nur in den Worten von einander abgeht, als wenn man sogleich den andern eines Jrrthums in der Sache selbst zeihen wollte.
§. 335. Man hat zur Vermeidung solcher Wort- streite längst schon in den Vernunftlehren Regeln gege- ben, deren die vornehmste diese ist, daß man sich um die Bedeutung der Wörter umsehen müsse, ehe man sich in Unterredung und Streitigkeiten einläßt, und daß dieses besonders in Ansehung derer Wörter zu thun sey, wel- che ehender als andere in ungleicher Bedeutung genom- men werden könnten. Wir können noch beyfügen, daß diese vorläufige Behutsamkeit um desto nothwendiger ist, je verschiedener die Secten und Lehrgebäude sind, denen die Unterredenden anhangen (Alethiol. §. 141.). Man sehe auch, was wir oben (§. 194.) hierüber ange- merkt haben.
§. 336. Der Anstand, ob man in Ansehung der Bedeutung der Wörter einig sey, hat unstreitig seine Stuffen, nach welchen sich der ganze Vorrath derselben in gewisse Classen theilen läßt. Wir haben zu diesem Ende bereits in der Alethiologie (§. 138.) angezeigt, daß nicht nur die Wörter, welche einfache Begriffe vorstellen, sondern auch jede andere, wodurch die in der Natur vorhandenen Dinge, die an sich schon ein Ganzes sind, benennt werden, ihrer Bedeutung halber keine Schwierigkeit haben. Und eben so haben wir auch oben (§. 121.) angemerkt, daß die ersten Urheber der Sprachen nothwendig bey der Benennung solcher Din- ge und Handlungen anfangen mußten, die sie vorzeigen konnten. Denn um in der Bedeutung der ersten Wör- ter einig zu werden, mußten sie Wort und Sache zusam- men nehmen, und den Vorsatz, daß das Wort die Sa- che bedeuten solle, durch Geberden und Deutungen an- zeigen, die ohne allen Zweifel ihren Grund in der menschlichen Natur haben, und von dem andern dadurch
verstan-
X. Hauptſtuͤck.
nur in den Worten von einander abgeht, als wenn man ſogleich den andern eines Jrrthums in der Sache ſelbſt zeihen wollte.
§. 335. Man hat zur Vermeidung ſolcher Wort- ſtreite laͤngſt ſchon in den Vernunftlehren Regeln gege- ben, deren die vornehmſte dieſe iſt, daß man ſich um die Bedeutung der Woͤrter umſehen muͤſſe, ehe man ſich in Unterredung und Streitigkeiten einlaͤßt, und daß dieſes beſonders in Anſehung derer Woͤrter zu thun ſey, wel- che ehender als andere in ungleicher Bedeutung genom- men werden koͤnnten. Wir koͤnnen noch beyfuͤgen, daß dieſe vorlaͤufige Behutſamkeit um deſto nothwendiger iſt, je verſchiedener die Secten und Lehrgebaͤude ſind, denen die Unterredenden anhangen (Alethiol. §. 141.). Man ſehe auch, was wir oben (§. 194.) hieruͤber ange- merkt haben.
§. 336. Der Anſtand, ob man in Anſehung der Bedeutung der Woͤrter einig ſey, hat unſtreitig ſeine Stuffen, nach welchen ſich der ganze Vorrath derſelben in gewiſſe Claſſen theilen laͤßt. Wir haben zu dieſem Ende bereits in der Alethiologie (§. 138.) angezeigt, daß nicht nur die Woͤrter, welche einfache Begriffe vorſtellen, ſondern auch jede andere, wodurch die in der Natur vorhandenen Dinge, die an ſich ſchon ein Ganzes ſind, benennt werden, ihrer Bedeutung halber keine Schwierigkeit haben. Und eben ſo haben wir auch oben (§. 121.) angemerkt, daß die erſten Urheber der Sprachen nothwendig bey der Benennung ſolcher Din- ge und Handlungen anfangen mußten, die ſie vorzeigen konnten. Denn um in der Bedeutung der erſten Woͤr- ter einig zu werden, mußten ſie Wort und Sache zuſam- men nehmen, und den Vorſatz, daß das Wort die Sa- che bedeuten ſolle, durch Geberden und Deutungen an- zeigen, die ohne allen Zweifel ihren Grund in der menſchlichen Natur haben, und von dem andern dadurch
verſtan-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0210"n="204"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">X.</hi> Hauptſtuͤck.</hi></fw><lb/>
nur in den Worten von einander abgeht, als wenn man<lb/>ſogleich den andern eines Jrrthums in der Sache ſelbſt<lb/>
zeihen wollte.</p><lb/><p>§. 335. Man hat zur Vermeidung ſolcher Wort-<lb/>ſtreite laͤngſt ſchon in den Vernunftlehren Regeln gege-<lb/>
ben, deren die vornehmſte dieſe iſt, daß man ſich um die<lb/>
Bedeutung der Woͤrter umſehen muͤſſe, ehe man ſich in<lb/>
Unterredung und Streitigkeiten einlaͤßt, und daß dieſes<lb/>
beſonders in Anſehung derer Woͤrter zu thun ſey, wel-<lb/>
che ehender als andere in ungleicher Bedeutung genom-<lb/>
men werden koͤnnten. Wir koͤnnen noch beyfuͤgen, daß<lb/>
dieſe vorlaͤufige Behutſamkeit um deſto nothwendiger<lb/>
iſt, je verſchiedener die Secten und Lehrgebaͤude ſind,<lb/>
denen die Unterredenden anhangen (Alethiol. §. 141.).<lb/>
Man ſehe auch, was wir oben (§. 194.) hieruͤber ange-<lb/>
merkt haben.</p><lb/><p>§. 336. Der Anſtand, ob man in Anſehung der<lb/>
Bedeutung der Woͤrter einig ſey, hat unſtreitig ſeine<lb/>
Stuffen, nach welchen ſich der ganze Vorrath derſelben<lb/>
in gewiſſe Claſſen theilen laͤßt. Wir haben zu dieſem<lb/>
Ende bereits in der Alethiologie (§. 138.) angezeigt,<lb/>
daß nicht nur die Woͤrter, welche <hirendition="#fr">einfache</hi> Begriffe<lb/>
vorſtellen, ſondern auch jede andere, wodurch die in der<lb/>
Natur vorhandenen Dinge, die an ſich ſchon ein Ganzes<lb/>ſind, benennt werden, ihrer Bedeutung halber keine<lb/>
Schwierigkeit haben. Und eben ſo haben wir auch<lb/>
oben (§. 121.) angemerkt, daß die erſten Urheber der<lb/>
Sprachen nothwendig bey der Benennung ſolcher Din-<lb/>
ge und Handlungen anfangen mußten, die ſie vorzeigen<lb/>
konnten. Denn um in der Bedeutung der erſten Woͤr-<lb/>
ter einig zu werden, mußten ſie Wort und Sache zuſam-<lb/>
men nehmen, und den Vorſatz, daß das Wort die Sa-<lb/>
che bedeuten ſolle, durch Geberden und Deutungen an-<lb/>
zeigen, die ohne allen Zweifel ihren Grund in der<lb/>
menſchlichen Natur haben, und von dem andern dadurch<lb/><fwplace="bottom"type="catch">verſtan-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[204/0210]
X. Hauptſtuͤck.
nur in den Worten von einander abgeht, als wenn man
ſogleich den andern eines Jrrthums in der Sache ſelbſt
zeihen wollte.
§. 335. Man hat zur Vermeidung ſolcher Wort-
ſtreite laͤngſt ſchon in den Vernunftlehren Regeln gege-
ben, deren die vornehmſte dieſe iſt, daß man ſich um die
Bedeutung der Woͤrter umſehen muͤſſe, ehe man ſich in
Unterredung und Streitigkeiten einlaͤßt, und daß dieſes
beſonders in Anſehung derer Woͤrter zu thun ſey, wel-
che ehender als andere in ungleicher Bedeutung genom-
men werden koͤnnten. Wir koͤnnen noch beyfuͤgen, daß
dieſe vorlaͤufige Behutſamkeit um deſto nothwendiger
iſt, je verſchiedener die Secten und Lehrgebaͤude ſind,
denen die Unterredenden anhangen (Alethiol. §. 141.).
Man ſehe auch, was wir oben (§. 194.) hieruͤber ange-
merkt haben.
§. 336. Der Anſtand, ob man in Anſehung der
Bedeutung der Woͤrter einig ſey, hat unſtreitig ſeine
Stuffen, nach welchen ſich der ganze Vorrath derſelben
in gewiſſe Claſſen theilen laͤßt. Wir haben zu dieſem
Ende bereits in der Alethiologie (§. 138.) angezeigt,
daß nicht nur die Woͤrter, welche einfache Begriffe
vorſtellen, ſondern auch jede andere, wodurch die in der
Natur vorhandenen Dinge, die an ſich ſchon ein Ganzes
ſind, benennt werden, ihrer Bedeutung halber keine
Schwierigkeit haben. Und eben ſo haben wir auch
oben (§. 121.) angemerkt, daß die erſten Urheber der
Sprachen nothwendig bey der Benennung ſolcher Din-
ge und Handlungen anfangen mußten, die ſie vorzeigen
konnten. Denn um in der Bedeutung der erſten Woͤr-
ter einig zu werden, mußten ſie Wort und Sache zuſam-
men nehmen, und den Vorſatz, daß das Wort die Sa-
che bedeuten ſolle, durch Geberden und Deutungen an-
zeigen, die ohne allen Zweifel ihren Grund in der
menſchlichen Natur haben, und von dem andern dadurch
verſtan-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/210>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.