allerdings die Liebe zur Wahrheit unter die Postulata setzen. Demnach ist der Satz erwiesen. Würde man aber nicht nur den Jrrthum ganz verwerfen, sondern für das damit zugleich verworfene Wahre dessen Ge- gentheil annehmen, so würde man nur irriges mit irrigem vertauschen, und damit wäre der Richtigkeit der Erkenntniß wenig geholfen.
§. 203.
Da das Wahre, welches in dem Jrrthum mit eingemengt ist, theils nothwendig in den einfachen Begriffen liegt, theils auch mehr oder minder in ihrer Zusammensetzung seyn kann, (§. 193.) so erhellet hieraus, wo man es aufzusuchen habe. Wird näm- lich eine irrige Vorstellung in die einfachen Begriffe aufgelöst, so haben diese ihre Wahrheit und Richtigkeit für sich. (§. 191.) Und da die Postulata allgemeine Möglichkeiten angeben müssen, (§. 692 seqq. Dia- noiol.) so ist klar, daß so bald man solche hat, die Möglichkeit der Zusammensetzung der einfachen Be- griffe in der irrigen Vorstellung dadurch könne ge- prüft werden.
§. 204.
Da ferner in jedem Jrrthum das Wahre so weit reicht, als der Jrrthum gedenkbar ist, (§. 193.) so ist klar, daß, wenn in einer Vorstellung nichts irriges vorkömmt, dieselbe sich durchaus geden- ken lasse. Diese complete Gedenkbarkeit macht demnach eine absolute Einheit aus, und sie hat statt, so oft eine Vorstellung durchaus wahr und richtig ist.
§. 205.
Hingegen in jeder irrigen Vorstellung geht dieser Einheit etwas ab. Denn in jeder irrigen Vorstellung ist etwas, das sich nicht gedenken läßt. Da sie sich nun durchaus sollte gedenken lassen, so ist
klar,
IV. Hauptſtuͤck, von dem Unterſchiede
allerdings die Liebe zur Wahrheit unter die Poſtulata ſetzen. Demnach iſt der Satz erwieſen. Wuͤrde man aber nicht nur den Jrrthum ganz verwerfen, ſondern fuͤr das damit zugleich verworfene Wahre deſſen Ge- gentheil annehmen, ſo wuͤrde man nur irriges mit irrigem vertauſchen, und damit waͤre der Richtigkeit der Erkenntniß wenig geholfen.
§. 203.
Da das Wahre, welches in dem Jrrthum mit eingemengt iſt, theils nothwendig in den einfachen Begriffen liegt, theils auch mehr oder minder in ihrer Zuſammenſetzung ſeyn kann, (§. 193.) ſo erhellet hieraus, wo man es aufzuſuchen habe. Wird naͤm- lich eine irrige Vorſtellung in die einfachen Begriffe aufgeloͤſt, ſo haben dieſe ihre Wahrheit und Richtigkeit fuͤr ſich. (§. 191.) Und da die Poſtulata allgemeine Moͤglichkeiten angeben muͤſſen, (§. 692 ſeqq. Dia- noiol.) ſo iſt klar, daß ſo bald man ſolche hat, die Moͤglichkeit der Zuſammenſetzung der einfachen Be- griffe in der irrigen Vorſtellung dadurch koͤnne ge- pruͤft werden.
§. 204.
Da ferner in jedem Jrrthum das Wahre ſo weit reicht, als der Jrrthum gedenkbar iſt, (§. 193.) ſo iſt klar, daß, wenn in einer Vorſtellung nichts irriges vorkoͤmmt, dieſelbe ſich durchaus geden- ken laſſe. Dieſe complete Gedenkbarkeit macht demnach eine abſolute Einheit aus, und ſie hat ſtatt, ſo oft eine Vorſtellung durchaus wahr und richtig iſt.
§. 205.
Hingegen in jeder irrigen Vorſtellung geht dieſer Einheit etwas ab. Denn in jeder irrigen Vorſtellung iſt etwas, das ſich nicht gedenken laͤßt. Da ſie ſich nun durchaus ſollte gedenken laſſen, ſo iſt
klar,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0580"n="558"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">IV.</hi> Hauptſtuͤck, von dem Unterſchiede</hi></fw><lb/>
allerdings die Liebe zur Wahrheit unter die <hirendition="#aq">Poſtulata</hi><lb/>ſetzen. Demnach iſt der Satz erwieſen. Wuͤrde man<lb/>
aber nicht nur den Jrrthum ganz verwerfen, ſondern<lb/>
fuͤr das damit zugleich verworfene Wahre deſſen Ge-<lb/>
gentheil annehmen, ſo wuͤrde man nur irriges mit<lb/>
irrigem vertauſchen, und damit waͤre der Richtigkeit<lb/>
der Erkenntniß wenig geholfen.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 203.</head><lb/><p>Da das Wahre, welches in dem Jrrthum mit<lb/>
eingemengt iſt, theils nothwendig in den einfachen<lb/>
Begriffen liegt, theils auch mehr oder minder in ihrer<lb/>
Zuſammenſetzung ſeyn kann, (§. 193.) ſo erhellet<lb/>
hieraus, wo man es aufzuſuchen habe. Wird naͤm-<lb/>
lich eine irrige Vorſtellung in die einfachen Begriffe<lb/>
aufgeloͤſt, ſo haben dieſe ihre Wahrheit und Richtigkeit<lb/>
fuͤr ſich. (§. 191.) Und da die <hirendition="#aq">Poſtulata</hi> allgemeine<lb/>
Moͤglichkeiten angeben muͤſſen, (§. 692 ſeqq. Dia-<lb/>
noiol.) ſo iſt klar, daß ſo bald man ſolche hat, die<lb/>
Moͤglichkeit der Zuſammenſetzung der einfachen Be-<lb/>
griffe in der irrigen Vorſtellung dadurch koͤnne ge-<lb/>
pruͤft werden.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 204.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Da ferner in jedem Jrrthum das Wahre<lb/>ſo weit reicht, als der Jrrthum gedenkbar iſt,</hi><lb/>
(§. 193.) ſo iſt klar, daß, wenn in einer Vorſtellung<lb/>
nichts irriges vorkoͤmmt, dieſelbe ſich durchaus geden-<lb/>
ken laſſe. <hirendition="#fr">Dieſe complete Gedenkbarkeit macht<lb/>
demnach eine abſolute Einheit aus, und ſie hat<lb/>ſtatt, ſo oft eine Vorſtellung durchaus wahr<lb/>
und richtig iſt.</hi></p></div><lb/><divn="3"><head>§. 205.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Hingegen in jeder irrigen Vorſtellung geht<lb/>
dieſer Einheit etwas ab.</hi> Denn in jeder irrigen<lb/>
Vorſtellung iſt etwas, das ſich nicht gedenken laͤßt.<lb/>
Da ſie ſich nun durchaus ſollte gedenken laſſen, ſo iſt<lb/><fwplace="bottom"type="catch">klar,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[558/0580]
IV. Hauptſtuͤck, von dem Unterſchiede
allerdings die Liebe zur Wahrheit unter die Poſtulata
ſetzen. Demnach iſt der Satz erwieſen. Wuͤrde man
aber nicht nur den Jrrthum ganz verwerfen, ſondern
fuͤr das damit zugleich verworfene Wahre deſſen Ge-
gentheil annehmen, ſo wuͤrde man nur irriges mit
irrigem vertauſchen, und damit waͤre der Richtigkeit
der Erkenntniß wenig geholfen.
§. 203.
Da das Wahre, welches in dem Jrrthum mit
eingemengt iſt, theils nothwendig in den einfachen
Begriffen liegt, theils auch mehr oder minder in ihrer
Zuſammenſetzung ſeyn kann, (§. 193.) ſo erhellet
hieraus, wo man es aufzuſuchen habe. Wird naͤm-
lich eine irrige Vorſtellung in die einfachen Begriffe
aufgeloͤſt, ſo haben dieſe ihre Wahrheit und Richtigkeit
fuͤr ſich. (§. 191.) Und da die Poſtulata allgemeine
Moͤglichkeiten angeben muͤſſen, (§. 692 ſeqq. Dia-
noiol.) ſo iſt klar, daß ſo bald man ſolche hat, die
Moͤglichkeit der Zuſammenſetzung der einfachen Be-
griffe in der irrigen Vorſtellung dadurch koͤnne ge-
pruͤft werden.
§. 204.
Da ferner in jedem Jrrthum das Wahre
ſo weit reicht, als der Jrrthum gedenkbar iſt,
(§. 193.) ſo iſt klar, daß, wenn in einer Vorſtellung
nichts irriges vorkoͤmmt, dieſelbe ſich durchaus geden-
ken laſſe. Dieſe complete Gedenkbarkeit macht
demnach eine abſolute Einheit aus, und ſie hat
ſtatt, ſo oft eine Vorſtellung durchaus wahr
und richtig iſt.
§. 205.
Hingegen in jeder irrigen Vorſtellung geht
dieſer Einheit etwas ab. Denn in jeder irrigen
Vorſtellung iſt etwas, das ſich nicht gedenken laͤßt.
Da ſie ſich nun durchaus ſollte gedenken laſſen, ſo iſt
klar,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 558. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/580>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.