Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

des Wahren und Jrrigen.
nicht B, und A nicht C seyn: der vorgegebene So-
phist aber wird beydes bejahen. Läßt man ihm dem-
nach den Schluß machen:

C ist B
A ist C,
folglich: A ist B,

so stößt der Schlußsatz sein ersteres Behaupten, daß
A nicht B sey, um. Demnach widerlegt er sich selb-
sten.

§. 263.

Dieser Beweis, den wir nicht durch mehrere
Schlüsse durchgeführt haben, um ihn am einfachsten
vorzutragen, zeigt ungefehr an, wie Socrates mit
den Sophisten seiner Zeit verfahren. Es ist dabey
nicht immer nöthig, lauter falsche Prämissen anzu-
nehmen. Genug, wenn sie der Gegner entweder
selbst schon behauptet oder zugiebt, und wenn der
Schlußsatz, der daraus folgt, sein erstes Vorgeben
umstößt. Socrates führte seine Gegner oder die
er widerlegen wollte, mehrentheils durch Jnductio-
nen aus Beyspielen so weit, daß sie ihm die Vorder-
sätze einräumten.

§. 264.

Wer alles läugnet oder in Zweifel zieht,
dem muß man nicht beweisen, sondern seine
Sätze und Beweise anhören, weil es nothwen-
dig möglich ist, Widersprüche dabey heraus
zu bringen.
(§. 201.) Denn was man immer be-
weisen wollte, dürfte er nur die Gründe läugnen, und
dadurch würde alles, was aus denselben geschlossen
werden kann, dahin gestellt bleiben. (§. 260.) Dem-
nach würde man mit allen Beweisen nichts ausrich-
ten. Hört man hingegen seine Sätze oder Beweise
an, so ist es immer möglich, ihn dahin zu bringen,
daß er sich selbst widerlegt. (§. 262. 263.) Uebrigens

ist

des Wahren und Jrrigen.
nicht B, und A nicht C ſeyn: der vorgegebene So-
phiſt aber wird beydes bejahen. Laͤßt man ihm dem-
nach den Schluß machen:

C iſt B
A iſt C,
folglich: A iſt B,

ſo ſtoͤßt der Schlußſatz ſein erſteres Behaupten, daß
A nicht B ſey, um. Demnach widerlegt er ſich ſelb-
ſten.

§. 263.

Dieſer Beweis, den wir nicht durch mehrere
Schluͤſſe durchgefuͤhrt haben, um ihn am einfachſten
vorzutragen, zeigt ungefehr an, wie Socrates mit
den Sophiſten ſeiner Zeit verfahren. Es iſt dabey
nicht immer noͤthig, lauter falſche Praͤmiſſen anzu-
nehmen. Genug, wenn ſie der Gegner entweder
ſelbſt ſchon behauptet oder zugiebt, und wenn der
Schlußſatz, der daraus folgt, ſein erſtes Vorgeben
umſtoͤßt. Socrates fuͤhrte ſeine Gegner oder die
er widerlegen wollte, mehrentheils durch Jnductio-
nen aus Beyſpielen ſo weit, daß ſie ihm die Vorder-
ſaͤtze einraͤumten.

§. 264.

Wer alles laͤugnet oder in Zweifel zieht,
dem muß man nicht beweiſen, ſondern ſeine
Saͤtze und Beweiſe anhoͤren, weil es nothwen-
dig moͤglich iſt, Widerſpruͤche dabey heraus
zu bringen.
(§. 201.) Denn was man immer be-
weiſen wollte, duͤrfte er nur die Gruͤnde laͤugnen, und
dadurch wuͤrde alles, was aus denſelben geſchloſſen
werden kann, dahin geſtellt bleiben. (§. 260.) Dem-
nach wuͤrde man mit allen Beweiſen nichts ausrich-
ten. Hoͤrt man hingegen ſeine Saͤtze oder Beweiſe
an, ſo iſt es immer moͤglich, ihn dahin zu bringen,
daß er ſich ſelbſt widerlegt. (§. 262. 263.) Uebrigens

iſt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0609" n="587"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des Wahren und Jrrigen.</hi></fw><lb/>
nicht <hi rendition="#aq">B,</hi> und <hi rendition="#aq">A</hi> nicht <hi rendition="#aq">C</hi> &#x017F;eyn: der vorgegebene So-<lb/>
phi&#x017F;t aber wird beydes bejahen. La&#x0364;ßt man ihm dem-<lb/>
nach den Schluß machen:</p><lb/>
            <list>
              <item><hi rendition="#aq">C</hi> i&#x017F;t <hi rendition="#aq">B</hi></item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">A</hi> i&#x017F;t <hi rendition="#aq">C,</hi></item><lb/>
              <item>folglich: <hi rendition="#aq">A</hi> i&#x017F;t <hi rendition="#aq">B,</hi></item>
            </list><lb/>
            <p>&#x017F;o &#x017F;to&#x0364;ßt der Schluß&#x017F;atz &#x017F;ein er&#x017F;teres Behaupten, daß<lb/><hi rendition="#aq">A</hi> nicht <hi rendition="#aq">B</hi> &#x017F;ey, um. Demnach widerlegt er &#x017F;ich &#x017F;elb-<lb/>
&#x017F;ten.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 263.</head><lb/>
            <p>Die&#x017F;er Beweis, den wir nicht durch mehrere<lb/>
Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e durchgefu&#x0364;hrt haben, um ihn am einfach&#x017F;ten<lb/>
vorzutragen, zeigt ungefehr an, wie <hi rendition="#fr">Socrates</hi> mit<lb/>
den Sophi&#x017F;ten &#x017F;einer Zeit verfahren. Es i&#x017F;t dabey<lb/>
nicht immer no&#x0364;thig, lauter fal&#x017F;che Pra&#x0364;mi&#x017F;&#x017F;en anzu-<lb/>
nehmen. Genug, wenn &#x017F;ie der Gegner entweder<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon behauptet oder zugiebt, und wenn der<lb/>
Schluß&#x017F;atz, der daraus folgt, &#x017F;ein er&#x017F;tes Vorgeben<lb/>
um&#x017F;to&#x0364;ßt. <hi rendition="#fr">Socrates</hi> fu&#x0364;hrte &#x017F;eine Gegner oder die<lb/>
er widerlegen wollte, mehrentheils durch Jnductio-<lb/>
nen aus Bey&#x017F;pielen &#x017F;o weit, daß &#x017F;ie ihm die Vorder-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;tze einra&#x0364;umten.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 264.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Wer alles la&#x0364;ugnet oder in Zweifel zieht,<lb/>
dem muß man nicht bewei&#x017F;en, &#x017F;ondern &#x017F;eine<lb/>
Sa&#x0364;tze und Bewei&#x017F;e anho&#x0364;ren, weil es nothwen-<lb/>
dig mo&#x0364;glich i&#x017F;t, Wider&#x017F;pru&#x0364;che dabey heraus<lb/>
zu bringen.</hi> (§. 201.) Denn was man immer be-<lb/>
wei&#x017F;en wollte, du&#x0364;rfte er nur die Gru&#x0364;nde la&#x0364;ugnen, und<lb/>
dadurch wu&#x0364;rde alles, was aus den&#x017F;elben ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
werden kann, dahin ge&#x017F;tellt bleiben. (§. 260.) Dem-<lb/>
nach wu&#x0364;rde man mit allen Bewei&#x017F;en nichts ausrich-<lb/>
ten. Ho&#x0364;rt man hingegen &#x017F;eine Sa&#x0364;tze oder Bewei&#x017F;e<lb/>
an, &#x017F;o i&#x017F;t es immer mo&#x0364;glich, ihn dahin zu bringen,<lb/>
daß er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t widerlegt. (§. 262. 263.) Uebrigens<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">i&#x017F;t</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[587/0609] des Wahren und Jrrigen. nicht B, und A nicht C ſeyn: der vorgegebene So- phiſt aber wird beydes bejahen. Laͤßt man ihm dem- nach den Schluß machen: C iſt B A iſt C, folglich: A iſt B, ſo ſtoͤßt der Schlußſatz ſein erſteres Behaupten, daß A nicht B ſey, um. Demnach widerlegt er ſich ſelb- ſten. §. 263. Dieſer Beweis, den wir nicht durch mehrere Schluͤſſe durchgefuͤhrt haben, um ihn am einfachſten vorzutragen, zeigt ungefehr an, wie Socrates mit den Sophiſten ſeiner Zeit verfahren. Es iſt dabey nicht immer noͤthig, lauter falſche Praͤmiſſen anzu- nehmen. Genug, wenn ſie der Gegner entweder ſelbſt ſchon behauptet oder zugiebt, und wenn der Schlußſatz, der daraus folgt, ſein erſtes Vorgeben umſtoͤßt. Socrates fuͤhrte ſeine Gegner oder die er widerlegen wollte, mehrentheils durch Jnductio- nen aus Beyſpielen ſo weit, daß ſie ihm die Vorder- ſaͤtze einraͤumten. §. 264. Wer alles laͤugnet oder in Zweifel zieht, dem muß man nicht beweiſen, ſondern ſeine Saͤtze und Beweiſe anhoͤren, weil es nothwen- dig moͤglich iſt, Widerſpruͤche dabey heraus zu bringen. (§. 201.) Denn was man immer be- weiſen wollte, duͤrfte er nur die Gruͤnde laͤugnen, und dadurch wuͤrde alles, was aus denſelben geſchloſſen werden kann, dahin geſtellt bleiben. (§. 260.) Dem- nach wuͤrde man mit allen Beweiſen nichts ausrich- ten. Hoͤrt man hingegen ſeine Saͤtze oder Beweiſe an, ſo iſt es immer moͤglich, ihn dahin zu bringen, daß er ſich ſelbſt widerlegt. (§. 262. 263.) Uebrigens iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/609
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/609>, abgerufen am 23.11.2024.