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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von der Art einer Sprache.
solle, und da aus diesem Grunde die Wiederholung ei-
nes gleichen Wortes fehlerhaft ist, wenn nicht beyde-
male der Nachdruck des Tons darauf fällt, so sieht man
leicht, daß die Prosodie sich auf viel feinere Regeln
gründen müsse, zumal da das Ohr und die Zunge bieg-
sam genug sind, sich darnach zu richten. Jn dieser Ab-
sicht ist demnach eine Sprache vollkommener, in wel-
cher mehr Auswahl bleibt, die Sylben, und besonders
die einsylbigten Wörter, lang oder kurz zu machen,
und diese Auswahl nach den Gedanken zu richten
(§. 99. 100.).

§. 316. Hiebey halten wir uns aber nicht länger
auf, sondern wenden uns zur Betrachtung des Unter-
schieds der Sprachen.
Diesen lernt man vornehm-
lich bey dem Uebersetzen aus einer Sprache in die an-
dere kennen, und das Allgemeine darinn wird durch die
Wörter: Genius linguae, Indoles linguae, die beson-
dere Art, der Schwung einer Sprache,
etc. oder
durch die Redensarten: Es ist dem Genio linguae
zuwider, die Art der Sprache bringt es so
mit
etc. ungefähr angezeigt. Es ist schwer, den genauen
Umfang dieser Begriffe und Redensarten zu bestim-
men, weil man dabey auf sehr viele und sehr verschiede-
ne Stücke zu sehen hat. Wir wollen Ausschließungs-
weise gehen, und daher erstlich anmerken, daß die mei-
sten besondern Ausnahmen, die man sowohl in der Ety-
mologie als in der Syntaxe einer Sprache findet, nicht
zu dem genio linguae gerechnet werden. So z. E.
sagt man nicht, es sey dem Genio linguae latinae ge-
mäß, daß sie in ihren veränderlichen Redetheilen sehr
viel Unregelmäßiges habe. Denn alle diese Unrichtig-
keiten sind mit der Sprache auf eine sehr zufällige Art
entstanden.

§. 317. Man kann auch nicht das, was allen Spra-
chen gemein ist, zu dem Genio einer Sprache rechnen,

weil

Von der Art einer Sprache.
ſolle, und da aus dieſem Grunde die Wiederholung ei-
nes gleichen Wortes fehlerhaft iſt, wenn nicht beyde-
male der Nachdruck des Tons darauf faͤllt, ſo ſieht man
leicht, daß die Proſodie ſich auf viel feinere Regeln
gruͤnden muͤſſe, zumal da das Ohr und die Zunge bieg-
ſam genug ſind, ſich darnach zu richten. Jn dieſer Ab-
ſicht iſt demnach eine Sprache vollkommener, in wel-
cher mehr Auswahl bleibt, die Sylben, und beſonders
die einſylbigten Woͤrter, lang oder kurz zu machen,
und dieſe Auswahl nach den Gedanken zu richten
(§. 99. 100.).

§. 316. Hiebey halten wir uns aber nicht laͤnger
auf, ſondern wenden uns zur Betrachtung des Unter-
ſchieds der Sprachen.
Dieſen lernt man vornehm-
lich bey dem Ueberſetzen aus einer Sprache in die an-
dere kennen, und das Allgemeine darinn wird durch die
Woͤrter: Genius linguae, Indoles linguae, die beſon-
dere Art, der Schwung einer Sprache,
ꝛc. oder
durch die Redensarten: Es iſt dem Genio linguae
zuwider, die Art der Sprache bringt es ſo
mit
ꝛc. ungefaͤhr angezeigt. Es iſt ſchwer, den genauen
Umfang dieſer Begriffe und Redensarten zu beſtim-
men, weil man dabey auf ſehr viele und ſehr verſchiede-
ne Stuͤcke zu ſehen hat. Wir wollen Ausſchließungs-
weiſe gehen, und daher erſtlich anmerken, daß die mei-
ſten beſondern Ausnahmen, die man ſowohl in der Ety-
mologie als in der Syntaxe einer Sprache findet, nicht
zu dem genio linguae gerechnet werden. So z. E.
ſagt man nicht, es ſey dem Genio linguae latinae ge-
maͤß, daß ſie in ihren veraͤnderlichen Redetheilen ſehr
viel Unregelmaͤßiges habe. Denn alle dieſe Unrichtig-
keiten ſind mit der Sprache auf eine ſehr zufaͤllige Art
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§. 317. Man kann auch nicht das, was allen Spra-
chen gemein iſt, zu dem Genio einer Sprache rechnen,

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[191/0197] Von der Art einer Sprache. ſolle, und da aus dieſem Grunde die Wiederholung ei- nes gleichen Wortes fehlerhaft iſt, wenn nicht beyde- male der Nachdruck des Tons darauf faͤllt, ſo ſieht man leicht, daß die Proſodie ſich auf viel feinere Regeln gruͤnden muͤſſe, zumal da das Ohr und die Zunge bieg- ſam genug ſind, ſich darnach zu richten. Jn dieſer Ab- ſicht iſt demnach eine Sprache vollkommener, in wel- cher mehr Auswahl bleibt, die Sylben, und beſonders die einſylbigten Woͤrter, lang oder kurz zu machen, und dieſe Auswahl nach den Gedanken zu richten (§. 99. 100.). §. 316. Hiebey halten wir uns aber nicht laͤnger auf, ſondern wenden uns zur Betrachtung des Unter- ſchieds der Sprachen. Dieſen lernt man vornehm- lich bey dem Ueberſetzen aus einer Sprache in die an- dere kennen, und das Allgemeine darinn wird durch die Woͤrter: Genius linguae, Indoles linguae, die beſon- dere Art, der Schwung einer Sprache, ꝛc. oder durch die Redensarten: Es iſt dem Genio linguae zuwider, die Art der Sprache bringt es ſo mit ꝛc. ungefaͤhr angezeigt. Es iſt ſchwer, den genauen Umfang dieſer Begriffe und Redensarten zu beſtim- men, weil man dabey auf ſehr viele und ſehr verſchiede- ne Stuͤcke zu ſehen hat. Wir wollen Ausſchließungs- weiſe gehen, und daher erſtlich anmerken, daß die mei- ſten beſondern Ausnahmen, die man ſowohl in der Ety- mologie als in der Syntaxe einer Sprache findet, nicht zu dem genio linguae gerechnet werden. So z. E. ſagt man nicht, es ſey dem Genio linguae latinae ge- maͤß, daß ſie in ihren veraͤnderlichen Redetheilen ſehr viel Unregelmaͤßiges habe. Denn alle dieſe Unrichtig- keiten ſind mit der Sprache auf eine ſehr zufaͤllige Art entſtanden. §. 317. Man kann auch nicht das, was allen Spra- chen gemein iſt, zu dem Genio einer Sprache rechnen, weil

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/197>, abgerufen am 04.12.2024.