acht in lebenden Sprachen fast immer und unvermerkt kleine Veränderungen vorgehen, ohne daß sich die Ver- anlassung dazu in jeden einzeln Fällen finden ließe, wenn man sich nicht mit allgemeinen Gründen ihrer Möglichkeit begnügen will.
§. 331. Auf diese Art ist man bald durchaus genö- thigt, sich dem Hypothetischen in der Sprache zu unter- werfen, und die Sprache zu nehmen, wie sie ist, oder wie sie uns überliefert worden. Hiebey aber finden sich zwo nicht geringe Schwierigkeiten. Die erste ist die Weitläuftigkeit der Sprache, besonders wenn sie in gros- sen Provinzen ausgebreitet, und an sich sehr reich an Worten und Metaphern ist. Jn dieser Absicht sollte jede Sprache ein Wörterbuch haben, darinn nicht nur alle Wörter, und jede Bedeutungen derselben, sondern auch alle etwas besonders an sich habende Redensarten befindlich wären. Solche Wörterbücher aber finden sich noch nicht, und wenn man sie auch hätte, so würden sie, wegen der allmähligen Abänderungen der Spra- chen, nur für eine gewisse Zeit dienen.
§. 332. Die andere Schwierigkeit ist noch beträcht- licher, und hat in die ersterwähnte einen nicht geringen Einfluß. Es ist nämlich nicht genug, nur alle Wör- ter zu sammlen, sondern man müßte auch den genauen Umfang der Begriffe wissen, und festsetzen, den jedes Wort bedeutet. Dieses ist aber in den meisten Fällen, wo man die Sache nicht im Ganzen und ohne mitun- termengte fremde Umstände vorzeigen kann, eine gar nicht leichte Arbeit, besonders, wo der Umfang der Be- griffe noch an sich willkührlich, und bey verschiedenen Personen verschieden ist. Jn diesen Fällen reicht man mit Vorwendung des Gebrauchs zu reden nicht aus, weil derselbe nur Redensarten, nicht aber richtige Defi- nitionen angiebt. Die vielen Wortstreite, wobey man nämlich nur in den Worten verschieden, in der
Sache
X. Hauptſtuͤck.
acht in lebenden Sprachen faſt immer und unvermerkt kleine Veraͤnderungen vorgehen, ohne daß ſich die Ver- anlaſſung dazu in jeden einzeln Faͤllen finden ließe, wenn man ſich nicht mit allgemeinen Gruͤnden ihrer Moͤglichkeit begnuͤgen will.
§. 331. Auf dieſe Art iſt man bald durchaus genoͤ- thigt, ſich dem Hypothetiſchen in der Sprache zu unter- werfen, und die Sprache zu nehmen, wie ſie iſt, oder wie ſie uns uͤberliefert worden. Hiebey aber finden ſich zwo nicht geringe Schwierigkeiten. Die erſte iſt die Weitlaͤuftigkeit der Sprache, beſonders wenn ſie in groſ- ſen Provinzen ausgebreitet, und an ſich ſehr reich an Worten und Metaphern iſt. Jn dieſer Abſicht ſollte jede Sprache ein Woͤrterbuch haben, darinn nicht nur alle Woͤrter, und jede Bedeutungen derſelben, ſondern auch alle etwas beſonders an ſich habende Redensarten befindlich waͤren. Solche Woͤrterbuͤcher aber finden ſich noch nicht, und wenn man ſie auch haͤtte, ſo wuͤrden ſie, wegen der allmaͤhligen Abaͤnderungen der Spra- chen, nur fuͤr eine gewiſſe Zeit dienen.
§. 332. Die andere Schwierigkeit iſt noch betraͤcht- licher, und hat in die erſterwaͤhnte einen nicht geringen Einfluß. Es iſt naͤmlich nicht genug, nur alle Woͤr- ter zu ſammlen, ſondern man muͤßte auch den genauen Umfang der Begriffe wiſſen, und feſtſetzen, den jedes Wort bedeutet. Dieſes iſt aber in den meiſten Faͤllen, wo man die Sache nicht im Ganzen und ohne mitun- termengte fremde Umſtaͤnde vorzeigen kann, eine gar nicht leichte Arbeit, beſonders, wo der Umfang der Be- griffe noch an ſich willkuͤhrlich, und bey verſchiedenen Perſonen verſchieden iſt. Jn dieſen Faͤllen reicht man mit Vorwendung des Gebrauchs zu reden nicht aus, weil derſelbe nur Redensarten, nicht aber richtige Defi- nitionen angiebt. Die vielen Wortſtreite, wobey man naͤmlich nur in den Worten verſchieden, in der
Sache
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X. Hauptſtuͤck.
acht in lebenden Sprachen faſt immer und unvermerkt
kleine Veraͤnderungen vorgehen, ohne daß ſich die Ver-
anlaſſung dazu in jeden einzeln Faͤllen finden ließe,
wenn man ſich nicht mit allgemeinen Gruͤnden ihrer
Moͤglichkeit begnuͤgen will.
§. 331. Auf dieſe Art iſt man bald durchaus genoͤ-
thigt, ſich dem Hypothetiſchen in der Sprache zu unter-
werfen, und die Sprache zu nehmen, wie ſie iſt, oder
wie ſie uns uͤberliefert worden. Hiebey aber finden ſich
zwo nicht geringe Schwierigkeiten. Die erſte iſt die
Weitlaͤuftigkeit der Sprache, beſonders wenn ſie in groſ-
ſen Provinzen ausgebreitet, und an ſich ſehr reich an
Worten und Metaphern iſt. Jn dieſer Abſicht ſollte
jede Sprache ein Woͤrterbuch haben, darinn nicht nur
alle Woͤrter, und jede Bedeutungen derſelben, ſondern
auch alle etwas beſonders an ſich habende Redensarten
befindlich waͤren. Solche Woͤrterbuͤcher aber finden
ſich noch nicht, und wenn man ſie auch haͤtte, ſo wuͤrden
ſie, wegen der allmaͤhligen Abaͤnderungen der Spra-
chen, nur fuͤr eine gewiſſe Zeit dienen.
§. 332. Die andere Schwierigkeit iſt noch betraͤcht-
licher, und hat in die erſterwaͤhnte einen nicht geringen
Einfluß. Es iſt naͤmlich nicht genug, nur alle Woͤr-
ter zu ſammlen, ſondern man muͤßte auch den genauen
Umfang der Begriffe wiſſen, und feſtſetzen, den jedes
Wort bedeutet. Dieſes iſt aber in den meiſten Faͤllen,
wo man die Sache nicht im Ganzen und ohne mitun-
termengte fremde Umſtaͤnde vorzeigen kann, eine gar
nicht leichte Arbeit, beſonders, wo der Umfang der Be-
griffe noch an ſich willkuͤhrlich, und bey verſchiedenen
Perſonen verſchieden iſt. Jn dieſen Faͤllen reicht man
mit Vorwendung des Gebrauchs zu reden nicht aus,
weil derſelbe nur Redensarten, nicht aber richtige Defi-
nitionen angiebt. Die vielen Wortſtreite, wobey
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/208>, abgerufen am 28.11.2024.
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