Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Hauptstück. Von der symbolischen
sehen wollte, ob der erste Eindruck des Wortes und der
Sache etwas ähnliches habe. Verschiedene Jnterjectio-
nen, z. E. ach! o! he! ey! etc. weil sie Wirkungen,
und daher natürliche Zeichen von Affecten sind, schei-
nen bey dieser Untersuchung sich zuerst anzubieten.

§. 20. Wir können daher die Wörter, und beson-
ders die Wurzelwörter der Sprachen, nicht wohl anders,
als willkührliche Zeichen der Sachen und Begriffe
ansehen, wenn wir ihre eigene Bedeutung nehmen.
Hingegen haben sie als Metaphern, wobey nämlich die
eigene Bedeutung schon vorausgesetzt wird, bereits mehr
Aehnlichkeiten. Diese bestehen aber nicht in der Ver-
gleichung des Eindruckes, den das Wort und die Sache
macht, sondern in demjenigen, welchen die Dinge ma-
chen, die man durch die Metapher benennt. Eben die-
ses ist auch von den abgeleiteten und zusammengesetzten
Wörtern zu verstehen, so fern nämlich die ursprüngliche
Bedeutung der Wurzelwörter noch bekannt ist, und der
Gebrauch zu reden keine Anomalie eingeführt hat.

§. 21. Da wir von abwesenden oder auch an sich
unempfindbaren Dingen, uns nur der Wörter oder Zei-
chen klar, des dadurch vorgestellten Begriffes oder
Sache nur dunkel bewußt sind; (§. 12.) so kann es gar
wohl geschehen, daß wir in der That nichts als Wörter
denken, und uns nur einbilden, daß ein realer, wahrer,
richtiger Begriff dabey zum Grunde liege. Und die
Fälle sind eben nicht gar selten, wo wir bey genauerer
Untersuchung sinden, daß wir unmögliches Zeug uns
als wahr und möglich vorgestellt oder eingebildet haben.
Denn das dunkle Bewußtseyn, daß die Wörter Be-
griffe vorstellen, hat seine Stuffen, und es ist dabey sehr
leicht, einen Begriff für den andern zu nehmen, weil
wir uns derselben nur dunkel bewußt sind. Man nennt
die Wörter und Sätze, welche etwas Falsches, Unmögli-
ches, Ungeräumtes etc. vorstellen, leere Töne, und ein

System

I. Hauptſtuͤck. Von der ſymboliſchen
ſehen wollte, ob der erſte Eindruck des Wortes und der
Sache etwas aͤhnliches habe. Verſchiedene Jnterjectio-
nen, z. E. ach! o! he! ey! ꝛc. weil ſie Wirkungen,
und daher natuͤrliche Zeichen von Affecten ſind, ſchei-
nen bey dieſer Unterſuchung ſich zuerſt anzubieten.

§. 20. Wir koͤnnen daher die Woͤrter, und beſon-
ders die Wurzelwoͤrter der Sprachen, nicht wohl anders,
als willkuͤhrliche Zeichen der Sachen und Begriffe
anſehen, wenn wir ihre eigene Bedeutung nehmen.
Hingegen haben ſie als Metaphern, wobey naͤmlich die
eigene Bedeutung ſchon vorausgeſetzt wird, bereits mehr
Aehnlichkeiten. Dieſe beſtehen aber nicht in der Ver-
gleichung des Eindruckes, den das Wort und die Sache
macht, ſondern in demjenigen, welchen die Dinge ma-
chen, die man durch die Metapher benennt. Eben die-
ſes iſt auch von den abgeleiteten und zuſammengeſetzten
Woͤrtern zu verſtehen, ſo fern naͤmlich die urſpruͤngliche
Bedeutung der Wurzelwoͤrter noch bekannt iſt, und der
Gebrauch zu reden keine Anomalie eingefuͤhrt hat.

§. 21. Da wir von abweſenden oder auch an ſich
unempfindbaren Dingen, uns nur der Woͤrter oder Zei-
chen klar, des dadurch vorgeſtellten Begriffes oder
Sache nur dunkel bewußt ſind; (§. 12.) ſo kann es gar
wohl geſchehen, daß wir in der That nichts als Woͤrter
denken, und uns nur einbilden, daß ein realer, wahrer,
richtiger Begriff dabey zum Grunde liege. Und die
Faͤlle ſind eben nicht gar ſelten, wo wir bey genauerer
Unterſuchung ſinden, daß wir unmoͤgliches Zeug uns
als wahr und moͤglich vorgeſtellt oder eingebildet haben.
Denn das dunkle Bewußtſeyn, daß die Woͤrter Be-
griffe vorſtellen, hat ſeine Stuffen, und es iſt dabey ſehr
leicht, einen Begriff fuͤr den andern zu nehmen, weil
wir uns derſelben nur dunkel bewußt ſind. Man nennt
die Woͤrter und Saͤtze, welche etwas Falſches, Unmoͤgli-
ches, Ungeraͤumtes ꝛc. vorſtellen, leere Toͤne, und ein

Syſtem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0020" n="14"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck. Von der &#x017F;ymboli&#x017F;chen</hi></fw><lb/>
&#x017F;ehen wollte, ob der er&#x017F;te Eindruck des Wortes und der<lb/>
Sache etwas a&#x0364;hnliches habe. Ver&#x017F;chiedene Jnterjectio-<lb/>
nen, z. E. ach! o! he! ey! &#xA75B;c. weil &#x017F;ie Wirkungen,<lb/>
und daher <hi rendition="#fr">natu&#x0364;rliche</hi> Zeichen von Affecten &#x017F;ind, &#x017F;chei-<lb/>
nen bey die&#x017F;er Unter&#x017F;uchung &#x017F;ich zuer&#x017F;t anzubieten.</p><lb/>
          <p>§. 20. Wir ko&#x0364;nnen daher die Wo&#x0364;rter, und be&#x017F;on-<lb/>
ders die Wurzelwo&#x0364;rter der Sprachen, nicht wohl anders,<lb/>
als <hi rendition="#fr">willku&#x0364;hrliche</hi> Zeichen der Sachen und Begriffe<lb/>
an&#x017F;ehen, wenn wir ihre eigene Bedeutung nehmen.<lb/>
Hingegen haben &#x017F;ie als <hi rendition="#fr">Metaphern,</hi> wobey na&#x0364;mlich die<lb/>
eigene Bedeutung &#x017F;chon vorausge&#x017F;etzt wird, bereits mehr<lb/>
Aehnlichkeiten. Die&#x017F;e be&#x017F;tehen aber nicht in der Ver-<lb/>
gleichung des Eindruckes, den das Wort und die Sache<lb/>
macht, &#x017F;ondern in demjenigen, welchen die Dinge ma-<lb/>
chen, die man durch die Metapher benennt. Eben die-<lb/>
&#x017F;es i&#x017F;t auch von den abgeleiteten und zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzten<lb/>
Wo&#x0364;rtern zu ver&#x017F;tehen, &#x017F;o fern na&#x0364;mlich die ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche<lb/>
Bedeutung der Wurzelwo&#x0364;rter noch bekannt i&#x017F;t, und der<lb/>
Gebrauch zu reden keine Anomalie eingefu&#x0364;hrt hat.</p><lb/>
          <p>§. 21. Da wir von abwe&#x017F;enden oder auch an &#x017F;ich<lb/>
unempfindbaren Dingen, uns nur der Wo&#x0364;rter oder Zei-<lb/>
chen <hi rendition="#fr">klar,</hi> des dadurch vorge&#x017F;tellten Begriffes oder<lb/>
Sache nur <hi rendition="#fr">dunkel</hi> bewußt &#x017F;ind; (§. 12.) &#x017F;o kann es gar<lb/>
wohl ge&#x017F;chehen, daß wir in der That nichts als Wo&#x0364;rter<lb/>
denken, und uns nur einbilden, daß ein realer, wahrer,<lb/>
richtiger Begriff dabey zum Grunde liege. Und die<lb/>
Fa&#x0364;lle &#x017F;ind eben nicht gar &#x017F;elten, wo wir bey genauerer<lb/>
Unter&#x017F;uchung &#x017F;inden, daß wir unmo&#x0364;gliches Zeug uns<lb/>
als wahr und mo&#x0364;glich vorge&#x017F;tellt oder eingebildet haben.<lb/>
Denn das dunkle Bewußt&#x017F;eyn, daß die Wo&#x0364;rter Be-<lb/>
griffe vor&#x017F;tellen, hat &#x017F;eine Stuffen, und es i&#x017F;t dabey &#x017F;ehr<lb/>
leicht, einen Begriff fu&#x0364;r den andern zu nehmen, weil<lb/>
wir uns der&#x017F;elben nur dunkel bewußt &#x017F;ind. Man nennt<lb/>
die Wo&#x0364;rter und Sa&#x0364;tze, welche etwas Fal&#x017F;ches, Unmo&#x0364;gli-<lb/>
ches, Ungera&#x0364;umtes &#xA75B;c. vor&#x017F;tellen, <hi rendition="#fr">leere To&#x0364;ne,</hi> und ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Sy&#x017F;tem</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0020] I. Hauptſtuͤck. Von der ſymboliſchen ſehen wollte, ob der erſte Eindruck des Wortes und der Sache etwas aͤhnliches habe. Verſchiedene Jnterjectio- nen, z. E. ach! o! he! ey! ꝛc. weil ſie Wirkungen, und daher natuͤrliche Zeichen von Affecten ſind, ſchei- nen bey dieſer Unterſuchung ſich zuerſt anzubieten. §. 20. Wir koͤnnen daher die Woͤrter, und beſon- ders die Wurzelwoͤrter der Sprachen, nicht wohl anders, als willkuͤhrliche Zeichen der Sachen und Begriffe anſehen, wenn wir ihre eigene Bedeutung nehmen. Hingegen haben ſie als Metaphern, wobey naͤmlich die eigene Bedeutung ſchon vorausgeſetzt wird, bereits mehr Aehnlichkeiten. Dieſe beſtehen aber nicht in der Ver- gleichung des Eindruckes, den das Wort und die Sache macht, ſondern in demjenigen, welchen die Dinge ma- chen, die man durch die Metapher benennt. Eben die- ſes iſt auch von den abgeleiteten und zuſammengeſetzten Woͤrtern zu verſtehen, ſo fern naͤmlich die urſpruͤngliche Bedeutung der Wurzelwoͤrter noch bekannt iſt, und der Gebrauch zu reden keine Anomalie eingefuͤhrt hat. §. 21. Da wir von abweſenden oder auch an ſich unempfindbaren Dingen, uns nur der Woͤrter oder Zei- chen klar, des dadurch vorgeſtellten Begriffes oder Sache nur dunkel bewußt ſind; (§. 12.) ſo kann es gar wohl geſchehen, daß wir in der That nichts als Woͤrter denken, und uns nur einbilden, daß ein realer, wahrer, richtiger Begriff dabey zum Grunde liege. Und die Faͤlle ſind eben nicht gar ſelten, wo wir bey genauerer Unterſuchung ſinden, daß wir unmoͤgliches Zeug uns als wahr und moͤglich vorgeſtellt oder eingebildet haben. Denn das dunkle Bewußtſeyn, daß die Woͤrter Be- griffe vorſtellen, hat ſeine Stuffen, und es iſt dabey ſehr leicht, einen Begriff fuͤr den andern zu nehmen, weil wir uns derſelben nur dunkel bewußt ſind. Man nennt die Woͤrter und Saͤtze, welche etwas Falſches, Unmoͤgli- ches, Ungeraͤumtes ꝛc. vorſtellen, leere Toͤne, und ein Syſtem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/20
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/20>, abgerufen am 21.11.2024.