Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Erkenntniß überhaupt.
Erkenntniß durchaus symbolisch, weil alles, was wir un-
mittelbar empfinden können, individual ist.

§. 18. Hier kömmt uns nun das zu statten, was
wir in der Alethiologie von der Vergleichung der Jn-
tellectualwelt und Körperwelt angemerkt haben. (§. 46.
seqq. l. cit.) Der Eindruck, den die Objecte der verschie-
denen Sinnen und des Verstandes in uns machen, ist
eigentlich die Grundlage zu unserer symbolischen Er-
kenntniß. So gedenken wir hohe Gebäude, hohe Tö-
ne, hohe rothe Farbe, hohe Gedanken, hohe Würden etc.
wegen gewisser Aehnlichkeiten des Eindruckes, den diese
Dinge in uns machen, die von ganz verschiedenen Sin-
nen herrühren. Die Folge, die wir daraus ziehen, ist
diese, daß, wenn unter den articulirten Tönen eine solche
Mannichfaltigkeit des Eindruckes wäre, wie unter den
Objecten jeder andern Sinnen; wenn ferner durchaus
kenntliche Aehnlichkeiten unter diesen Eindrücken statt
hätten, und wenn endlich jede Sache bey allen Menschen
einerley stärkere Eindrücke machten, daß, sage ich, in
solchen Umständen eine natürliche Sprache gar wohl
würde möglich seyn. Denn da wir gleichsam genöthigt
sind, zu unsern Begriffen und Empfindungen Simula-
cra
zu suchen, (§. 7.) so ist klar, daß uns auch bey je-
den gesehenen oder empfundenen Dingen, die denselben
entsprechenden, oder wegen Aehnlichkeit des Eindruckes
damit harmonirenden articulirten Töne, zu Zeichen die-
nen würden.

§. 19. So sind nun allerdings unsere Sprachen
nicht beschaffen, und es wäre zu weitläuftig, zu untersuchen,
welche Wörter und in welchen Sprachen sie eine merk-
lichere Aehnlichkeit zu der bedeuteten Sache haben.
Man müßte zu den allerersten Primitiuis oder Wurzel-
wörtern zurücke gehen, und ihre ursprüngliche Bedeu-
tung wissen, oder gar den Anlaß kennen, bey welchem
sie das erstemal sind gebraucht worden, wenn man

sehen

Erkenntniß uͤberhaupt.
Erkenntniß durchaus ſymboliſch, weil alles, was wir un-
mittelbar empfinden koͤnnen, individual iſt.

§. 18. Hier koͤmmt uns nun das zu ſtatten, was
wir in der Alethiologie von der Vergleichung der Jn-
tellectualwelt und Koͤrperwelt angemerkt haben. (§. 46.
ſeqq. l. cit.) Der Eindruck, den die Objecte der verſchie-
denen Sinnen und des Verſtandes in uns machen, iſt
eigentlich die Grundlage zu unſerer ſymboliſchen Er-
kenntniß. So gedenken wir hohe Gebaͤude, hohe Toͤ-
ne, hohe rothe Farbe, hohe Gedanken, hohe Wuͤrden ꝛc.
wegen gewiſſer Aehnlichkeiten des Eindruckes, den dieſe
Dinge in uns machen, die von ganz verſchiedenen Sin-
nen herruͤhren. Die Folge, die wir daraus ziehen, iſt
dieſe, daß, wenn unter den articulirten Toͤnen eine ſolche
Mannichfaltigkeit des Eindruckes waͤre, wie unter den
Objecten jeder andern Sinnen; wenn ferner durchaus
kenntliche Aehnlichkeiten unter dieſen Eindruͤcken ſtatt
haͤtten, und wenn endlich jede Sache bey allen Menſchen
einerley ſtaͤrkere Eindruͤcke machten, daß, ſage ich, in
ſolchen Umſtaͤnden eine natuͤrliche Sprache gar wohl
wuͤrde moͤglich ſeyn. Denn da wir gleichſam genoͤthigt
ſind, zu unſern Begriffen und Empfindungen Simula-
cra
zu ſuchen, (§. 7.) ſo iſt klar, daß uns auch bey je-
den geſehenen oder empfundenen Dingen, die denſelben
entſprechenden, oder wegen Aehnlichkeit des Eindruckes
damit harmonirenden articulirten Toͤne, zu Zeichen die-
nen wuͤrden.

§. 19. So ſind nun allerdings unſere Sprachen
nicht beſchaffen, und es waͤre zu weitlaͤuftig, zu unterſuchen,
welche Woͤrter und in welchen Sprachen ſie eine merk-
lichere Aehnlichkeit zu der bedeuteten Sache haben.
Man muͤßte zu den allererſten Primitiuis oder Wurzel-
woͤrtern zuruͤcke gehen, und ihre urſpruͤngliche Bedeu-
tung wiſſen, oder gar den Anlaß kennen, bey welchem
ſie das erſtemal ſind gebraucht worden, wenn man

ſehen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0019" n="13"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Erkenntniß u&#x0364;berhaupt.</hi></fw><lb/>
Erkenntniß durchaus &#x017F;ymboli&#x017F;ch, weil alles, was wir un-<lb/>
mittelbar empfinden ko&#x0364;nnen, individual i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>§. 18. Hier ko&#x0364;mmt uns nun das zu &#x017F;tatten, was<lb/>
wir in der Alethiologie von der Vergleichung der Jn-<lb/>
tellectualwelt und Ko&#x0364;rperwelt angemerkt haben. (§. 46.<lb/><hi rendition="#aq">&#x017F;eqq. l. cit.</hi>) Der Eindruck, den die Objecte der ver&#x017F;chie-<lb/>
denen Sinnen und des Ver&#x017F;tandes in uns machen, i&#x017F;t<lb/>
eigentlich die Grundlage zu un&#x017F;erer &#x017F;ymboli&#x017F;chen Er-<lb/>
kenntniß. So gedenken wir hohe Geba&#x0364;ude, hohe To&#x0364;-<lb/>
ne, hohe rothe Farbe, hohe Gedanken, hohe Wu&#x0364;rden &#xA75B;c.<lb/>
wegen gewi&#x017F;&#x017F;er Aehnlichkeiten des Eindruckes, den die&#x017F;e<lb/>
Dinge in uns machen, die von ganz ver&#x017F;chiedenen Sin-<lb/>
nen herru&#x0364;hren. Die Folge, die wir daraus ziehen, i&#x017F;t<lb/>
die&#x017F;e, daß, wenn unter den articulirten To&#x0364;nen eine &#x017F;olche<lb/>
Mannichfaltigkeit des Eindruckes wa&#x0364;re, wie unter den<lb/>
Objecten jeder andern Sinnen; wenn ferner durchaus<lb/>
kenntliche Aehnlichkeiten unter die&#x017F;en Eindru&#x0364;cken &#x017F;tatt<lb/>
ha&#x0364;tten, und wenn endlich jede Sache bey allen Men&#x017F;chen<lb/>
einerley &#x017F;ta&#x0364;rkere Eindru&#x0364;cke machten, daß, &#x017F;age ich, in<lb/>
&#x017F;olchen Um&#x017F;ta&#x0364;nden eine natu&#x0364;rliche Sprache gar wohl<lb/>
wu&#x0364;rde mo&#x0364;glich &#x017F;eyn. Denn da wir gleich&#x017F;am geno&#x0364;thigt<lb/>
&#x017F;ind, zu un&#x017F;ern Begriffen und Empfindungen <hi rendition="#aq">Simula-<lb/>
cra</hi> zu &#x017F;uchen, (§. 7.) &#x017F;o i&#x017F;t klar, daß uns auch bey je-<lb/>
den ge&#x017F;ehenen oder empfundenen Dingen, die den&#x017F;elben<lb/>
ent&#x017F;prechenden, oder wegen Aehnlichkeit des Eindruckes<lb/>
damit harmonirenden articulirten To&#x0364;ne, zu Zeichen die-<lb/>
nen wu&#x0364;rden.</p><lb/>
          <p>§. 19. So &#x017F;ind nun allerdings un&#x017F;ere Sprachen<lb/>
nicht be&#x017F;chaffen, und es wa&#x0364;re zu weitla&#x0364;uftig, zu unter&#x017F;uchen,<lb/>
welche Wo&#x0364;rter und in welchen Sprachen &#x017F;ie eine merk-<lb/>
lichere Aehnlichkeit zu der bedeuteten Sache haben.<lb/>
Man mu&#x0364;ßte zu den allerer&#x017F;ten <hi rendition="#aq">Primitiuis</hi> oder Wurzel-<lb/>
wo&#x0364;rtern zuru&#x0364;cke gehen, und ihre ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche Bedeu-<lb/>
tung wi&#x017F;&#x017F;en, oder gar den Anlaß kennen, bey welchem<lb/>
&#x017F;ie das er&#x017F;temal &#x017F;ind gebraucht worden, wenn man<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ehen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0019] Erkenntniß uͤberhaupt. Erkenntniß durchaus ſymboliſch, weil alles, was wir un- mittelbar empfinden koͤnnen, individual iſt. §. 18. Hier koͤmmt uns nun das zu ſtatten, was wir in der Alethiologie von der Vergleichung der Jn- tellectualwelt und Koͤrperwelt angemerkt haben. (§. 46. ſeqq. l. cit.) Der Eindruck, den die Objecte der verſchie- denen Sinnen und des Verſtandes in uns machen, iſt eigentlich die Grundlage zu unſerer ſymboliſchen Er- kenntniß. So gedenken wir hohe Gebaͤude, hohe Toͤ- ne, hohe rothe Farbe, hohe Gedanken, hohe Wuͤrden ꝛc. wegen gewiſſer Aehnlichkeiten des Eindruckes, den dieſe Dinge in uns machen, die von ganz verſchiedenen Sin- nen herruͤhren. Die Folge, die wir daraus ziehen, iſt dieſe, daß, wenn unter den articulirten Toͤnen eine ſolche Mannichfaltigkeit des Eindruckes waͤre, wie unter den Objecten jeder andern Sinnen; wenn ferner durchaus kenntliche Aehnlichkeiten unter dieſen Eindruͤcken ſtatt haͤtten, und wenn endlich jede Sache bey allen Menſchen einerley ſtaͤrkere Eindruͤcke machten, daß, ſage ich, in ſolchen Umſtaͤnden eine natuͤrliche Sprache gar wohl wuͤrde moͤglich ſeyn. Denn da wir gleichſam genoͤthigt ſind, zu unſern Begriffen und Empfindungen Simula- cra zu ſuchen, (§. 7.) ſo iſt klar, daß uns auch bey je- den geſehenen oder empfundenen Dingen, die denſelben entſprechenden, oder wegen Aehnlichkeit des Eindruckes damit harmonirenden articulirten Toͤne, zu Zeichen die- nen wuͤrden. §. 19. So ſind nun allerdings unſere Sprachen nicht beſchaffen, und es waͤre zu weitlaͤuftig, zu unterſuchen, welche Woͤrter und in welchen Sprachen ſie eine merk- lichere Aehnlichkeit zu der bedeuteten Sache haben. Man muͤßte zu den allererſten Primitiuis oder Wurzel- woͤrtern zuruͤcke gehen, und ihre urſpruͤngliche Bedeu- tung wiſſen, oder gar den Anlaß kennen, bey welchem ſie das erſtemal ſind gebraucht worden, wenn man ſehen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/19
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/19>, abgerufen am 23.11.2024.