Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Wortforschung.
zeigt zu haben. Eben dieses läßt sich auch von dem
Bindwort wo oder wofeme anmerken. Ob die
Bindwörter denn, daß, anfangs nur Geschlechtswörter
waren, bey schicklichen Anläßen aber allgemeiner und
zu Bindwörtern gemacht worden, läßt sich nicht wohl
erörtern. Man findet Verwandlungen der Bedeutung
in den Sprachen, die noch ungleich härter sind, und die-
se glaublich machen. Uebrigens läßt sich leicht erach-
ten, daß die ersten Urheber der Sprachen sich anfangs
mit der Möglichkeit, einzelne Sätze vorzustellen, begnü-
gen mußten, und erst nach und nach an ihre Verbin-
dung gedenken konnten. Denn die Bindwörter sind
ohnehin ein Gegenstand und Werk der Vernunft und
der abstracten Erkenntniß. Die Sprachen aber muß-
ten nothwendig bey den Sinnen anfangen. Auf diese
Art aber konnte z. E. das Bindwort und, welches un-
streitig unter die ersten gehört, anfangs nicht wohl an-
ders als zum Zusammenzählen einzelner Dinge, und et-
wan als ein Flickwort zum Fortsetzen der Rede ge-
braucht werden, ungeacht der Gebrauch desselben nun-
mehr vielfacher und allgemeiner ist.

§. 252. Am nothwendigsten aber mußten die Be-
griffe der Handlungen und Substanzen und ihrer Ei-
genschaften mit Wurzelwörtern benennt werden, und
besonders diejenigen, die oft als eben dieselben wieder
vorkamen, weil eben dadurch auch der Anlaß, davon zu
reden, öfterer wurde. Die Schicklichkeit, die die Na-
tur selbst anboth, diese erste Grundlage der Sprache
sehr unveränderlich und kenntlich zu machen, haben wir
bereits oben (§. 121.) angezeigt, und werden sie im Fol-
genden besonders betrachten, weil die Wörter, deren
Bedeutung durch die Natur der Sache selbst bestimmt
und kenntlich ist, gleichsam zum Maaßstabe und Richt-
schnur jeder übrigen dienen.

§. 253.
K 4

Von der Wortforſchung.
zeigt zu haben. Eben dieſes laͤßt ſich auch von dem
Bindwort wo oder wofeme anmerken. Ob die
Bindwoͤrter denn, daß, anfangs nur Geſchlechtswoͤrter
waren, bey ſchicklichen Anlaͤßen aber allgemeiner und
zu Bindwoͤrtern gemacht worden, laͤßt ſich nicht wohl
eroͤrtern. Man findet Verwandlungen der Bedeutung
in den Sprachen, die noch ungleich haͤrter ſind, und die-
ſe glaublich machen. Uebrigens laͤßt ſich leicht erach-
ten, daß die erſten Urheber der Sprachen ſich anfangs
mit der Moͤglichkeit, einzelne Saͤtze vorzuſtellen, begnuͤ-
gen mußten, und erſt nach und nach an ihre Verbin-
dung gedenken konnten. Denn die Bindwoͤrter ſind
ohnehin ein Gegenſtand und Werk der Vernunft und
der abſtracten Erkenntniß. Die Sprachen aber muß-
ten nothwendig bey den Sinnen anfangen. Auf dieſe
Art aber konnte z. E. das Bindwort und, welches un-
ſtreitig unter die erſten gehoͤrt, anfangs nicht wohl an-
ders als zum Zuſammenzaͤhlen einzelner Dinge, und et-
wan als ein Flickwort zum Fortſetzen der Rede ge-
braucht werden, ungeacht der Gebrauch deſſelben nun-
mehr vielfacher und allgemeiner iſt.

§. 252. Am nothwendigſten aber mußten die Be-
griffe der Handlungen und Subſtanzen und ihrer Ei-
genſchaften mit Wurzelwoͤrtern benennt werden, und
beſonders diejenigen, die oft als eben dieſelben wieder
vorkamen, weil eben dadurch auch der Anlaß, davon zu
reden, oͤfterer wurde. Die Schicklichkeit, die die Na-
tur ſelbſt anboth, dieſe erſte Grundlage der Sprache
ſehr unveraͤnderlich und kenntlich zu machen, haben wir
bereits oben (§. 121.) angezeigt, und werden ſie im Fol-
genden beſonders betrachten, weil die Woͤrter, deren
Bedeutung durch die Natur der Sache ſelbſt beſtimmt
und kenntlich iſt, gleichſam zum Maaßſtabe und Richt-
ſchnur jeder uͤbrigen dienen.

§. 253.
K 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0157" n="151"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der Wortfor&#x017F;chung.</hi></fw><lb/>
zeigt zu haben. Eben die&#x017F;es la&#x0364;ßt &#x017F;ich auch von dem<lb/>
Bindwort <hi rendition="#fr">wo</hi> oder <hi rendition="#fr">wofeme</hi> anmerken. Ob die<lb/>
Bindwo&#x0364;rter <hi rendition="#fr">denn, daß,</hi> anfangs nur Ge&#x017F;chlechtswo&#x0364;rter<lb/>
waren, bey &#x017F;chicklichen Anla&#x0364;ßen aber allgemeiner und<lb/>
zu Bindwo&#x0364;rtern gemacht worden, la&#x0364;ßt &#x017F;ich nicht wohl<lb/>
ero&#x0364;rtern. Man findet Verwandlungen der Bedeutung<lb/>
in den Sprachen, die noch ungleich ha&#x0364;rter &#x017F;ind, und die-<lb/>
&#x017F;e glaublich machen. Uebrigens la&#x0364;ßt &#x017F;ich leicht erach-<lb/>
ten, daß die er&#x017F;ten Urheber der Sprachen &#x017F;ich anfangs<lb/>
mit der Mo&#x0364;glichkeit, einzelne Sa&#x0364;tze vorzu&#x017F;tellen, begnu&#x0364;-<lb/>
gen mußten, und er&#x017F;t nach und nach an ihre Verbin-<lb/>
dung gedenken konnten. Denn die Bindwo&#x0364;rter &#x017F;ind<lb/>
ohnehin ein Gegen&#x017F;tand und Werk der Vernunft und<lb/>
der ab&#x017F;tracten Erkenntniß. Die Sprachen aber muß-<lb/>
ten nothwendig bey den Sinnen anfangen. Auf die&#x017F;e<lb/>
Art aber konnte z. E. das Bindwort <hi rendition="#fr">und,</hi> welches un-<lb/>
&#x017F;treitig unter die er&#x017F;ten geho&#x0364;rt, anfangs nicht wohl an-<lb/>
ders als zum Zu&#x017F;ammenza&#x0364;hlen einzelner Dinge, und et-<lb/>
wan als ein Flickwort zum Fort&#x017F;etzen der Rede ge-<lb/>
braucht werden, ungeacht der Gebrauch de&#x017F;&#x017F;elben nun-<lb/>
mehr vielfacher und allgemeiner i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>§. 252. Am nothwendig&#x017F;ten aber mußten die Be-<lb/>
griffe der Handlungen und Sub&#x017F;tanzen und ihrer Ei-<lb/>
gen&#x017F;chaften mit Wurzelwo&#x0364;rtern benennt werden, und<lb/>
be&#x017F;onders diejenigen, die oft als eben die&#x017F;elben wieder<lb/>
vorkamen, weil eben dadurch auch der Anlaß, davon zu<lb/>
reden, o&#x0364;fterer wurde. Die Schicklichkeit, die die Na-<lb/>
tur &#x017F;elb&#x017F;t anboth, die&#x017F;e er&#x017F;te Grundlage der Sprache<lb/>
&#x017F;ehr unvera&#x0364;nderlich und kenntlich zu machen, haben wir<lb/>
bereits oben (§. 121.) angezeigt, und werden &#x017F;ie im Fol-<lb/>
genden be&#x017F;onders betrachten, weil die Wo&#x0364;rter, deren<lb/>
Bedeutung durch die Natur der Sache &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;timmt<lb/>
und kenntlich i&#x017F;t, gleich&#x017F;am zum Maaß&#x017F;tabe und Richt-<lb/>
&#x017F;chnur jeder u&#x0364;brigen dienen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">K 4</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">§. 253.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0157] Von der Wortforſchung. zeigt zu haben. Eben dieſes laͤßt ſich auch von dem Bindwort wo oder wofeme anmerken. Ob die Bindwoͤrter denn, daß, anfangs nur Geſchlechtswoͤrter waren, bey ſchicklichen Anlaͤßen aber allgemeiner und zu Bindwoͤrtern gemacht worden, laͤßt ſich nicht wohl eroͤrtern. Man findet Verwandlungen der Bedeutung in den Sprachen, die noch ungleich haͤrter ſind, und die- ſe glaublich machen. Uebrigens laͤßt ſich leicht erach- ten, daß die erſten Urheber der Sprachen ſich anfangs mit der Moͤglichkeit, einzelne Saͤtze vorzuſtellen, begnuͤ- gen mußten, und erſt nach und nach an ihre Verbin- dung gedenken konnten. Denn die Bindwoͤrter ſind ohnehin ein Gegenſtand und Werk der Vernunft und der abſtracten Erkenntniß. Die Sprachen aber muß- ten nothwendig bey den Sinnen anfangen. Auf dieſe Art aber konnte z. E. das Bindwort und, welches un- ſtreitig unter die erſten gehoͤrt, anfangs nicht wohl an- ders als zum Zuſammenzaͤhlen einzelner Dinge, und et- wan als ein Flickwort zum Fortſetzen der Rede ge- braucht werden, ungeacht der Gebrauch deſſelben nun- mehr vielfacher und allgemeiner iſt. §. 252. Am nothwendigſten aber mußten die Be- griffe der Handlungen und Subſtanzen und ihrer Ei- genſchaften mit Wurzelwoͤrtern benennt werden, und beſonders diejenigen, die oft als eben dieſelben wieder vorkamen, weil eben dadurch auch der Anlaß, davon zu reden, oͤfterer wurde. Die Schicklichkeit, die die Na- tur ſelbſt anboth, dieſe erſte Grundlage der Sprache ſehr unveraͤnderlich und kenntlich zu machen, haben wir bereits oben (§. 121.) angezeigt, und werden ſie im Fol- genden beſonders betrachten, weil die Woͤrter, deren Bedeutung durch die Natur der Sache ſelbſt beſtimmt und kenntlich iſt, gleichſam zum Maaßſtabe und Richt- ſchnur jeder uͤbrigen dienen. §. 253. K 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/157
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/157>, abgerufen am 04.12.2024.