Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Wortfügung.
des Worts zu dem Begriffe nimmt. So z. E. haben
wir im vorhergehenden immer das Grammatische dem
Charakteristischen, und beydes dem Metaphysischen in
den Sprachen entgegengesetzt, ohne weder diese Wörter
zu definiren, noch an jedem Orte umständlich anzuzei-
gen, wie weit sie sich anwenden lassen. Man wird
aber aus dem Gebrauche dieser Wörter leicht finden,
daß das Metaphysische auf die bedeuteten Sachen und
ihre Natur und allgemeine Verhältnisse geht, das Cha-
rakteristische aber dasjenige in den Zeichen betrifft, was
sich durch das Metaphysische bestimmen und auf Re-
geln bringen läßt, und daß hingegen das Grammati-
sche dasjenige begreift, was in den wirklichen Sprachen
an statt charakteristisch zu seyn, bloß willkührlich, und
weder in der Sache noch in den Zelchen gegründet ist.
Da aber diese Unterschiede durch viele Stuffen größer
oder kleiner seyn können, so kommen im obigen auch
Fälle vor, wo das Grammatische sehr nahe an das
Charakteristische grenzt, und wo die Auswahl des Wor-
tes schwerer wäre, oder dem erstern etwas von dem letz-
tern zugegeben werden konnte.

§. 310. Wir können noch anmerken, daß wir die
Bedeutung der meisten Wörter unserer Muttersprache
auf keine andere Art lernen, als aus dem Verstand der
Redensarten, in welchen wir sie von Kindheit auf ler-
nen. Jch sage, die meisten Wörter. Denn es ist
klar, daß wir nicht bey ganzen Redensarten anfangen,
sondern nothwendig eine gewisse Anzahl von Wörtern,
jedes für sich muß erlernt werden. Diese für sich er-
lernbare Wörter sind ungefähr eben die, wobey die er-
sten Urheber der Sprachen anfangen mußten. Sie
stellen Dinge und Handlungen vor, die nicht nur unter
die Sinnen fallen, sondern ein mit fremden Umstän-
den nicht untermengtes Ganzes ausmachen, die man
den Kindern vorzeigen, und dadurch das Wort mit der

Empfin-
M 5

Von der Wortfuͤgung.
des Worts zu dem Begriffe nimmt. So z. E. haben
wir im vorhergehenden immer das Grammatiſche dem
Charakteriſtiſchen, und beydes dem Metaphyſiſchen in
den Sprachen entgegengeſetzt, ohne weder dieſe Woͤrter
zu definiren, noch an jedem Orte umſtaͤndlich anzuzei-
gen, wie weit ſie ſich anwenden laſſen. Man wird
aber aus dem Gebrauche dieſer Woͤrter leicht finden,
daß das Metaphyſiſche auf die bedeuteten Sachen und
ihre Natur und allgemeine Verhaͤltniſſe geht, das Cha-
rakteriſtiſche aber dasjenige in den Zeichen betrifft, was
ſich durch das Metaphyſiſche beſtimmen und auf Re-
geln bringen laͤßt, und daß hingegen das Grammati-
ſche dasjenige begreift, was in den wirklichen Sprachen
an ſtatt charakteriſtiſch zu ſeyn, bloß willkuͤhrlich, und
weder in der Sache noch in den Zelchen gegruͤndet iſt.
Da aber dieſe Unterſchiede durch viele Stuffen groͤßer
oder kleiner ſeyn koͤnnen, ſo kommen im obigen auch
Faͤlle vor, wo das Grammatiſche ſehr nahe an das
Charakteriſtiſche grenzt, und wo die Auswahl des Wor-
tes ſchwerer waͤre, oder dem erſtern etwas von dem letz-
tern zugegeben werden konnte.

§. 310. Wir koͤnnen noch anmerken, daß wir die
Bedeutung der meiſten Woͤrter unſerer Mutterſprache
auf keine andere Art lernen, als aus dem Verſtand der
Redensarten, in welchen wir ſie von Kindheit auf ler-
nen. Jch ſage, die meiſten Woͤrter. Denn es iſt
klar, daß wir nicht bey ganzen Redensarten anfangen,
ſondern nothwendig eine gewiſſe Anzahl von Woͤrtern,
jedes fuͤr ſich muß erlernt werden. Dieſe fuͤr ſich er-
lernbare Woͤrter ſind ungefaͤhr eben die, wobey die er-
ſten Urheber der Sprachen anfangen mußten. Sie
ſtellen Dinge und Handlungen vor, die nicht nur unter
die Sinnen fallen, ſondern ein mit fremden Umſtaͤn-
den nicht untermengtes Ganzes ausmachen, die man
den Kindern vorzeigen, und dadurch das Wort mit der

Empfin-
M 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0191" n="185"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der Wortfu&#x0364;gung.</hi></fw><lb/>
des Worts zu dem Begriffe nimmt. So z. E. haben<lb/>
wir im vorhergehenden immer das Grammati&#x017F;che dem<lb/>
Charakteri&#x017F;ti&#x017F;chen, und beydes dem Metaphy&#x017F;i&#x017F;chen in<lb/>
den Sprachen entgegenge&#x017F;etzt, ohne weder die&#x017F;e Wo&#x0364;rter<lb/>
zu definiren, noch an jedem Orte um&#x017F;ta&#x0364;ndlich anzuzei-<lb/>
gen, wie weit &#x017F;ie &#x017F;ich anwenden la&#x017F;&#x017F;en. Man wird<lb/>
aber aus dem Gebrauche die&#x017F;er Wo&#x0364;rter leicht finden,<lb/>
daß das Metaphy&#x017F;i&#x017F;che auf die bedeuteten Sachen und<lb/>
ihre Natur und allgemeine Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e geht, das Cha-<lb/>
rakteri&#x017F;ti&#x017F;che aber dasjenige in den Zeichen betrifft, was<lb/>
&#x017F;ich durch das Metaphy&#x017F;i&#x017F;che be&#x017F;timmen und auf Re-<lb/>
geln bringen la&#x0364;ßt, und daß hingegen das Grammati-<lb/>
&#x017F;che dasjenige begreift, was in den wirklichen Sprachen<lb/>
an &#x017F;tatt charakteri&#x017F;ti&#x017F;ch zu &#x017F;eyn, bloß willku&#x0364;hrlich, und<lb/>
weder in der Sache noch in den Zelchen gegru&#x0364;ndet i&#x017F;t.<lb/>
Da aber die&#x017F;e Unter&#x017F;chiede durch viele Stuffen gro&#x0364;ßer<lb/>
oder kleiner &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen, &#x017F;o kommen im obigen auch<lb/>
Fa&#x0364;lle vor, wo das Grammati&#x017F;che &#x017F;ehr nahe an das<lb/>
Charakteri&#x017F;ti&#x017F;che grenzt, und wo die Auswahl des Wor-<lb/>
tes &#x017F;chwerer wa&#x0364;re, oder dem er&#x017F;tern etwas von dem letz-<lb/>
tern zugegeben werden konnte.</p><lb/>
          <p>§. 310. Wir ko&#x0364;nnen noch anmerken, daß wir die<lb/>
Bedeutung der mei&#x017F;ten Wo&#x0364;rter un&#x017F;erer Mutter&#x017F;prache<lb/>
auf keine andere Art lernen, als aus dem Ver&#x017F;tand der<lb/>
Redensarten, in welchen wir &#x017F;ie von Kindheit auf ler-<lb/>
nen. Jch &#x017F;age, die mei&#x017F;ten Wo&#x0364;rter. Denn es i&#x017F;t<lb/>
klar, daß wir nicht bey ganzen Redensarten anfangen,<lb/>
&#x017F;ondern nothwendig eine gewi&#x017F;&#x017F;e Anzahl von Wo&#x0364;rtern,<lb/>
jedes fu&#x0364;r &#x017F;ich muß erlernt werden. Die&#x017F;e fu&#x0364;r &#x017F;ich er-<lb/>
lernbare Wo&#x0364;rter &#x017F;ind ungefa&#x0364;hr eben die, wobey die er-<lb/>
&#x017F;ten Urheber der Sprachen anfangen mußten. Sie<lb/>
&#x017F;tellen Dinge und Handlungen vor, die nicht nur unter<lb/>
die Sinnen fallen, &#x017F;ondern ein mit fremden Um&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
den nicht untermengtes Ganzes ausmachen, die man<lb/>
den Kindern vorzeigen, und dadurch das Wort mit der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Empfin-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0191] Von der Wortfuͤgung. des Worts zu dem Begriffe nimmt. So z. E. haben wir im vorhergehenden immer das Grammatiſche dem Charakteriſtiſchen, und beydes dem Metaphyſiſchen in den Sprachen entgegengeſetzt, ohne weder dieſe Woͤrter zu definiren, noch an jedem Orte umſtaͤndlich anzuzei- gen, wie weit ſie ſich anwenden laſſen. Man wird aber aus dem Gebrauche dieſer Woͤrter leicht finden, daß das Metaphyſiſche auf die bedeuteten Sachen und ihre Natur und allgemeine Verhaͤltniſſe geht, das Cha- rakteriſtiſche aber dasjenige in den Zeichen betrifft, was ſich durch das Metaphyſiſche beſtimmen und auf Re- geln bringen laͤßt, und daß hingegen das Grammati- ſche dasjenige begreift, was in den wirklichen Sprachen an ſtatt charakteriſtiſch zu ſeyn, bloß willkuͤhrlich, und weder in der Sache noch in den Zelchen gegruͤndet iſt. Da aber dieſe Unterſchiede durch viele Stuffen groͤßer oder kleiner ſeyn koͤnnen, ſo kommen im obigen auch Faͤlle vor, wo das Grammatiſche ſehr nahe an das Charakteriſtiſche grenzt, und wo die Auswahl des Wor- tes ſchwerer waͤre, oder dem erſtern etwas von dem letz- tern zugegeben werden konnte. §. 310. Wir koͤnnen noch anmerken, daß wir die Bedeutung der meiſten Woͤrter unſerer Mutterſprache auf keine andere Art lernen, als aus dem Verſtand der Redensarten, in welchen wir ſie von Kindheit auf ler- nen. Jch ſage, die meiſten Woͤrter. Denn es iſt klar, daß wir nicht bey ganzen Redensarten anfangen, ſondern nothwendig eine gewiſſe Anzahl von Woͤrtern, jedes fuͤr ſich muß erlernt werden. Dieſe fuͤr ſich er- lernbare Woͤrter ſind ungefaͤhr eben die, wobey die er- ſten Urheber der Sprachen anfangen mußten. Sie ſtellen Dinge und Handlungen vor, die nicht nur unter die Sinnen fallen, ſondern ein mit fremden Umſtaͤn- den nicht untermengtes Ganzes ausmachen, die man den Kindern vorzeigen, und dadurch das Wort mit der Empfin- M 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/191
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/191>, abgerufen am 14.05.2024.