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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von der Art einer Sprache.
sche in Ansehung der Mittelwörter zurücke bleibt. Be-
sonders hat die griechische Sprache sowohl in Absicht
auf ihre Anzahl als auf ihren Gebrauch viel voraus,
und auch die lateinische, engländische, französische und
italienische Sprache können sich ihrer Mittelwörter
sreyer und vielfältiger bedienen, als die deutsche sich
der ihrigen bedient hatte. Man giebt daher einige
aus diesen Sprachen entlehnte oder nachgeahmte Fü-
gungen der Mittelwörter als gezwungen und undeutsch
aus. Und daher entsteht billig die Frage: ob denn
die deutsche Sprache von der Art sey, daß sie allein
darinn solle zurücke bleiben, oder wieferne sie wenigstens
nach und nach eine zu jedem Gebrauche ihrer Mittel-
wörter schickliche Wendung erhalten könne?

§. 327. Hiebey werden wir nicht wiederholen, was
wir oben (§. 167. seqq.) bereits ausführlich von den
Mittelwörtern gesagt haben. Die deutsche Sprache
hat nur zweyerley, daferne man den Begriff eines Mit-
telwortes nicht allgemeiner machen will, und in so ferne
scheint sie an sich schon in Absicht auf ihren Gebrauch
eingeschränkter. Man hat sie auch bisher nur als Be-
stimmungswörter von Hauptwörtern und Zeitwörtern,
und zwar im ersten Fall wie Beywörter, im andern
aber wie Zuwörter gebraucht, z. E. der eilende Wan-
derer, die gewünschte Stunde etc. er gieng ei-
lend, er lebt vergnügt
etc. Jn solchen Redensar-
ten bedienen sich die Dichter, wie in sehr vielen andern,
der Freyheit, die Wörter mehr zu versetzen, als es in
gemeiner und ungebundener Rede üblich ist (§. 301.),
und in so ferne ist man auch bereits daran gewöhnt.

§. 328. Sodann hat man auch den Gebrauch des
Mittelworts der vergangenen Zeit weiter ausgedehnt,
als das von der gegenwärtigen Zeit. Man sagt z. E.
dieses vorausgesetzt, läßt sich wohl gedenken,
da es hingegen ungewöhnlicher klingen würde: dieses

vor-
N 4

Von der Art einer Sprache.
ſche in Anſehung der Mittelwoͤrter zuruͤcke bleibt. Be-
ſonders hat die griechiſche Sprache ſowohl in Abſicht
auf ihre Anzahl als auf ihren Gebrauch viel voraus,
und auch die lateiniſche, englaͤndiſche, franzoͤſiſche und
italieniſche Sprache koͤnnen ſich ihrer Mittelwoͤrter
ſreyer und vielfaͤltiger bedienen, als die deutſche ſich
der ihrigen bedient hatte. Man giebt daher einige
aus dieſen Sprachen entlehnte oder nachgeahmte Fuͤ-
gungen der Mittelwoͤrter als gezwungen und undeutſch
aus. Und daher entſteht billig die Frage: ob denn
die deutſche Sprache von der Art ſey, daß ſie allein
darinn ſolle zuruͤcke bleiben, oder wieferne ſie wenigſtens
nach und nach eine zu jedem Gebrauche ihrer Mittel-
woͤrter ſchickliche Wendung erhalten koͤnne?

§. 327. Hiebey werden wir nicht wiederholen, was
wir oben (§. 167. ſeqq.) bereits ausfuͤhrlich von den
Mittelwoͤrtern geſagt haben. Die deutſche Sprache
hat nur zweyerley, daferne man den Begriff eines Mit-
telwortes nicht allgemeiner machen will, und in ſo ferne
ſcheint ſie an ſich ſchon in Abſicht auf ihren Gebrauch
eingeſchraͤnkter. Man hat ſie auch bisher nur als Be-
ſtimmungswoͤrter von Hauptwoͤrtern und Zeitwoͤrtern,
und zwar im erſten Fall wie Beywoͤrter, im andern
aber wie Zuwoͤrter gebraucht, z. E. der eilende Wan-
derer, die gewuͤnſchte Stunde ꝛc. er gieng ei-
lend, er lebt vergnuͤgt
ꝛc. Jn ſolchen Redensar-
ten bedienen ſich die Dichter, wie in ſehr vielen andern,
der Freyheit, die Woͤrter mehr zu verſetzen, als es in
gemeiner und ungebundener Rede uͤblich iſt (§. 301.),
und in ſo ferne iſt man auch bereits daran gewoͤhnt.

§. 328. Sodann hat man auch den Gebrauch des
Mittelworts der vergangenen Zeit weiter ausgedehnt,
als das von der gegenwaͤrtigen Zeit. Man ſagt z. E.
dieſes vorausgeſetzt, laͤßt ſich wohl gedenken,
da es hingegen ungewoͤhnlicher klingen wuͤrde: dieſes

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[199/0205] Von der Art einer Sprache. ſche in Anſehung der Mittelwoͤrter zuruͤcke bleibt. Be- ſonders hat die griechiſche Sprache ſowohl in Abſicht auf ihre Anzahl als auf ihren Gebrauch viel voraus, und auch die lateiniſche, englaͤndiſche, franzoͤſiſche und italieniſche Sprache koͤnnen ſich ihrer Mittelwoͤrter ſreyer und vielfaͤltiger bedienen, als die deutſche ſich der ihrigen bedient hatte. Man giebt daher einige aus dieſen Sprachen entlehnte oder nachgeahmte Fuͤ- gungen der Mittelwoͤrter als gezwungen und undeutſch aus. Und daher entſteht billig die Frage: ob denn die deutſche Sprache von der Art ſey, daß ſie allein darinn ſolle zuruͤcke bleiben, oder wieferne ſie wenigſtens nach und nach eine zu jedem Gebrauche ihrer Mittel- woͤrter ſchickliche Wendung erhalten koͤnne? §. 327. Hiebey werden wir nicht wiederholen, was wir oben (§. 167. ſeqq.) bereits ausfuͤhrlich von den Mittelwoͤrtern geſagt haben. Die deutſche Sprache hat nur zweyerley, daferne man den Begriff eines Mit- telwortes nicht allgemeiner machen will, und in ſo ferne ſcheint ſie an ſich ſchon in Abſicht auf ihren Gebrauch eingeſchraͤnkter. Man hat ſie auch bisher nur als Be- ſtimmungswoͤrter von Hauptwoͤrtern und Zeitwoͤrtern, und zwar im erſten Fall wie Beywoͤrter, im andern aber wie Zuwoͤrter gebraucht, z. E. der eilende Wan- derer, die gewuͤnſchte Stunde ꝛc. er gieng ei- lend, er lebt vergnuͤgt ꝛc. Jn ſolchen Redensar- ten bedienen ſich die Dichter, wie in ſehr vielen andern, der Freyheit, die Woͤrter mehr zu verſetzen, als es in gemeiner und ungebundener Rede uͤblich iſt (§. 301.), und in ſo ferne iſt man auch bereits daran gewoͤhnt. §. 328. Sodann hat man auch den Gebrauch des Mittelworts der vergangenen Zeit weiter ausgedehnt, als das von der gegenwaͤrtigen Zeit. Man ſagt z. E. dieſes vorausgeſetzt, laͤßt ſich wohl gedenken, da es hingegen ungewoͤhnlicher klingen wuͤrde: dieſes vor- N 4

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/205>, abgerufen am 11.05.2024.