Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

VII. Hauptstück.
Völker zur Aenderung der Sprache beygetragen, die
ursprüngliche Bedeutung der Wörter unveränderter ge-
blieben. Ein Wort ist dadurch, daß es ein Provin-
zialwort ist, von dem Bürgerrecht in der Sprache noch
nicht unmittelbar ausgeschlossen, und wird dasselbe ver-
dienen, wenn es überhaupt deutsch klingend, vom Pö-
belhaften frey, von bestimmter und eigener Bedeutung,
und zu Ableitung noch mehrerer Wörter geschickt ist.
Es wird noch um desto ehender taugen, wenn man be-
reits abgeleitete Wörter davon in der Sprache hat, wo-
von wir oben (§. 161.) Beyspiele angezeigt haben.

§. 257. Ueberdieß kann ein Wurzelwort sowohl in
seiner eigenen als in metaphorischer Bedeutung genom-
men, zur Ableitung anderer Wörter dienen, und selbst
die abgeleiteten Wörter können in einer Sprache un-
vermerkt durch mehrere Metaphern durchgeführt wer-
den. Und damit geht es noch immer leichter, so oft
diese Mittelstuffen auf die Natur der Sache gegründet
sind. Denn auf diese Art läßt sich etwan eine aus der
andern wieder finden, wiewohl man auch dabey gleich-
sam genöthigt ist, durch Beyspiele und Autoritäten zu
beweifen, daß man sich nicht geirret habe. Hingegen
wo das abgeleitete Wort sich nicht so fast auf die Sa-
che selbst, als auf die Gedenkensart oder gar auf einen
Jrrthum des Urhebers gründet, da taugt die Etymolo-
gie sehr wenig, weil man historische Nachrichten muß
aufweisen können, daß diese oder jene Gedenkensart,
Vorurtheile, Jrrthümer etc. zu der Bedeutung des ab-
geleiteten Wortes Anlaß gegeben.

§. 258. Ferner kömmt es in einzeln Fällen und bey
Auslegung einer Stelle eines Autors nicht nur darauf
an, welche Bedeutung ein Wort zu seiner Zeit gehabt,
sondern auch vornehmlich, mit welchem Begriffe es der
Autor in der vorgegebenen Stelle verbunden habe?
Hiezu hilft nun unstreitig viel, wenn man überhaupt die

Geden-

VII. Hauptſtuͤck.
Voͤlker zur Aenderung der Sprache beygetragen, die
urſpruͤngliche Bedeutung der Woͤrter unveraͤnderter ge-
blieben. Ein Wort iſt dadurch, daß es ein Provin-
zialwort iſt, von dem Buͤrgerrecht in der Sprache noch
nicht unmittelbar ausgeſchloſſen, und wird daſſelbe ver-
dienen, wenn es uͤberhaupt deutſch klingend, vom Poͤ-
belhaften frey, von beſtimmter und eigener Bedeutung,
und zu Ableitung noch mehrerer Woͤrter geſchickt iſt.
Es wird noch um deſto ehender taugen, wenn man be-
reits abgeleitete Woͤrter davon in der Sprache hat, wo-
von wir oben (§. 161.) Beyſpiele angezeigt haben.

§. 257. Ueberdieß kann ein Wurzelwort ſowohl in
ſeiner eigenen als in metaphoriſcher Bedeutung genom-
men, zur Ableitung anderer Woͤrter dienen, und ſelbſt
die abgeleiteten Woͤrter koͤnnen in einer Sprache un-
vermerkt durch mehrere Metaphern durchgefuͤhrt wer-
den. Und damit geht es noch immer leichter, ſo oft
dieſe Mittelſtuffen auf die Natur der Sache gegruͤndet
ſind. Denn auf dieſe Art laͤßt ſich etwan eine aus der
andern wieder finden, wiewohl man auch dabey gleich-
ſam genoͤthigt iſt, durch Beyſpiele und Autoritaͤten zu
beweifen, daß man ſich nicht geirret habe. Hingegen
wo das abgeleitete Wort ſich nicht ſo faſt auf die Sa-
che ſelbſt, als auf die Gedenkensart oder gar auf einen
Jrrthum des Urhebers gruͤndet, da taugt die Etymolo-
gie ſehr wenig, weil man hiſtoriſche Nachrichten muß
aufweiſen koͤnnen, daß dieſe oder jene Gedenkensart,
Vorurtheile, Jrrthuͤmer ꝛc. zu der Bedeutung des ab-
geleiteten Wortes Anlaß gegeben.

§. 258. Ferner koͤmmt es in einzeln Faͤllen und bey
Auslegung einer Stelle eines Autors nicht nur darauf
an, welche Bedeutung ein Wort zu ſeiner Zeit gehabt,
ſondern auch vornehmlich, mit welchem Begriffe es der
Autor in der vorgegebenen Stelle verbunden habe?
Hiezu hilft nun unſtreitig viel, wenn man uͤberhaupt die

Geden-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0160" n="154"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
Vo&#x0364;lker zur Aenderung der Sprache beygetragen, die<lb/>
ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche Bedeutung der Wo&#x0364;rter unvera&#x0364;nderter ge-<lb/>
blieben. Ein Wort i&#x017F;t dadurch, daß es ein Provin-<lb/>
zialwort i&#x017F;t, von dem Bu&#x0364;rgerrecht in der Sprache noch<lb/>
nicht unmittelbar ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, und wird da&#x017F;&#x017F;elbe ver-<lb/>
dienen, wenn es u&#x0364;berhaupt deut&#x017F;ch klingend, vom Po&#x0364;-<lb/>
belhaften frey, von be&#x017F;timmter und eigener Bedeutung,<lb/>
und zu Ableitung noch mehrerer Wo&#x0364;rter ge&#x017F;chickt i&#x017F;t.<lb/>
Es wird noch um de&#x017F;to ehender taugen, wenn man be-<lb/>
reits abgeleitete Wo&#x0364;rter davon in der Sprache hat, wo-<lb/>
von wir oben (§. 161.) Bey&#x017F;piele angezeigt haben.</p><lb/>
          <p>§. 257. Ueberdieß kann ein Wurzelwort &#x017F;owohl in<lb/>
&#x017F;einer eigenen als in metaphori&#x017F;cher Bedeutung genom-<lb/>
men, zur Ableitung anderer Wo&#x0364;rter dienen, und &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
die abgeleiteten Wo&#x0364;rter ko&#x0364;nnen in einer Sprache un-<lb/>
vermerkt durch mehrere Metaphern durchgefu&#x0364;hrt wer-<lb/>
den. Und damit geht es noch immer leichter, &#x017F;o oft<lb/>
die&#x017F;e Mittel&#x017F;tuffen auf die Natur der Sache gegru&#x0364;ndet<lb/>
&#x017F;ind. Denn auf die&#x017F;e Art la&#x0364;ßt &#x017F;ich etwan eine aus der<lb/>
andern wieder finden, wiewohl man auch dabey gleich-<lb/>
&#x017F;am geno&#x0364;thigt i&#x017F;t, durch Bey&#x017F;piele und Autorita&#x0364;ten zu<lb/>
beweifen, daß man &#x017F;ich nicht geirret habe. Hingegen<lb/>
wo das abgeleitete Wort &#x017F;ich nicht &#x017F;o fa&#x017F;t auf die Sa-<lb/>
che &#x017F;elb&#x017F;t, als auf die Gedenkensart oder gar auf einen<lb/>
Jrrthum des Urhebers gru&#x0364;ndet, da taugt die Etymolo-<lb/>
gie &#x017F;ehr wenig, weil man hi&#x017F;tori&#x017F;che Nachrichten muß<lb/>
aufwei&#x017F;en ko&#x0364;nnen, daß die&#x017F;e oder jene Gedenkensart,<lb/>
Vorurtheile, Jrrthu&#x0364;mer &#xA75B;c. zu der Bedeutung des ab-<lb/>
geleiteten Wortes Anlaß gegeben.</p><lb/>
          <p>§. 258. Ferner ko&#x0364;mmt es in einzeln Fa&#x0364;llen und bey<lb/>
Auslegung einer Stelle eines Autors nicht nur darauf<lb/>
an, welche Bedeutung ein Wort zu &#x017F;einer Zeit gehabt,<lb/>
&#x017F;ondern auch vornehmlich, mit welchem Begriffe es der<lb/>
Autor in der vorgegebenen Stelle verbunden habe?<lb/>
Hiezu hilft nun un&#x017F;treitig viel, wenn man u&#x0364;berhaupt die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Geden-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0160] VII. Hauptſtuͤck. Voͤlker zur Aenderung der Sprache beygetragen, die urſpruͤngliche Bedeutung der Woͤrter unveraͤnderter ge- blieben. Ein Wort iſt dadurch, daß es ein Provin- zialwort iſt, von dem Buͤrgerrecht in der Sprache noch nicht unmittelbar ausgeſchloſſen, und wird daſſelbe ver- dienen, wenn es uͤberhaupt deutſch klingend, vom Poͤ- belhaften frey, von beſtimmter und eigener Bedeutung, und zu Ableitung noch mehrerer Woͤrter geſchickt iſt. Es wird noch um deſto ehender taugen, wenn man be- reits abgeleitete Woͤrter davon in der Sprache hat, wo- von wir oben (§. 161.) Beyſpiele angezeigt haben. §. 257. Ueberdieß kann ein Wurzelwort ſowohl in ſeiner eigenen als in metaphoriſcher Bedeutung genom- men, zur Ableitung anderer Woͤrter dienen, und ſelbſt die abgeleiteten Woͤrter koͤnnen in einer Sprache un- vermerkt durch mehrere Metaphern durchgefuͤhrt wer- den. Und damit geht es noch immer leichter, ſo oft dieſe Mittelſtuffen auf die Natur der Sache gegruͤndet ſind. Denn auf dieſe Art laͤßt ſich etwan eine aus der andern wieder finden, wiewohl man auch dabey gleich- ſam genoͤthigt iſt, durch Beyſpiele und Autoritaͤten zu beweifen, daß man ſich nicht geirret habe. Hingegen wo das abgeleitete Wort ſich nicht ſo faſt auf die Sa- che ſelbſt, als auf die Gedenkensart oder gar auf einen Jrrthum des Urhebers gruͤndet, da taugt die Etymolo- gie ſehr wenig, weil man hiſtoriſche Nachrichten muß aufweiſen koͤnnen, daß dieſe oder jene Gedenkensart, Vorurtheile, Jrrthuͤmer ꝛc. zu der Bedeutung des ab- geleiteten Wortes Anlaß gegeben. §. 258. Ferner koͤmmt es in einzeln Faͤllen und bey Auslegung einer Stelle eines Autors nicht nur darauf an, welche Bedeutung ein Wort zu ſeiner Zeit gehabt, ſondern auch vornehmlich, mit welchem Begriffe es der Autor in der vorgegebenen Stelle verbunden habe? Hiezu hilft nun unſtreitig viel, wenn man uͤberhaupt die Geden-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/160
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/160>, abgerufen am 04.12.2024.