Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

des Wahren und Jrrigen.
als aber dienende Mittelglieder zu einem wahren
Schlußsatze findet, so erhellet auch daraus zugleich,
daß in dem ganzen Cahos von Jrrthümern unzählige-
mal mehr Widersprüche und Dissonanzen als Har-
monien sind, weil jeder wahre Satz, der folglich einen
irrigen umstößt, auf unzählig vielerley Arten aus zwey
irrigen Sätzen kann hergeleitet werden.

§. 201.

Es erhellet demnach hieraus, daß das Cahos
von Jrrthümern nicht erst mit dem System
der Wahrheiten darf verglichen werden, da-
mit man es umstoßen könne, sondern, daß
es sich selbst schon durch seine eigene Wider-
sprüche umstoße.
Denn ungeachtet wir in dem vor-
hergehenden Beweise wahre Schlußsätze angenom-
men haben, so sieht man doch leicht, daß dieses nur
geschehen ist, um die falschen Vordersätze, aus denen
sie können gezogen werden, desto leichter zu bestimmen,
und zu zeigen, daß es immer solche giebt. Da es
aber für sich möglich ist, solche falsche Vordersätze
zu nehmen, so ist es auch für sich möglich, den an sich
wahren Schlußsatz A daraus zu ziehen. Nun aber
ist der falsche Satz: nicht--A, in dem Cahos der
Jrrthümer schon inbegriffen, weil er falsch ist. Dem-
nach findet der irrende in der Vergleichung desselben
mit dem gezogenen Schlußsatze einen Widerspruch,
ohne daraus noch schließen zu können, welcher oder
wie viele von solchen Sätzen müssen verworfen oder
geändert werden. Man sehe auch Dianoiol. §. 379.

§. 202.

Rein Jrrthum ist ganz zu verwerfen. Denn
da kein Jrrthum ohne eingemengtes wahres ist,
(§ 194.) so ist klar, daß, wenn man denselben ganz
verwerfen wollte, man zugleich auch das mit einge-
mengte wahre verwerfen würde. Nun kann man

aller-

des Wahren und Jrrigen.
als aber dienende Mittelglieder zu einem wahren
Schlußſatze findet, ſo erhellet auch daraus zugleich,
daß in dem ganzen Cahos von Jrrthuͤmern unzaͤhlige-
mal mehr Widerſpruͤche und Diſſonanzen als Har-
monien ſind, weil jeder wahre Satz, der folglich einen
irrigen umſtoͤßt, auf unzaͤhlig vielerley Arten aus zwey
irrigen Saͤtzen kann hergeleitet werden.

§. 201.

Es erhellet demnach hieraus, daß das Cahos
von Jrrthuͤmern nicht erſt mit dem Syſtem
der Wahrheiten darf verglichen werden, da-
mit man es umſtoßen koͤnne, ſondern, daß
es ſich ſelbſt ſchon durch ſeine eigene Wider-
ſpruͤche umſtoße.
Denn ungeachtet wir in dem vor-
hergehenden Beweiſe wahre Schlußſaͤtze angenom-
men haben, ſo ſieht man doch leicht, daß dieſes nur
geſchehen iſt, um die falſchen Vorderſaͤtze, aus denen
ſie koͤnnen gezogen werden, deſto leichter zu beſtimmen,
und zu zeigen, daß es immer ſolche giebt. Da es
aber fuͤr ſich moͤglich iſt, ſolche falſche Vorderſaͤtze
zu nehmen, ſo iſt es auch fuͤr ſich moͤglich, den an ſich
wahren Schlußſatz A daraus zu ziehen. Nun aber
iſt der falſche Satz: nichtA, in dem Cahos der
Jrrthuͤmer ſchon inbegriffen, weil er falſch iſt. Dem-
nach findet der irrende in der Vergleichung deſſelben
mit dem gezogenen Schlußſatze einen Widerſpruch,
ohne daraus noch ſchließen zu koͤnnen, welcher oder
wie viele von ſolchen Saͤtzen muͤſſen verworfen oder
geaͤndert werden. Man ſehe auch Dianoiol. §. 379.

§. 202.

Rein Jrrthum iſt ganz zu verwerfen. Denn
da kein Jrrthum ohne eingemengtes wahres iſt,
(§ 194.) ſo iſt klar, daß, wenn man denſelben ganz
verwerfen wollte, man zugleich auch das mit einge-
mengte wahre verwerfen wuͤrde. Nun kann man

aller-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0579" n="557"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des Wahren und Jrrigen.</hi></fw><lb/>
als aber dienende Mittelglieder zu einem wahren<lb/>
Schluß&#x017F;atze findet, &#x017F;o erhellet auch daraus zugleich,<lb/>
daß in dem ganzen Cahos von Jrrthu&#x0364;mern unza&#x0364;hlige-<lb/>
mal mehr Wider&#x017F;pru&#x0364;che und Di&#x017F;&#x017F;onanzen als Har-<lb/>
monien &#x017F;ind, weil jeder wahre Satz, der folglich einen<lb/>
irrigen um&#x017F;to&#x0364;ßt, auf unza&#x0364;hlig vielerley Arten aus zwey<lb/>
irrigen Sa&#x0364;tzen kann hergeleitet werden.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 201.</head><lb/>
            <p>Es erhellet demnach hieraus, <hi rendition="#fr">daß das Cahos<lb/>
von Jrrthu&#x0364;mern nicht er&#x017F;t mit dem Sy&#x017F;tem<lb/>
der Wahrheiten darf verglichen werden, da-<lb/>
mit man es um&#x017F;toßen ko&#x0364;nne, &#x017F;ondern, daß<lb/>
es &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon durch &#x017F;eine eigene Wider-<lb/>
&#x017F;pru&#x0364;che um&#x017F;toße.</hi> Denn ungeachtet wir in dem vor-<lb/>
hergehenden Bewei&#x017F;e wahre Schluß&#x017F;a&#x0364;tze angenom-<lb/>
men haben, &#x017F;o &#x017F;ieht man doch leicht, daß die&#x017F;es nur<lb/>
ge&#x017F;chehen i&#x017F;t, um die fal&#x017F;chen Vorder&#x017F;a&#x0364;tze, aus denen<lb/>
&#x017F;ie ko&#x0364;nnen gezogen werden, de&#x017F;to leichter zu be&#x017F;timmen,<lb/>
und zu zeigen, daß es immer &#x017F;olche giebt. Da es<lb/>
aber fu&#x0364;r &#x017F;ich mo&#x0364;glich i&#x017F;t, &#x017F;olche fal&#x017F;che Vorder&#x017F;a&#x0364;tze<lb/>
zu nehmen, &#x017F;o i&#x017F;t es auch fu&#x0364;r &#x017F;ich mo&#x0364;glich, den an &#x017F;ich<lb/>
wahren Schluß&#x017F;atz <hi rendition="#aq">A</hi> daraus zu ziehen. Nun aber<lb/>
i&#x017F;t der fal&#x017F;che Satz: <hi rendition="#fr">nicht</hi>&#x2014;<hi rendition="#aq">A,</hi> in dem Cahos der<lb/>
Jrrthu&#x0364;mer &#x017F;chon inbegriffen, weil er fal&#x017F;ch i&#x017F;t. Dem-<lb/>
nach findet der irrende in der Vergleichung de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
mit dem gezogenen Schluß&#x017F;atze einen Wider&#x017F;pruch,<lb/>
ohne daraus noch &#x017F;chließen zu ko&#x0364;nnen, welcher oder<lb/>
wie viele von &#x017F;olchen Sa&#x0364;tzen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en verworfen oder<lb/>
gea&#x0364;ndert werden. Man &#x017F;ehe auch Dianoiol. §. 379.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 202.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Rein Jrrthum i&#x017F;t ganz zu verwerfen.</hi> Denn<lb/>
da kein Jrrthum ohne eingemengtes wahres i&#x017F;t,<lb/>
(§ 194.) &#x017F;o i&#x017F;t klar, daß, wenn man den&#x017F;elben ganz<lb/>
verwerfen wollte, man zugleich auch das mit einge-<lb/>
mengte wahre verwerfen wu&#x0364;rde. Nun kann man<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">aller-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[557/0579] des Wahren und Jrrigen. als aber dienende Mittelglieder zu einem wahren Schlußſatze findet, ſo erhellet auch daraus zugleich, daß in dem ganzen Cahos von Jrrthuͤmern unzaͤhlige- mal mehr Widerſpruͤche und Diſſonanzen als Har- monien ſind, weil jeder wahre Satz, der folglich einen irrigen umſtoͤßt, auf unzaͤhlig vielerley Arten aus zwey irrigen Saͤtzen kann hergeleitet werden. §. 201. Es erhellet demnach hieraus, daß das Cahos von Jrrthuͤmern nicht erſt mit dem Syſtem der Wahrheiten darf verglichen werden, da- mit man es umſtoßen koͤnne, ſondern, daß es ſich ſelbſt ſchon durch ſeine eigene Wider- ſpruͤche umſtoße. Denn ungeachtet wir in dem vor- hergehenden Beweiſe wahre Schlußſaͤtze angenom- men haben, ſo ſieht man doch leicht, daß dieſes nur geſchehen iſt, um die falſchen Vorderſaͤtze, aus denen ſie koͤnnen gezogen werden, deſto leichter zu beſtimmen, und zu zeigen, daß es immer ſolche giebt. Da es aber fuͤr ſich moͤglich iſt, ſolche falſche Vorderſaͤtze zu nehmen, ſo iſt es auch fuͤr ſich moͤglich, den an ſich wahren Schlußſatz A daraus zu ziehen. Nun aber iſt der falſche Satz: nicht—A, in dem Cahos der Jrrthuͤmer ſchon inbegriffen, weil er falſch iſt. Dem- nach findet der irrende in der Vergleichung deſſelben mit dem gezogenen Schlußſatze einen Widerſpruch, ohne daraus noch ſchließen zu koͤnnen, welcher oder wie viele von ſolchen Saͤtzen muͤſſen verworfen oder geaͤndert werden. Man ſehe auch Dianoiol. §. 379. §. 202. Rein Jrrthum iſt ganz zu verwerfen. Denn da kein Jrrthum ohne eingemengtes wahres iſt, (§ 194.) ſo iſt klar, daß, wenn man denſelben ganz verwerfen wollte, man zugleich auch das mit einge- mengte wahre verwerfen wuͤrde. Nun kann man aller-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/579
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/579>, abgerufen am 22.11.2024.