Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Hauptstück,
z. E. sind die Begriffe von den Farben bloße Vor-
stellungen, und die Redensart: die Farbe begreifen,
fällt ins Ungewöhnliche. Hingegen sagen wir, daß
wir eine Sache begreifen,
wenn wir uns dieselbe
haben erklären und angeben lassen, was, wie und
warum sie ist, oder wenn wir selbst durch Nachsinnen
darauf gekommen sind. Wenn man etwas begreifen
will, so wird mehr dazu erfordert, als der bloße Be-
griff derselben überhaupt betrachtet. Eine Sache
ist leichter oder schwerer zu begreifen,
je nach-
dem mehr oder minder Aufmerksamkeit und Anstren-
gung der Kräfte des Verstandes dazu erfordert wird.

§. 8.

Die ersten Wege, wodurch wir zu Begriffen ge-
langen, sind die Empfindungen, und die Aufmerk-
samkeit, die wir gebrauchen, alles, was uns die Sin-
ne an einer Sache empfinden machen, uns vorzustel-
len, oder dessen bewußt zu seyn. Reicht dieses Be-
wußtseyn so weit, daß wir die Sache jedesmal wie-
der erkennen können, so ist der Begriff klar, widri-
genfalls nur dunkel. So z. E. Cartesius vermu-
thete, daß, da so viele Bewegung und bewegende
Kräfte in der Welt sind, etwas allgemeines dabey
seyn müsse. Allein dieses etwas konnte er sich nicht
recht aufklären, weil er es wirklich in etwas irrigem
suchte. Eben so hatte Kepler nur noch einen dunkeln
Begriff von dem Mechanismus bey der Bewegung
der Planeten. Newton klärete ihn durch die Theorie
der Centralkräfte mehr auf. Dieses sind Fälle, wo
der Begriff vom Anfange dunkel ist, und erst noch
aufgekläret werden muß. Hingegen giebt es viele,
wobey der Begriff, der anfangs klar war, wiederum
dunkel wird, und dieses geschieht, so oft man sagen
muß, daß man sich die Sache nicht mehr recht
vorstellen könne.
Jm ersten Fall aber sagt man,

daß

I. Hauptſtuͤck,
z. E. ſind die Begriffe von den Farben bloße Vor-
ſtellungen, und die Redensart: die Farbe begreifen,
faͤllt ins Ungewoͤhnliche. Hingegen ſagen wir, daß
wir eine Sache begreifen,
wenn wir uns dieſelbe
haben erklaͤren und angeben laſſen, was, wie und
warum ſie iſt, oder wenn wir ſelbſt durch Nachſinnen
darauf gekommen ſind. Wenn man etwas begreifen
will, ſo wird mehr dazu erfordert, als der bloße Be-
griff derſelben uͤberhaupt betrachtet. Eine Sache
iſt leichter oder ſchwerer zu begreifen,
je nach-
dem mehr oder minder Aufmerkſamkeit und Anſtren-
gung der Kraͤfte des Verſtandes dazu erfordert wird.

§. 8.

Die erſten Wege, wodurch wir zu Begriffen ge-
langen, ſind die Empfindungen, und die Aufmerk-
ſamkeit, die wir gebrauchen, alles, was uns die Sin-
ne an einer Sache empfinden machen, uns vorzuſtel-
len, oder deſſen bewußt zu ſeyn. Reicht dieſes Be-
wußtſeyn ſo weit, daß wir die Sache jedesmal wie-
der erkennen koͤnnen, ſo iſt der Begriff klar, widri-
genfalls nur dunkel. So z. E. Carteſius vermu-
thete, daß, da ſo viele Bewegung und bewegende
Kraͤfte in der Welt ſind, etwas allgemeines dabey
ſeyn muͤſſe. Allein dieſes etwas konnte er ſich nicht
recht aufklaͤren, weil er es wirklich in etwas irrigem
ſuchte. Eben ſo hatte Kepler nur noch einen dunkeln
Begriff von dem Mechaniſmus bey der Bewegung
der Planeten. Newton klaͤrete ihn durch die Theorie
der Centralkraͤfte mehr auf. Dieſes ſind Faͤlle, wo
der Begriff vom Anfange dunkel iſt, und erſt noch
aufgeklaͤret werden muß. Hingegen giebt es viele,
wobey der Begriff, der anfangs klar war, wiederum
dunkel wird, und dieſes geſchieht, ſo oft man ſagen
muß, daß man ſich die Sache nicht mehr recht
vorſtellen koͤnne.
Jm erſten Fall aber ſagt man,

daß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0028" n="6"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck,</hi></fw><lb/>
z. E. &#x017F;ind die Begriffe von den Farben bloße Vor-<lb/>
&#x017F;tellungen, und die Redensart: <hi rendition="#fr">die Farbe begreifen,</hi><lb/>
fa&#x0364;llt ins Ungewo&#x0364;hnliche. Hingegen &#x017F;agen wir, <hi rendition="#fr">daß<lb/>
wir eine Sache begreifen,</hi> wenn wir uns die&#x017F;elbe<lb/>
haben erkla&#x0364;ren und angeben la&#x017F;&#x017F;en, was, wie und<lb/>
warum &#x017F;ie i&#x017F;t, oder wenn wir &#x017F;elb&#x017F;t durch Nach&#x017F;innen<lb/>
darauf gekommen &#x017F;ind. Wenn man etwas begreifen<lb/>
will, &#x017F;o wird mehr dazu erfordert, als der bloße Be-<lb/>
griff der&#x017F;elben u&#x0364;berhaupt betrachtet. <hi rendition="#fr">Eine Sache<lb/>
i&#x017F;t leichter oder &#x017F;chwerer zu begreifen,</hi> je nach-<lb/>
dem mehr oder minder Aufmerk&#x017F;amkeit und An&#x017F;tren-<lb/>
gung der Kra&#x0364;fte des Ver&#x017F;tandes dazu erfordert wird.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 8.</head><lb/>
            <p>Die er&#x017F;ten Wege, wodurch wir zu Begriffen ge-<lb/>
langen, &#x017F;ind die <hi rendition="#fr">Empfindungen,</hi> und die Aufmerk-<lb/>
&#x017F;amkeit, die wir gebrauchen, alles, was uns die Sin-<lb/>
ne an einer Sache empfinden machen, uns vorzu&#x017F;tel-<lb/>
len, oder de&#x017F;&#x017F;en bewußt zu &#x017F;eyn. Reicht die&#x017F;es Be-<lb/>
wußt&#x017F;eyn &#x017F;o weit, daß wir die Sache jedesmal wie-<lb/>
der erkennen ko&#x0364;nnen, &#x017F;o i&#x017F;t der Begriff klar, widri-<lb/>
genfalls nur <hi rendition="#fr">dunkel.</hi> So z. E. <hi rendition="#fr">Carte&#x017F;ius</hi> vermu-<lb/>
thete, daß, da &#x017F;o viele Bewegung und bewegende<lb/>
Kra&#x0364;fte in der Welt &#x017F;ind, <hi rendition="#fr">etwas</hi> allgemeines dabey<lb/>
&#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Allein die&#x017F;es <hi rendition="#fr">etwas</hi> konnte er &#x017F;ich nicht<lb/>
recht <hi rendition="#fr">aufkla&#x0364;ren,</hi> weil er es wirklich in etwas irrigem<lb/>
&#x017F;uchte. Eben &#x017F;o hatte <hi rendition="#fr">Kepler</hi> nur noch einen dunkeln<lb/>
Begriff von dem Mechani&#x017F;mus bey der Bewegung<lb/>
der Planeten. <hi rendition="#fr">Newton</hi> kla&#x0364;rete ihn durch die Theorie<lb/>
der Centralkra&#x0364;fte mehr auf. Die&#x017F;es &#x017F;ind Fa&#x0364;lle, wo<lb/>
der Begriff vom Anfange dunkel i&#x017F;t, und er&#x017F;t noch<lb/>
aufgekla&#x0364;ret werden muß. Hingegen giebt es viele,<lb/>
wobey der Begriff, der anfangs klar war, wiederum<lb/>
dunkel wird, und die&#x017F;es ge&#x017F;chieht, &#x017F;o oft man &#x017F;agen<lb/>
muß, <hi rendition="#fr">daß man &#x017F;ich die Sache nicht mehr recht<lb/>
vor&#x017F;tellen ko&#x0364;nne.</hi> Jm er&#x017F;ten Fall aber &#x017F;agt man,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">daß</hi></fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0028] I. Hauptſtuͤck, z. E. ſind die Begriffe von den Farben bloße Vor- ſtellungen, und die Redensart: die Farbe begreifen, faͤllt ins Ungewoͤhnliche. Hingegen ſagen wir, daß wir eine Sache begreifen, wenn wir uns dieſelbe haben erklaͤren und angeben laſſen, was, wie und warum ſie iſt, oder wenn wir ſelbſt durch Nachſinnen darauf gekommen ſind. Wenn man etwas begreifen will, ſo wird mehr dazu erfordert, als der bloße Be- griff derſelben uͤberhaupt betrachtet. Eine Sache iſt leichter oder ſchwerer zu begreifen, je nach- dem mehr oder minder Aufmerkſamkeit und Anſtren- gung der Kraͤfte des Verſtandes dazu erfordert wird. §. 8. Die erſten Wege, wodurch wir zu Begriffen ge- langen, ſind die Empfindungen, und die Aufmerk- ſamkeit, die wir gebrauchen, alles, was uns die Sin- ne an einer Sache empfinden machen, uns vorzuſtel- len, oder deſſen bewußt zu ſeyn. Reicht dieſes Be- wußtſeyn ſo weit, daß wir die Sache jedesmal wie- der erkennen koͤnnen, ſo iſt der Begriff klar, widri- genfalls nur dunkel. So z. E. Carteſius vermu- thete, daß, da ſo viele Bewegung und bewegende Kraͤfte in der Welt ſind, etwas allgemeines dabey ſeyn muͤſſe. Allein dieſes etwas konnte er ſich nicht recht aufklaͤren, weil er es wirklich in etwas irrigem ſuchte. Eben ſo hatte Kepler nur noch einen dunkeln Begriff von dem Mechaniſmus bey der Bewegung der Planeten. Newton klaͤrete ihn durch die Theorie der Centralkraͤfte mehr auf. Dieſes ſind Faͤlle, wo der Begriff vom Anfange dunkel iſt, und erſt noch aufgeklaͤret werden muß. Hingegen giebt es viele, wobey der Begriff, der anfangs klar war, wiederum dunkel wird, und dieſes geſchieht, ſo oft man ſagen muß, daß man ſich die Sache nicht mehr recht vorſtellen koͤnne. Jm erſten Fall aber ſagt man, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/28
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/28>, abgerufen am 21.11.2024.