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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von den Nennwörtern.
dungen antwortet. Man kann aber nicht sagen, daß
diese vier Fragen alle seyn sollten, die man machen
kann, und der bekannte topische Vers:

Quis? Quid? Ubi? Quibus auxiliis? Cur? Quomodo?
Quando?

nach welchem man eine jede Materie abhandeln oder
gar erschöpfen zu können glaubte, enthält schon mehrere,
ohne die Fragen Cuius? Cui? mit inzubegreifen. Man
kann demnach sagen, daß, so fern man auf jede dieser
Fragen mit einem Nennwort antworten kann, die Nenn-
wörter eben so viele Fallendungen haben könnten. Und
so würde die Fallendung an sich schon die Verhältnisse
bezeichnen, und eine vollständige Redensart würde aus
Nennwörtern von jeder Fallendung zusammengesetzt
werden können.

§. 179. So charakteristisch sind aber die wirklichen
Sprachen nicht, und selbst die Verhältnisse der Dinge
in Absicht auf die Zeit, den Ort, die Lage, Ursache, Wir-
kung, Veränderung etc., sind auch nicht so leicht in Clas-
sen zu bringen, daß sich die Anzahl der möglichen und
nothwendigen Fallendungen aus Gründen bestimmen
ließe. Um so viel weniger konnte man es von den er-
sten Urhebern der Sprachen sordern.

§. 180. Es könnten aber auch diese Unterschiede der
Fallendungen ganz wegbleiben, und die Zweydeutigkeit,
so etwan aus ihrer Vermengung entstehen könnte, durch
die Ordnung der Wörter oder durch andere sehr leichte
Mittel gehoben werden. Diese Vermengung kömmt
auch in den wirklichen Sprachen zum Theil vor. Jm
Lateinischen hat z. E. Mensae viererley Bedeutungen,
Cornu bleibt durch alle sechs Fallendungen der einzeln
Zahl unverändert. Jm Deutschen ist die sechste En-
dung oder der Ablatiuus so gut als gar nicht vorhanden,
und in der mehrern Zahl unterscheidet sich die erste

Endung
G 5

Von den Nennwoͤrtern.
dungen antwortet. Man kann aber nicht ſagen, daß
dieſe vier Fragen alle ſeyn ſollten, die man machen
kann, und der bekannte topiſche Vers:

Quiſ? Quid? Ubi? Quibus auxiliis? Cur? Quomodo?
Quando?

nach welchem man eine jede Materie abhandeln oder
gar erſchoͤpfen zu koͤnnen glaubte, enthaͤlt ſchon mehrere,
ohne die Fragen Cuius? Cui? mit inzubegreifen. Man
kann demnach ſagen, daß, ſo fern man auf jede dieſer
Fragen mit einem Nennwort antworten kann, die Nenn-
woͤrter eben ſo viele Fallendungen haben koͤnnten. Und
ſo wuͤrde die Fallendung an ſich ſchon die Verhaͤltniſſe
bezeichnen, und eine vollſtaͤndige Redensart wuͤrde aus
Nennwoͤrtern von jeder Fallendung zuſammengeſetzt
werden koͤnnen.

§. 179. So charakteriſtiſch ſind aber die wirklichen
Sprachen nicht, und ſelbſt die Verhaͤltniſſe der Dinge
in Abſicht auf die Zeit, den Ort, die Lage, Urſache, Wir-
kung, Veraͤnderung ꝛc., ſind auch nicht ſo leicht in Claſ-
ſen zu bringen, daß ſich die Anzahl der moͤglichen und
nothwendigen Fallendungen aus Gruͤnden beſtimmen
ließe. Um ſo viel weniger konnte man es von den er-
ſten Urhebern der Sprachen ſordern.

§. 180. Es koͤnnten aber auch dieſe Unterſchiede der
Fallendungen ganz wegbleiben, und die Zweydeutigkeit,
ſo etwan aus ihrer Vermengung entſtehen koͤnnte, durch
die Ordnung der Woͤrter oder durch andere ſehr leichte
Mittel gehoben werden. Dieſe Vermengung koͤmmt
auch in den wirklichen Sprachen zum Theil vor. Jm
Lateiniſchen hat z. E. Menſae viererley Bedeutungen,
Cornu bleibt durch alle ſechs Fallendungen der einzeln
Zahl unveraͤndert. Jm Deutſchen iſt die ſechſte En-
dung oder der Ablatiuus ſo gut als gar nicht vorhanden,
und in der mehrern Zahl unterſcheidet ſich die erſte

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[105/0111] Von den Nennwoͤrtern. dungen antwortet. Man kann aber nicht ſagen, daß dieſe vier Fragen alle ſeyn ſollten, die man machen kann, und der bekannte topiſche Vers: Quiſ? Quid? Ubi? Quibus auxiliis? Cur? Quomodo? Quando? nach welchem man eine jede Materie abhandeln oder gar erſchoͤpfen zu koͤnnen glaubte, enthaͤlt ſchon mehrere, ohne die Fragen Cuius? Cui? mit inzubegreifen. Man kann demnach ſagen, daß, ſo fern man auf jede dieſer Fragen mit einem Nennwort antworten kann, die Nenn- woͤrter eben ſo viele Fallendungen haben koͤnnten. Und ſo wuͤrde die Fallendung an ſich ſchon die Verhaͤltniſſe bezeichnen, und eine vollſtaͤndige Redensart wuͤrde aus Nennwoͤrtern von jeder Fallendung zuſammengeſetzt werden koͤnnen. §. 179. So charakteriſtiſch ſind aber die wirklichen Sprachen nicht, und ſelbſt die Verhaͤltniſſe der Dinge in Abſicht auf die Zeit, den Ort, die Lage, Urſache, Wir- kung, Veraͤnderung ꝛc., ſind auch nicht ſo leicht in Claſ- ſen zu bringen, daß ſich die Anzahl der moͤglichen und nothwendigen Fallendungen aus Gruͤnden beſtimmen ließe. Um ſo viel weniger konnte man es von den er- ſten Urhebern der Sprachen ſordern. §. 180. Es koͤnnten aber auch dieſe Unterſchiede der Fallendungen ganz wegbleiben, und die Zweydeutigkeit, ſo etwan aus ihrer Vermengung entſtehen koͤnnte, durch die Ordnung der Woͤrter oder durch andere ſehr leichte Mittel gehoben werden. Dieſe Vermengung koͤmmt auch in den wirklichen Sprachen zum Theil vor. Jm Lateiniſchen hat z. E. Menſae viererley Bedeutungen, Cornu bleibt durch alle ſechs Fallendungen der einzeln Zahl unveraͤndert. Jm Deutſchen iſt die ſechſte En- dung oder der Ablatiuus ſo gut als gar nicht vorhanden, und in der mehrern Zahl unterſcheidet ſich die erſte Endung G 5

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/111>, abgerufen am 10.05.2024.