig anzuſehen. Die Natur des Lichtes, ſeine Wirkungen, die Gemeinſchaft zwiſchen der Seele und dem Leibe ſind uns entweder noch gar nicht, oder doch nur in ſo ferne bekannt, als wir die Eindruͤcke, ſo das Licht auf uns macht, empfin- den, und das uͤbrige durch Schluͤſſe zu erſetzen ſuchen, zu welchen wir doch keine andere Grundſaͤtze haben, als die wir durch unſer Sehen erlangen. Uebrigens kann es doch ſeyn, daß viele unter den Bewohnern anderer Welt-

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues. Augsburg, 1761, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_einrichtung_1761/119>, abgerufen am 24.11.2024.